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Kurz nach dem Krieg baute Egon Eiermann für eine katholische Genossenschaft Wohnhäuser im Odenwald. Eines davon ist nun restauriert und vermittelt als Museum einen Eindruck vom Leben der direkten Nachkriegszeit. Aber nicht nur das. Es ist auch ein Zeugnis dafür, dass auch unter widrigsten Umständen und mit geringen Mitteln große Architektur entstehen kann.
Es war ein glücklicher Zufall, der diese zwei Personen zusammengeführt hat. Egon Eiermann war nach Kriegsende (zu Fuß) aus Berlin nach Buchen geflüchtet, die Heimat seines Vaters. Buchen liegt im Odenwald, gehört zu Nordbaden. Eiermann trifft dort auf den Pfarrer Heinrich Magnani, einen tatkräftigen und durchsetztungsfähigen Mann, der das Elend der Vertriebenen beheben will. Um die 19.000 der aus den verlorenen Ostgebieten Geflohenen hatte der Landkreis Buchen aufzunehmen, das etwa 1500 Einwohner zählende Hettingen allein hatte 500 unterzubringen. Die Not war zu greifen, Abhilfe nicht leicht zu organisieren. Magnani gründet eine Genossenschaft, sucht nach Möglichkeiten, die Arbeitskraft der Menschen für den Bau einzusetzen, den Baugrund ringt er den Bauern im Tausch gegen Pfarräcker am Ortsrand ab. Dabei hatte Magnani immer die Vorstellung einer würdigen Behausung vor Augen.
In diesem Anliegen hatte er mit Eiermann den richtigen gefunden: „Ich halte es für falsch, Fehlinvstitionen in der Art zu machen, dass jetzt notdürftige Bauten, die später ersetzt werden müssen, erstellt werden“, so Eiermann auf einem Vortrag 1946. Eiermann hatte von den Planungen Magnanins erfahren und ihn davon überzeugen können, ihn mit der Planung zu beauftragen. Überzeugt hatte Eiermann nicht allein durch ästhetische Vorzüge, sondern vor allem durch praktische: genau hatte er sich mit der Frage des Bauens auseinandergesetzt, sich auf verfügbare Materialien konzentriert. Die Häuser konnten schrittweise je nach Materiallage weitgehend im Eigenbau errichtet werden.
An einem Hang entstanden so bis 1948 sieben leicht gegeneinander versetzte Doppelhäuser, alle zweigeschossig mit leicht geneigtem Satteldach und einer besonderen Ziegelverblendung, dem so genannten Prüssverband. Die Ziegel wurden als schützende Hülle mit Blechstreifen in der dahinter liegenden Lehmziegelwand verankert, ihr Muster übt einen eigenen Reiz au. Weil diese Weise der Verarbeitung der hochkant gestellten Steine, paarweise abwechseln längs und quer vermauert, keinen Bruchverlust an den Ecken erzeugen, war sie auch im Sinne der Notlage, möglichst sparsam mit dem Material umzugehen.
Gut erhalten, großartig restauriert
Der 2008 gegründete Eiermann-Magnani-Dokumentationsstätten-Verein erwirbt 2011 eines der Häuser, um darin ein Museum zu errichten. In der Gesamtanlage aus 14 Häusern liegt es in der Mitte, es ist das untere der beiden giebelseitig versetzt aneinander gebauten Häuser. Seit 1948 war es im Besitz der gleichen Familien, die Veränderungen, die vorgenommen worden sind, waren noch im Maße, der einen Rückbau auf den Zustand von 1948 erlaubte – was von den meisten Nachbarn nicht behauptet werden kann, sie sind durch An- und Umbauten weiter vom Ursprung entfernt. Dabei erwies sich beispielsweise als Glücksfall, dass unter anderem die alten Fenster nach ihrem Ausbau im Schuppen erhalten geblieben sind und aufbereitet wieder eingesetzt werden konnten.
Die Wüstenrot Stiftung konnte als Unterstützerin gewonnen werden und übernahm in der Sanierung die Rolle des Bauherrn, sie sorgt für eine denkmalgerechte Restaurierung auf höchstem wissenschaftlichem Niveau. Mit einer vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg erarbeiteten Ausstellung ist das Ergebnis nun seit dem 18. Juni öffentlich zugänglich. Ein Glücksfall.
Schon das Äußere fällt durch seine durchdachte Organisation und angenehme Raumaufteilung auf. Eine Rampe erlaubte es, das Haus am Hang auch mit einer Karre zu erreichen. Das Dach eines dem Haus vorgesetzter Schuppen wird so weit vorgezogen, dass es ein überdachter Vorbereich vor dem Hauseingang entsteht. Weil die beiden Häuser des Doppelhauses leicht gegeneinander versetzt sind, kann ein kleiner von der Küche aus zugänglicher Wirtschaftshof realisiert werden, der heute eine wunderbar ruhige, kontemplative Stille ausstrahlt. Zur anderen Seite hin ist ein vom Wohnraum aus zugänglicher Garten angelegt, der als Wirtschaftsgarten in den Zeiten der Not und des Mangels eine wichtige Funktion erfüllte. Die Natursteinplatten vor dem Hauseingang werden auch in der Diele des Erdgeschosses verlegt, um das Innere und das Äußere miteinander zu verbinden.
Im Innnern: betörende Stimmung
Was der Besucher hier im Innern erlebt ist ein wahres Raumwunder. Die Räume sind etwas über 2,40 Meter hoch, die zwei Geschosse bieten keine hundert Quadratmeter Nutzfläche, zwei, zeitweilig sogar drei Familien haben hier gewohnt. Das offene Erdgeschoss mit einer hinter der einläufigen Treppe angeordneten, durch Einbauschrank mit raumhoher Durchreiche integrierten Küche verströmt eine Großzügigkeit, die die tatsächlichen Dimensionen des Raums vergessen lässt.
Oben finden sich ein Bad und drei kleine Schlafzimmer, zwischen zweien von ihnen ein Schrankraum. Unwillkürlich teilt sich mit, mit welcher Sorgfalt sich Eiermann nicht nur der materialsparenden Ausführung sondern auch mit den Raumproportionen und dem Licht auseinandergesetzt hat. Am Eröffnungstag, einem sonnigen Sommermorgen, verströmen die Räume eine geradezu betörende Stimmung. Die in Farben und Material soweit möglich wieder hergerichteten Räume sind durch eine glücklicherweise zurückhaltende Ausstellung ergänzt. Sie vermitteln nicht nur Wissen über den Bau der kleinen Siedlung, der dabei zu bewältigenden Schwierigkeiten und die beiden herausragenden Protagonisten, sondern geben auch Einblick in den geschichtlichen Kontext und vermitteln einen Eindruck aus dem Alltagsleben der Nachkriegszeit. Der Weg nach Hettingen lohnt sich.