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Talente, Türme, Traditionen

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Was im Ingenieurbau derzeit geleistet wird, spiegelt sich in zwei just entschiedenen, bedeutenden Preisen: Jürg Conzett wird mit dem Fritz Leonhardt Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet, Werner Sobek erhält für seinen Aufzugstestturm in Rottweil den Deutschen Ingenieurbaupreis 2018. Ein Problem des Berufsstandes bleibt ungelöst: Den Reiz ihres Berufs wissen nur die wenigsten Bauingenieure mit ihrer Arbeit im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern.

Bild oben: Jürg Conzett baute für einen Wanderweg in Flims mehrere Brücken – keine gleicht der anderen in dieser meisterhaften Inszenierung. (Bild: Wilfried Dechau)

Jürg Conzett (Bild: Wilfried Dechau)

Jürg Conzett (Bild: Wilfried Dechau)

Der Fritz-Leonhardt-Preis wird am 7. Juli 2018 in Stuttgart an den Schweizer Bauingenieur Jürg Conzett vergeben.(1) Als Auszeichnung von Lebenswerken rückt dieser Preis Persönlichkeiten ins Rampenlicht, die als Bauingenieure Bahnbrechnendes geleistet haben. Mit Jürg Conzett wird ein Bauingenieur geehrt, der in einer einzigartigen Berufstradition steht, die in der Unwegsamkeit der Schweiz ihre Wurzeln hat.

Jürg Conzett und die Denkmalpflege: Die Historizität der Infrastruktur ist eine Forschungsarbeit, aus der Jürg Conzett wie kein anderer Erkenntnisse gewinnt. (Bild: Conzett Bronzini)

Jürg Conzett und die Denkmalpflege: Die Historizität der Infrastruktur bringt eine Forschungsarbeit mit sich, aus der Jürg Conzett inspirierende Erkenntnisse gewinnt. (Bild: Conzett Bronzini)

Atemberaubende Holzbrücken von Hans-Ulrich und Johannes Grubenmann im 18. Jahrhundert, unglaublich elegante Betonbrücken von Robert Maillart (1872-1940), skulptural entworfene Brücken von Christian Menn (*1927) – und parallel zu allem eine flächendeckende, ambitionierte Ingenieurbaukunst prägen in der Schweiz ein Infrastruktur-Alltagsniveau, das seinesgleichen vergeblich sucht.

Jürg Conzett bereichert den Schweizer Ingenieurbau seit Jahrzehnten mit einer bislang unbekannten Vielfalt an Konstruktions- und Gestaltungstypologien. Sie lässt eine formal fixierte „Handschrift“ zugunsten orts- und funktionsgebundener Gestaltungskunst einfach vergessen. 2008 bereits beim Schelling-Architekturpreis ausgezeichnet, wird Jürg Conzett mit dem nunmehr siebten Fritz Leonhardt Preis einer der wichtigsten, herausfordernden Plätze im internationalen who-is-who des Ingenieurbaus zugewiesen.


Über 200 Meter hoch, ist der Turm mit einer textilen Hülle umgeben, die den Betonschaft vor Sonneneinstrahlung schützt und den statisch unliebsamen Luftwirbeln auf Turm-Lee-Seite entgegen wirkt. (Bild: Rainer Viertlböck, Gauting)

246 Meter hoch, ist der Rottweiler Aufzugstestturm mit einer textilen Hülle umgeben, die den Betonschaft vor Sonneneinstrahlung schützt und den statisch unliebsamen Luftwirbeln auf Turm-Lee-Seite entgegen wirkt. (Ingenieure: Werner Sobek Stuttgart; Architekt: Werner Sobek mit Helmut Jahn; Bild: Rainer Viertlböck, Gauting)

Um den Ingenieurbau gleichermaßen wie Architektur zu fördern und regelmäßig einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rufen, vergibt der Bund seit 2016 abwechselnd zum Staatspreis Architektur den Deutschen Ingenieurbaupreis. In diesem Jahr wurden neben dem Hauptpreis zwei Auszeichnungen und vier Anerkennungen vergeben, in denen die Vielfältigkeit der Bauingenieurstätigkeiten hervortritt. Mit dem Aufzugstestturm in Rottweil wird ein Bauwerk gewürdigt, das mit seinen Dimensionen Landschaft und Ortssilhouetten erheblich verändert und mit seinem Gestaltungsansatz im wahrsten Sinne des Wortes „Zeichen“ setzt.

Die elegante Brücke "Rotes Steigle" über die A8 (Schlaich Bergermann und Partner, Andreas Keil) perfektioniert einen Konstruktionstypus. (Bild: Burghard Walther)

Die elegante Brücke „Rotes Steigle“ über die A8 (Schlaich Bergermann und Partner, Andreas Keil) perfektioniert einen Konstruktionstypus, den man aus dem Vorgäbgerbau kannte. (Bild: Burkhard Walther)

Auszgezeichnet wurden die Straßenbrücke „Rotes Steigle“ über die A8 zwischen Stuttgart und Leonberg sowie eine Salzlagerhalle in Geislingen an der Steige.

Salzlagerhalle in Geislingen (Tragwerksplaner: Furche Geiger Zimmermann, Architekten und Bild: vautz mang)

Die Salzlagerhalle in Geislingen wurde aus Holz gebaut, weil andere Materialien für Salz nicht geeignet sind. (Tragwerksplaner: Furche Geiger Zimmermann, Architekten und Bild: vautz mang)


Anerkennungen erhielten das Kraftwerk Lausward in Düsseldorf (Bollinger + Grohmann, Frankfurt am Main), die Lahntalbrücke Limburg (Konstruktionsgruppe Bauen, Kempten), der Umbau des Hauptbahnhofes in Chemnitz (Buro Happold Engineering, Berlin) und die Nachhallgalerie der Staatsoper Unter den Linden in Berlin (Knippers Helbig Ingenieure, Stuttgart).

Bildmontage der einst niedrigeren und nun mit einer Nachhallgalerie erhöhten Saaldecke (Bild: HG Merz)

Bildmontage der einst niedrigeren und nun mit einer Nachhallgalerie erhöhten Saaldecke in der Berliner Staatsoper (Ingenieure: Knippers Helbig, Bild: HG Merz)

Alle gewürdigten Projekte sind online beim BBR dokumentiert (siehe > hier). Am 27. November 2018 wird der Staatspreis in der Staatsgalerie Stuttgart verliehen. Bemerkenswert viele Projekte stammen aus Baden-Württemberg beziehungsweise sind von Ingenieuren aus dem Lande der Tüftler zu danken.

Bleibt zu wünschen, dass sich beim nächsten Staatspreis Ingenieurbau mehr Bauingenieure mit ihren Bauten beteiligen. Gehören bei ambitionierten Architekten die Teilnahmen an Wettbewerben, Auszeichnungen und Preisen zum Job, öffnen sie an einem jährlichen „Tag der Architektur“ ihre Büros und Häuser für jedermann, fehlt dergleichen noch bei den Bauingenieuren – was umso schwerer wiegt, als dass sie über qualifizierten Nachwuchs klagen. Um den muss man sich kümmern, man um ihn werben, man muss für den Beruf begeistern. Darin können Bauingenieure noch etwas zulegen.


(1) Ingenieurbaupreise
Fritz-Leonhardt Preis
Deutscher Ingenieurbaupreis
Ulrich Finsterwalder Ingenieurbaupreis
Deutscher Brückenbaupreis