• Über Marlowes
  • Kontakt

Der Jahnsportpark im Prenzlauer Berg wird zum Kampfplatz. Anfänglichen Abrissabsichten – wir berichteten, siehe Seitenspalte – folgten eine Bürgerinitiative, eine Petition und das offizielle Zugeständnis einer Bürgerbeteiligung. Doch jetzt sieht alles wieder ganz anders aus: Das Stadion scheint Spielmasse politischer Deutungshoheit zu sein.


In Berlin steht wieder einmal ein architektonisches Zeugnis der Ostmoderne auf der Liste der bedrohten Bauten. Das Cantian-Stadion, das 1950/1951 nach den Plänen des Bauhaus-Schülers Rudolf Ortner für die III. Weltjugendfestspiele entstand und auf einem Schuttwall aus Kriegstrümmern errichtet wurde, soll abgerissen werden. Auch der Rest des geschichtsträchtigen Ensembles mit mehreren Hundert Bäumen, Grün- und Sportanlagen soll stark überformt und unter anderem mit einem großen Hallenkomplex bebaut werden. Das Vorhaben, einen Inklusionssportpark auf dem Areal des Jahnsportparks zu schaffen, lasse nichts Anderes zu, so die Argumentation der Senatsverwaltung für Inneres und Sport und diverser Verbände.
Gegen dieses einseitige und unausgegorene Vorhaben hat sich seitens der AnwohnerInnenschaft Protest formiert. Allen voran setzt sich die Bürgerinitiative Jahnsportpark gegen Abriss und Neubau und für einen schonenden Umbau ein. Durch ihren Einsatz ist es gelungen, überhaupt erst ein ordnungsgemäßes Verfahren für die Umgestaltung zu erwirken.

PlanerInnen wissen’s besser

Mit dem neuen Inklusionssportpark soll ein Vorzeigeprojekt in die Welt gesetzt werden, das ProfifußballerInnen sowie Behindertensportverbände gleichermaßen zufriedenzustellen trachtet. An dieser Stelle sei gesagt, dass sich weder die Autorin noch die Bürgerinitiative Jahnsportpark gegen Inklusion stellen – nur: Warum soll unbedingt abgerissen werden, wenn gar keine Optionen eines Umbaus erörtert wurden? Warum wird schon wieder von Alternativlosigkeit gesprochen, wenn gar nicht geprüft wurde, was ein Umbau leisten kann? Kreative PlanerInnen und ArchitektInnen hätten sicherlich viele Ideen parat, wie man die Zugänglichkeit und Sichtbehinderung für RollstuhlfahrerInnen lösen oder die Fluchtwegsituation verbessern könnte. Das Wort „Umbau“ wird systematisch vermieden und stattdessen von „Sanierung“ gesprochen. Dass eine Sanierung nicht ausreicht, um die Anforderungen an ein inklusives Stadion zu erreichen, liegt auf der Hand und bedarf keiner Studie. Umbau ist jedoch ein kreativer Prozess, was sich unter anderem darin zeigt, dass ArchitektInnen dafür einen Honorarzuschlag von mindestens 20 Prozent erhalten, den es bei Sanierung nicht gibt. Und genau an diesen kreativen Überlegungen fehlt es bislang komplett.

Alle wissen um den Rang des vorhandenen Stadions. (Bild: Ina Juckel)

Alle wissen um den Rang des vorhandenen Stadions. (Bild: Ina Juckel)

