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Helmut Jahn (1940-2021)

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Helmut Jahn bei der Vorstellung seines Entwurfs für das Pallas-Bürogebäude in Stuttgart-Vaihingen im Jahr 1992 (Bild: Wilfried Dechau)

Zwar betagt, aber doch überraschend starb der deutsch-amerikanische Architekt Helmut Jahn. Früh ausgewandert, war er doch oft in seiner alten Heimat tätig – und bekannt.


Man muss alle journalistischen Marotten beiseite lassen, obwohl sich metaphorische Abschweifungen aufdrängen: Der aus Nürnberg stammende Helmut Jahn, für den der Titel Stararchitekt erfunden schien, einer der erfolgreichsten amerikanischen Hochhausplaner, kam am 8. Mai bei einem Fahrradunfall ums Leben, weil er ein Stoppschild übersehen hatte. In Deutschland machte ihn in den 1980er Jahren Heinrich Klotz – damals Gründungsdirektor des DAM in Frankfurt – populär, aber gerade dessen Hinweis auf die postmodernen Qualitäten dieser Architektur führte zu einer respektvollen Distanz. Es war alles eine Nummer zu groß und stylish für uns, allein die topping out ceremony des Frankfurter Messe-Towers geriet wie eine Exkursion ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Immerhin war das wie ein riesiger Drehbleistift in den Himmel ragende Gebäude das höchste in Europa.

Blick vom Kulturforum Richtung Potsdamer Platz: In prominenter Nachbarschaft lugt das schiefe Glasdach von Helmut Jahns Sony Center hervor. (Bild: Ursula Baus)

Blick vom Kulturforum Richtung Potsdamer Platz: In prominenter (Architektur-)Nachbarschaft lugt das schiefe Glasdach von Helmut Jahns Sony Center hervor. (Bild: Ursula Baus)

In Deutschland folgten das Airport-Center in München, Sony am Potsdamer Platz und das für Jahns Maßstab wie eine gläserne Vitrine wirkende neue Kranzler-Eck, beide in Berlin. Sonst findet man die Orte seines prallen Werkverzeichnisses in erster Linie in Illinois, respektive Chicago. Was seine Arbeiten auszeichnet, fasste Paul Goldberger, Architekturkritiker der New York Times, einleuchtend zusammen: „Mr. Jahn’s slick skyscrapers, for example, have an immense finesse that seems at once to express the historicizing impulses of one strain of our time and the technological impulse of another.“ Es waren keine Gebäude, die sich aus einer störrischen Tektonik zusammensetzten, sie waren ausnahmslos glatt, erinnerten an abweisende geometrische Skulpturen, aber auch an Straßenkreuzer und Wurlitzer-Orgeln (das North Western Terminal!). Oft überspannten sie grandiose Innenräume, gläserne Hallen, in denen man den Augen der Security nicht entgehen konnte. Das Xerox Center, One South Wacker, die Erweiterung des Board of Trade und natürlich das State of Illinois Center in Chicago tragen seine unverwechselbare Handschrift. Farbenfroh und unterhaltsam gerieten eine Bahnstation und der United Terminal am Flughafen O’Hare. Es war die Zeit der Neon-Discos.

Die extravagante Erscheinung behielt Helmut Jahn lebenslang. (Bild: Wilfried Dechau)

Die extravagante Erscheinung behielt Helmut Jahn lebenslang. (Bild: Wilfried Dechau)

Die japanische Zeitschrift  a+u widmete Helmut Jahn 1986 eine ganze Ausgabe, das galt so viel wie ein Ehrendoktor. Überhaupt war Veröffentlichen für das Designstudio Murphy Jahn eine eigene Leistungsklasse. Welch ein Aufwand, mit noch analoger Technik den idealen Standort zu finden, um einen Wolkenkratzer realistisch ohne stürzende Linien, Schlagschatten und Spiegelungen abzubilden! „Es gibt Gebäude“, erklärte mir Jahns vice president Rainer Schildknecht beim Bürobesuch, „die kann man nur am 21. Juni um fünf Uhr nachmittags fotografieren – falls es nicht zufällig regnet.“ Überhaupt das Büro, ein Foyer wie bei einer Beautyfarm, man faltete sich rechtwinklig auf eine schwarz lackierte Blumenbank und wartete, bis man sich dem Arbeitstisch des abwesenden Meisters nähern durfte. Dort entstanden seine Tintenskizzen, die ein Heer von Mitarbeitern in CAD dechiffrierte und mit jammernden Nadeldruckern in riesige Pläne übersetzte oder mit einem Laser in raumhohe Modelle fräste.
Und was war die Essenz seiner Arbeiten? Helmut Jahn beherrschte auch nach Jahrzehnten in den USA etwas seine Muttersprache. Bei einem Vortrag in Frankfurt fand er für seine Großarchitektur das Attribut „spekulatär“. Das traf es ziemlich gut.