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Die heutige Herrschaft der Ökonomie zu beklagen, ist zwar langweilig geworden, aber nicht falsch. Denn die kapitalistische, ökonomisch drangsalierte Gesellschaft privatisiert ihre Gewinne und sozialisiert die Verluste mit Folgen, die man sich nicht oft genug klarmachen kann. Die Politik kennt – von Lobbyisten an der Nase rumgeführt – nur noch Sparen und Steuererhöhungen als politische Gestaltungswerkzeuge. Das hat Folgen für die gebaute Umwelt (Architektur, Städtebau, Denkmalpflege) – zumal in vermeintlichen Krisenzeiten.


Luxus verkauft sich gut

Im Juni 2010 verkaufte Mercedes so viele (Luxus-)Autos wie nie in entsprechendem Zeitraum zuvor. Vor allem die Luxusklasse verkaufte sich wie warme Semmeln – nicht allein im chinesischen Ausland und in den USA, auch im Inland sind die Marktanteile in dieser Kategorie rasant gestiegen. Eben erst am Abgrund gewähnt, hatte die Autoindustrie via Abwrackprämie Milliarden vom Staat kassiert; dann kam das Kurzarbeitergeld aus dem Staatssäckel dazu – und was an staatlichen Geldern jetzt als „Forschungsgeld“ für Elektroautos – im wahrsten Sinne des Wortes – beigesteuert wird, spottet jeder Beschreibung. Derweil sind die Kommunen samt und sonders pleite – für alles aufkommen soll einmal mehr der Steuerzahler. Unternehmen wie Mercedes sehen sich genauso wenig wie Banken dazu veranlasst, das vom Bund und den Ländern erzwungene Geld zurückzuzahlen. Man zahlt lieber wieder Dividenden, Boni und satte
Abfindungen und kassiert Aktienerlöse. Im März meldete die FAZ, dass die Gehälter der Chefs von Dax-Konzernen um 7 Prozent gestiegen sind. Wenn in üblen Wettkreisen noch Geld mit dem Konkurs eines Unternehmens oder ganzer Staaten gemacht wird, dann ist das schlichtweg kriminell, aber konsequent.

Die Kommunen

Ende Juni 2010 beliefen sich die Schulden der Kommunen auf 1,7 Billionen Euro. Man ist sich einig, dass dies wesentlich das Ergebnis der Machthierarchie in langfristiger Bundes- und Landespolitik ist: Den Schwarzen (Geldauftreib-)Peter schob der Bund den Ländern und Kommunen zu – den letzten beißen die Hunde. Resultat: Die Bibliotheken sind seltener geöffnet, Schwimmbäder weniger geheizt – wenn nicht geschlossen; Theater bleiben zu, Preise für kommunale Amtsdienste schießen in die Höhe, der Marktplatzbrunnen wird abgestellt, Schulen verfallen, Parks verwildern, Straßen werden nicht repariert, die Straßenbeleuchtung in Außenbezirken abgestellt, Zuschüsse für Kultureinrichtungen eingestellt. Städtische Krankenhäuser gleichen Bruchbuden. Kommunen verscherbeln Stadtwerke und kommunale Wohnungsbauten, Schlaglöcher und wer-weiß-was.
Und jetzt prescht die Bundesregierung damit voran, die Städtebauförderung um 50 Prozent auf 305 Mio Euro zu kürzen. Dumm dabei: Jeder investierte Fördereuro hatte sich bislang in rund sechs Euro Privatinvestitionen bewährt – ganz abgesehen vom sinnvollen, langfristigen Ansatz der Förderungen. Gestern traute man seinen Ohren nicht: Die Regierung erwägt die Versteigerung von Atomkraftwerklaufzeiten. Die regional Betroffenen haben keinen Einfluss darauf, dass diese riskante, lebensgefährlichen Müll produzierende Energiegewinnung vor ihrer Haustür Geld ins Staatssäckel bringen soll. In einem guten Kommentar wurde diese Idee auf einen Sonnenstich zurückgeführt.
Getroffen hat es auch die Denkmalpflege. Schon vor Jahren ließ sie sich durch verwaltungstechnische Tricks entmachten, jetzt wird ihr auch der Geldhahn zugedreht. Ramsauers Ministerium sieht nur noch 50 Millionen für den Denkmalschutz vor – ein Witz! Hier werden nicht nur pro Objekt weniger Mittel zur Verfügung stehen, sondern weite Teile des denkmalgeschützten Bestands völlig unkontrolliert dem Verfall oder Missbrauch preisgegeben. Verkehrs- und Bauetat bleiben dagegen weitgehend stabil, denn die Verkehrslobby hat das Ohr des Ministers Ramsauer. Von großen Projekten im Autobahnbau ist die Rede, achtstreifigem Ausbau der A8 und vielem mehr. Schlaglöcher verkaufen und mit dem Erlös dieselben reparieren – eine Idee im verarmten, niederthüringischen Niederzimmern.