Baukulturelles Erbe, bewegte Vergangenheit

Was ebenfalls ignoriert wird, ist der baukulturelle und historische Wert des Jahnsportparks. Das Ensemble des Sportparks hat insbesondere in Hinblick auf die deutsch-deutsche Teilung eine große Bedeutung: Das Gelände wurde im Kaiserreich als Exerzierplatz genutzt und diente Hertha BSC als erste Spielstätte. In den 1920er-Jahren wurde es bewusst als Sportgelände mit Parkcharakter angelegt, vermutlich mit einer Spende des Berliner Verlegers Rudolf Mosse – die damals das Gelände querende Straße wurde nach ihm benannt. Später auf Trümmerschutt aus dem Zweiten Weltkrieg errichtet und von einem Stück Hinterland-Mauer flankiert, manifestiert sich mit dem Cantian-Stadion und dem umgebenden Sportgelände an diesem Ort buchstäblich deutsche Geschichte. Neben Veranstaltungen wie den eingangs erwähnten III. Weltfestspielen der Jugend spielten hier außer dem ansässigen Oberliga-Serienmeister BFC Dynamo selbst zu DDR-Zeiten Fußballmannschaften aus dem In- und Ausland. Das Stadion und dessen Schuttwall sind stadträumlich wie historisch Teil des Mauerparks und müssen unter Einbeziehung von Landschafts–architektInnen im Kontext betrachtet werden. Erwähnenswert ist auch, dass kurz nach der Wiedervereinigung nördlich des Stadions die Max-Schmeling-Halle errichtet wurde, die den Entwurfsgedanken der Einbettung in einen grünen Hügel aufgenommen hat. Selbst das über der Verglasung scheinbar schwebende, skulpturale Dach ist eine Fortschreibung des weit auskragenden Haupttribünendachs des Cantian-Stadions. Durch einen Abriss desselben gingen diese architektonischen und geschichtlichen Bezüge komplett verloren. Mit der Machbarkeitsstudie des Projektsteuerungsbüros Drees & Sommer und eines Stadtplanungsbüros soll all das Vergangenheit sein: Die vermeintliche Lösung, die sie anbieten und die eher einer materiellen Auflösung gleichkommt, bedeutet die Entfernung des Schutthügels, die Rodung zahlreicher Bäume und Büsche, den Abriss des Stadions und der Flutlichtmasten sowie die Versiegelung einer wichtigen Grünfläche mit weiteren Kunststoffplätzen.

Denkmalschutz!

Hätte sich nicht Anfang 2020 die Bürgerinitiative Jahnsportpark gegründet, wären der Abriss entschiedene Sache und erste Bäume schon gefällt. Auch der Bund deutscher Architektinnen und Architekten, der Bund deutscher Landschaftsarchitekten sowie der Landesdenkmalrat zeigen sich alarmiert. Sie sind über den drohenden Verlust des baukulturellen Erbes besorgt. So hält der Landesdenkmalrat eine Prüfung des Denkmalschutzes durch das Landesdenkmalamt für angebracht. Schaut man sich das Ensemble des Jahnsportparks genauer an, wird erkennbar, warum: Hier vereinen sich bauliche Merkmale der frühen und späten Ostmoderne und zeigen sich von schlichter, gewinnender Klarheit. Besonders das 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins entstandene Tribünengebäude weiß die Blicke von Sportparkbesucher:innen und -nutzer:innen auf sich zu ziehen, allem voran durch das kräftige Rot und die feingliedrig gerasterte Glasfassade. Das elegant nach oben geknickte Dach ist das breitgezogene i-Tüpfelchen des Stadions und schafft eine Perspektive, die über die Ränge hinweg führt – fast als würde es die Sportler:innen dazu animieren, nach dem nächsten hohen Ziel zu streben. Ein weithin sichtbares Wahrzeichen des Jahnsportparks sind die Flutlichtmasten, die grazil in den Himmel ragen und ihre Köpfe zu den Sporttreibenden und Stadionbesucher:innen neigen. Für viele Berliner:innen und BesucherInnen der Stadt stellen die einzigartigen Masten geradezu Landmarken dar. Dank Ortners Idee, die Ränge auf dem umlaufenden Wall zu platzieren, wirkt das Stadion von außen bei Weitem nicht so groß, wie es die rund 20.000 Sitzplätze vermuten ließen. Ein bauhistorisches Gutachten sieht daher durchaus die Voraussetzungen gegeben, das Stadion-Ensemble als denkmalwürdig einzustufen.

