
Das Teatro Massimo Vittorio Emanuele in Palermo, ein realisierter Wettbewerbsgewinn des Architekten Giovanni Battista Filippo Basile

Susanne Grötz, Ursula Quecke, Siegfried Albrecht: Theater in Sizilien. 240 Seiten, 333 Abbildungen, 22 x 27 cm. Stuttgart, Jonas Verlag 2020. 28 € | ISBN 978-3-89445-578-1
Architekten unternehmen gelegentlich Ausflüge ins verwandte Fach der Bühnenbildnerei. Schinkel hat es getan, Friedrich Kiesler und auch Daniel Libeskind – um ein paar prominente Beispiele zu nennen. Für Architektur und Städtebau bleiben solche Seitensprünge in die Szenografie meist folgenlos. Wie befruchtend die Wechselwirkung von Architektur und Bühne jedoch sein kann, dafür öffnet ein neues Buch die Augen.
„Von den Stadtprospekten auf den Bühnen zur Stadt als Bühne war es nur ein kurzer Weg“, schreiben die Autoren, drei Kunsthistoriker und profunde Italienkenner, über das Teatro urbano, das sich seit der Renaissance von den Kulissen des Schauspiels beeinflussen ließ.
Fasziniert von der neuentdeckten Zentralperspektive hatte sich das Renaissancetheater bei der bildenden Kunst Illusionsräume abgeguckt, die sich hinter dem Bühnenportal auftaten und scheinbar in die Tiefe eines städtischen Straßenzugs führten, in Wirklichkeit aber auf einen Leinwandprospekt im Hintergrund aufgemalt waren. Das Theater diente den als Architekten und Bühnenbildner in Personalunion tätigen Baumeistern dabei als eine Art Labor, in dem sie urbane Bildwirkungen im flüchtigen Medium der Szenografie testen konnten, bevor sie ihre Idealinszenierungen auf die reale Stadt übertrugen. So wurde der mittelalterliche Cassaro in Palermo im 16. Jahrhundert zu einer die gesamte (Alt-) Stadt durchziehenden Achse begradigt, auf der die Passeggiata sich allabendlich als urbanes Spektakel des Sehens und Gesehenwerdens abspielt und den öffentlichen Raum in ein veritables Stadt-Theater verwandelt. Auf den wie Bühnenbilder gestalteten Plätzen wie den Quattro Canti entlang dieser Promenade entfaltete sich das höfische Festzeremoniell und agierten die Palermitaner bei den zahllosen Festumzügen und Prozessionen als Zuschauer und Akteure zugleich.
Seine Blütezeit erlebte das sizilianische Theater im 18. und – nach der Einheit Italiens 1860 – besonders im 19. Jahrhundert mit dem Teatro all’italiana. In fast allen Städten entstanden damals in Rot und Gold schwelgende Theaterbauten mit Logen und Galerien, reich dekorierten Foyers und prachtvollen Fassaden. Der Band dokumentiert diesen neuen Gebäudetypus, „der nun selbst zu seiner eigenen Kulisse wird“ und „in den Mittelpunkt von urbanen Architekturprospekten der bürgerlichen Gesellschaft“ tritt, mit zahlreichen hervorragenden, eigens für dieses Buch entstandenen Fotos von Roberto Sigismondi und Christian Stein.

Zuschauerraum des Teatro Massimo, Palermo. Der Plafond ist mit fein reliefierten Segmenten überfangen, darin der „Triumph der Musik“.
Der historische Bogen, den die Verfasser schlagen, reicht aber weit zurück in die Vergangenheit zu den antiken Amphitheatern der Westgriechen auf Sizilien und bis in die Gegenwart zu den wenigen Theatern der Moderne. Ein Nachfahr des Teatro urbano ist Gibellina, der bei einem Erdbeben 1968 zerstörte und in zehn Kilometer Entfernung neu errichtete Ort, der auch über einen Theaterbau und ein Theaterfestival verfügt. Aus ihrer Sympathie für Ludovico Corrao, den idealistischen, kunstsinnigen Bürgermeister von Gibellina, machen die Autoren kein Hehl. Corrao konnte für die Neugründung bedeutende Künstler und Architekten gewinnen, in der Hoffnung, die Stadt vor der Tristesse moderner Ansiedlungen zu bewahren. Als Glücksfall erscheint den Verfassern dabei auch, dass der Wiederaufbau von Gibellina in die Jahre der Postmoderne fiel, denn mit ihrer Affinität zum Theater und zur szenografischen Inszenierung des öffentlichen Raums habe diese an die Tradition des sizilianischen Teatro urbanistico mit eindrucksvollen Platzfolgen anknüpfen können. Eher glanzlos stellt sich diese Planstadt jedoch in anderen Publikationen dar, die von einem „auf halber Strecke steckengebliebenen Zukunftsprojekt“ künden (BauNetz-Woche #556). Da die versprochenen Industrieniederlassungen ausgeblieben sind, ist der Ort, ursprünglich konzipiert für 20000 Einwohner, für die heutigen 4000 Neu-Gibelliner schlicht überdimensioniert.
Ein lesenswerter, inspirierender Reiseführer (besonders in Zeiten der Reiseflaute) sind die „Theater in Sizilien“ gleichwohl für jeden Theater- und Architekturinteressierten – inspirierend auch in dem Sinne, über das Verhältnis von Theater und öffentlichem Raum gerade im Hinblick auf die zahlreichen Theatersanierungs- und Neubauprojekte hierzulande neu nachzudenken. Die auf Kosten und Technik fixierte Diskussion erscheint dann unweigerlich in schiefem Licht: Geführt mit städtebaulichen Scheuklappen, kann weder für das Theater noch für die Stadt von morgen etwas Gutes dabei herauskommen.