Architekturgeschichtsschreibung ist nach wie vor eine Domäne der Kunsthistroikerinnen. Das komplexe, an theoretische Geschichtsdiskurse gebundene Thema scheuen aber die meisten, weil damit alte Gewissheiten infrage gestellt und zudem eine wissenschaftliche Berserkerarbeit zu leisten wären. Aber es führt in einer globalisierten, digitalisierten Kommunikation kein Weg daran vorbei.
Hier liegt eine kompakte europäische Architekturgeschichte vor, die nationale Perspektiven hinter sich lässt und die osteuropäischen Entwicklungen gleichberechtigt verfolgt. Der Autor – ehemals Direktor des NAI und jetzt Chefredakteur von A10, der einzigen europäischen Architekturzeitschrift – gesteht unumwunden ein, vom Osten nicht so viel in Erfahrung gebracht zu haben wie vom Westen. Trotzdem kündigt Ibelings keine internationale, sondern eine europäische Architekturgeschichte an, beklagt, dass es eine europäische Historiographie leider nicht gebe und rehabilitiert in diesem Zusammenhang den Begriff des „Stils“. An fünf Kapitel mit geschichtsmethodischen Anliegen schließen sich die Architekturbeispiele an. Reich bebildert (Ibelings bediente sich bei Wikipedia und Wikimedia Commons, was Bilder in Briefmarkengröße und teilweise schauderhafter Qualität zur Folge hat), öffnet das Buch den Blick nach Osten; man wird mit Namen konfrontiert, die hierzulande kaum jemand kennen dürfte: Ödön Lechner, Bohdan Pniewski, Marke Leykam, Nikola Dobrovic und vielen anderen. Das Buch lädt zum Blättern ein, und wenn man in Ibelings‘ Texte hineinliest, ist man mit der weltläufigen Kenntnis des Autors konfrontiert, der – gut schreibend – versucht, die Fülle zu sortieren, Parallelen zu entdecken, einander Ähnliches auszumachen und den Blick auf eine europäisches Ganzes zu lenken. Man ahnt, was in der Architekturgeschichtsschreibung alles aussteht!