Die Flutlichttürme haben Wahrzeichen-Charakter. (Bild: Ina Juckel)

Die Flutlichttürme haben Wahrzeichen-Charakter. (Bild: Ina Juckel)

Die unliebsame Ostmoderne

Und warum sollte das Cantian-Station nicht unter Denkmalschutz gestellt werden, wenn zeitgleich entstandene Bauten der Westberliner IBA 1987 bereits unter Schutz stehen? Handelt es sich hierbei um einen blinden Fleck oder gar ideologisches Handeln? Es mutet befremdlich an, dass bedeutsame Bauten der Ostmoderne seitens der Politik stets gern der Abrissbirne überlassen werden. Statt eines Sportparks, der zur freien Nutzung aller einlädt, wird hier mit viel versiegelter Fläche und einer Gigantomanie geplant, die weit über die Bedarfe von behinderten Sportler:innen und des Kiezsports hinausgehen. Senator Geisel und die Senatsverwaltung für Inneres und Sport visieren an, hier zukünftig Großveranstaltungen durchzuführen. Aber wird das wirklich den Behindertensport betreffen oder vielmehr den Fußballsport? Wird hier der Behindertensport vorgeschoben, um andere Interessen zu bedienen?
Auch ökologische Aspekte sprechen klar gegen das brachiale Abrissvorhaben. Laut des Berichts des UN-Umweltprogramms „2020 Global Status Report for Buildings and Construction – Towards a zero-emissions, efficient and resilient buildings and construction sector“ verursacht die Bauindustrie 38 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit. Des Weiteren ist sie mit ihren Bau- und Abbruchabfällen für mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland verantwortlich. Zugleich verbraucht sie den Großteil der verfügbaren Rohstoffe, darunter immer seltener werdende Erze. Was außerdem gern außer Acht gelassen wird, ist die sogenannte graue Energie, die im baulichen Bestand gebunden ist. Es hat den Einsatz von Ressourcen verschiedenster Art gekostet, um das Cantian-Stadion wie die weiteren Anlagen des Jahnsportparks zu bauen. Dieser Wert gehört bei der Rechnung ebenso miteinbezogen. Abriss und Neubau ziehen also weitaus höhere Kosten mit sich, als oft dargestellt wird.

Bestands- und Klimaschutz haben Vorrang

Abriss und Neubau kommen daher grundsätzlich nur noch als Ultima Ratio infrage, wenn sich Umbau als unmöglich erweist. Muss sich nicht auch ein Inklusionssportpark an den Zielen des Klima- und Ressourcenschutzes orientieren? Sind der vom Senat im Dezember 2019 ausgerufene Klimanotstand und die Zero-Waste-Strategie nur Lippenbekenntnisse? Und müssen sich nicht auch Inklusions- und Sportverbände auf einen klima- und umweltverträglicheren Umbau einlassen? Schließlich sind wir alle den immer drastischer spürbaren, teils existenziell bedrohlichen Folgen des Klimawandels ausgesetzt, gerade im Umfeld des Jahnsportparks, dessen Grünflächen eine wichtige Kühlfunktion wahrnehmen.
Für viele AnwohnerInnen wäre die Umgestaltung des Jahnsportparks nach dem bisherigen Konzept kein hinnehmbarer Eingriff, wie die Rückmeldungen auf der Beteiligungsplattform zeigen. Das ganze Flair des Sportparks sowie Flora und Fauna sind Anziehungsmagnete, die viele BerlinerInnen, ob jung oder alt, zu schätzen wissen. Besonders die frei nutzbare Wiese hinter den Tennisplätzen wird gern für die vielfältigsten, vereinsungebundenen Sportarten sowie zur Erholung genutzt. Sie wie geplant mit einem Kunststoffteppich zu versiegeln, würde den Großteil der bisherigen Nutzungen verunmöglichen.
Doch würde auch ein Zeugnis der Ostmoderne und der deutsch-deutschen Geschichte fehlen, das SportlerInnen, Familien und vielen anderen Besucher:innen ein Ort mit architektonischem Charme und viel Freiraum ist. Es gilt, diesen Freiraum und unser baukulturelles Erbe hochzuhalten und Wege zu finden, Inklusion durch behutsame Eingriffe in den Bestand zu ermöglichen.