Stilkritik (35): In jedem Beruf gibt es Fachkräfte, die sich in ihrem Metier ganz genau auskennen. Gut, wenn sie miteinander reden können. Über Bücher und Designklassiker.
Meine Eltern waren in den fünfziger Jahren Mitglied in einem Buchclub. Er brachte uns die Kultur der großen weiten Welt ins Haus. Jedes Quartal kam eine Lesering-Illustrierte, und dann wurde ausgesucht. Wenn man sich nicht entscheiden konnte, nahm man die beiden Hauptvorschlagsbände. Die erhielt man auch unaufgefordert. Sonst herrschte die klassische Rollenteilung: Der Vater suchte Sachbücher, Biografien von Politikern und Industriellen, am liebsten aber las er Landser- und Kriminalromane; die Mutter sagte, damit bleibst du mir weg, sie mochte lieber romantische Erzählungen, zumal wenn sie von einer christlichen Moral gefestigt waren. Für mich gab es nichts im Lesering. Als ich in der schönsten Pubertät angekommen war, blätterte ich gerne in Vaters Büchern. Darin gab es Stellen, die beschrieben interessante, mir zunächst noch unerklärliche Situationen. Man musste zum Beispiel nur das Wort „Büstenhalter“ suchen, dort passierte immer etwas Hübsches.
Als mein Vater gestorben war und meine Mutter ins Altersheim ging, durften wir Kinder die umfangreiche Lesering-Ausbeute unter uns verteilen. Die Bücher bekannter Autoren hoben wir auf, der Rest kam in den Container. Es waren durchweg solide Bände noch ohne diese Papierumschläge, auf denen Elke Heidenreich oder Iris Radisch immer schreiben, dass es sich um die wichtigste Neuerscheinung der Saison handele.
Irgendwann besuchte uns ein Verwandter, ein Buchhändler. Ihm zeigten wir unsere Weltliteratur aus dem Buchclub, sorgsam alphabetisch geordnet: Hamsun, Hauptmann, Hemingway, Hesse. Und alle wie neu, denn Bücher hatte man bei uns nur mit sauberen Händen anfassen dürfen, sie wurden zum Lesen in einen steifen Ledereinband geschoben und nie, niemals aufgeschlagen hingelegt, um den Rücken nicht zu beschädigen.
Der Schwager würdigte die gepflegte Bibliothek in Halbleder mit keinem Blick. Aber hier, wiesen wir ihn hin, alle dabei: Böll, Buck, Knittel, Mann, Simmel, Steinbeck, Wallace, Werfel…
Schlechte Ausgaben, beschied uns der Experte, so was kauft man erst gar nicht, das ist nichts wert. Reiner Müll. Aha.
Einige Zeit später trafen wir unseren Verwandten wieder. Er war gerade umgezogen. In seinem Wohnzimmer stand jetzt ein LC2-Sessel, ein rotes Fanal im IKEA-Biotop. Da setzt du dich rein, bot der Schwager großzügig an, der ist von deinem Corbusier.
Niemals, erwiderte ich, das ist ein Plagiat. Schau die Farbe, knittriges Leder, die Imprägnierung lässt ja schon nach, unsaubere Nähte, klebrige Polsterung… So was kauft man erst gar nicht. Das ist nichts wert.
Reiner Müll. Da war er platt.
Die Bücher haben wir nach und nach in den Lesesaal eines Seniorenstifts getragen, der rote Sessel wurde später in einem Kinderzimmer begeistert abgewohnt. So konnten die falschen Fuffziger altersgerecht entsorgt werden. Echt.