Die Bahn

Mit ihrem Ansinnen, auf Teufel komm raus börsentaugliche Daten vorweisen zu können, versorgt die Bahn das Land nicht mehr mit der notwendigen Mobilität. Wenn sie scheinbar unwirtschaftliche Linien stilllegt, betreibt die Bahn Strukturpolitik, mischt sich in die Landschafts- und Stadtplanung – ohne jegliche Kompetenz. Sie zieht in ihrer Macht obendrein Länder und Kommunen über den Tisch – fabelhaft beim milliardenteuren Großprojekt Stuttgart 21. Dessen wahnwitzige Verteuerung werden nur die anderen tragen, nicht die Bahn. Nicht mehr lustig ist es, wenn sich die Politik wie in
Stuttgart dezidiert gegen weite Teile der Bevölkerung und gegen Vernunft und Kompetenz stellt – man lese den aktuellen, am Kiosk erhältlichen STERN.1) Im Frühjahr 2011 wird in Baden-Württemberg gewählt. Bis dahin wird wie blöd für das Projekt geworben (kostet Steuergeld) und mit dem Bau ohne gültige Baubeschlüsse begonnen (kostet Steuergeld) – ein Wahnsinn.

Systemrelevanz

Dass sie in der „Krise“ Milliarden an die Wirtschaft verschenkt hat, begründete die Kanzlerin mit der „Systemrelevanz“ der betreffenden Empfänger. Das passt in die Strategie der Geldvermehrer: Erst wird von den Lobbyisten die „Finanzmarktderegulierung“ durchgesetzt; dann werden trickreiche „Finanzinnovationen“ auf den Weg gebracht, um die Profite noch ein bisschen anzuheben. Geht dann etwas schief, wird die „Systemrelevanz“ ins Spiel gebracht, um mit staatlichen Hilfen selber schadlos davon zu kommen. So blutet der Etat von Bund, Ländern und Kommunen aus, sie werden handlungsunfähig mit allen Konsequenzen über den infrastrukturellen, kulturellen und materiellen, gebauten Zustand unseres Landes.
„Bürgerengagement“ soll’s richten: Der Einflussnahme auf ehemals öffentliche Einrichtungen, Entwicklungen und Planungen durch private Interessen werden Tür und Tor geöffnet. Längst bestimmen Privatsammler, was in den Museen gezeigt wird – oder sie lassen sich gleich die Museen für ihre eigenen Sammlungen bauen. Längst setzen sich Investoren gegen ihre zwergenhaften Gegenüber in den Verwaltungen durch. Längst bestimmen die großen Automobil- und Energiekonzerne, wie die Verkehrs- und Energiepolitik im Lande auszusehen hat.
Wir wissen es alle: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft mehr und mehr auseinander. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Gated Communities auch in Deutschland davon zeugen, wer das Geld und damit das Sagen hat, wer sich von anderen Gesellschaftskreisen zu distanzieren sucht und von einer solidarischen Verantwortlichkeit nichts mehr wissen will. Elite-Förderung in der Ausbildung statt Bafög-Erhöhung begünstig einmal mehr diejenigen, die dank ihrer wohlhabenden Elternhäuser bildungsmäßig privilegiert sind. Aber was wollen wir? Wollen wir so leben? Kann man in unserer Gesellschaft überhaupt noch von einem „wir“ reden?

Die nächste Blase, die platzt, wird auf den Rohstoffmärkten gesichtet. Die Keile, die mit der jüngsten Finanzkrise in unsere Gesellschaft getrieben wurden, könnten dann durch Äxte ersetzt werden, die das ohnehin fragile Zusammenspiel unserer Stadtquartiere, Dörfer und Landschaften zerschlagen.


Zum Weiterlesen:

> Meinhard Miegel: Exit. Wohlstand ohne Wachstum. Berlin 2010

> Michael Lewis: The Big Short. Inside the Doomsday Machine. New York – ist für Februar 2011 auf Deutsch angekündigt.

 

1) Der Stern, 28/2010, Seite 90-95