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Ja, wir wissen es: Voraussagen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Um planen zu können, ist es dennoch unerlässlich, sich Gedanken darüber zu machen, wie sich die Welt im Großen und Kleinen entwickeln könnte. Zwei Publikationen beschäftigen sich mit dem, was uns herausfordern wird.

Immer mal wieder wird genüsslich auf den Podien in den Diskussionen den Prognose-Fachleuten eines über den Hut gezogen: Was hätten sie nicht alles erzählt, von schrumpfenden Städten und sinkender Bevölkerungszahl. Dass sich die Welt anders entwickelt, als man es sich vorstellen konnte, ist so selbstverständlich, dass man es den Profis der Zukunft kaum zu Vorwurf machen kann – zu wohlfeil und bequem wäre das. Wir stünden auch durchaus etwas besser da, wenn man einige der Voraussagen, die getroffen wurden, berücksichtigt hätte: auf dem Wohnungsmarkt etwa oder im Mobilitätsverhalten, das immer noch von einer Politik gesteuert wird, die sich an den Realitäten der 1960er Jahre zu orientieren scheint. Was aber ist denn tatsächlich zu erwarten?

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Zukunftsinstitut GmbH (Hg.), Christoph Korner, Lars Krückeberg, Wolfram Putz, Thomas Willemeit, Nora Zerelli (GRAFT), Matthias Horx, Lena Papasabbas, Janine Seitz (Zukunftsinstitut): Futupolis. 120 Seiten, 203,30 €, Frankfut 2018

Das Berliner Büro Graft und das Frankfurter Zukunftsinstitut haben Anfang des Jahres „Futopolis“, eine Studie herausgegeben, die sich auf die Städte als die Orte konzentriert, die die Entwicklung bestimmen werden: „Städte sind die Staaten von morgen“, heißt es direkt am Beginn. Nach den Weltreichen und den Nationalstaaten seien, so wird der ehemalige Bürgermeister von Denver zitiert, nun die Städte die Zentren der Macht. Dabei ist der Stadtbegriff etwas diffus belassen, offensichtlich aber sind es die administrativen Einheiten, die hier unter Stadt gefasst werden, dennoch bleibt die konkrete Handlungsebene unbestimmt, etwa, wenn auch dafür plädiert wird, sich nicht auf die Größe des Ortes zu beeinflussen lassen, sondern die kulturelle Urbanisierung als entscheidend zu akzeptieren und zu gestalten. Es wird darauf verwiesen, wie wenig der Stadt-Land Gegensatz der Realität entspricht und nicht geeignet ist, die Wirklichkeit zu fassen, darauf, dass Urbanisierung ein „Mind set“, die auch eine Chance für das Land sei. Viele globale Trends von der Mobilität des gemeinsamen Nutzens über Microappartments und Seamless Mobility bis hin zur verdichteten Stadt werden aufgegriffen und ausgebreitet. Dabei wird auch Unbequemes benannt, etwa, dass nicht jedes Dorf eine Zukunft hat. Methodisch ist dabei etwas unklar, was eigentlich der räumliche Bezugshorizont liegt: Zwischen Global City und deutschem Dorf bleiben viele Lücken, die unbehandelt bleiben – deutlich ist, dass (schon allein wegen der Sprache) der Adressat sich vornehmlich für die Zukunft deutscher Städte und Landschaften interessieren sollte. Hier handelt es sich auch nicht um einen Wissenschaftstext, sondern um eine Art der Aufbereitung, wie sie etwa zuletzte brand eins mit seinem hervorragenden Heft zur Mobilität geleistet hat.
Die grundsätzlich positiv gestimmte Studie scheint von dem Anliegen motiviert, Angst vor der Zukunft und der Veränderung zu nehmen, die sich ohnehin vollziehen wird. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Der Text ist zudem gut zu lesen und ansprechend bebildert. Die Studie richtet sich an Entscheider – der außerordentlich hohe Preis macht es deutlich. Erreicht werden sollen die, die nicht ohnehin schon vertraut mit den Trends ist, die die Spezialisten schon lange kennen und die auch zu Wort kommen: der Verkehrsexperte Stefan Rammler etwa oder die Soziologin Saskia Sassen.

Lücken und Binsenweisheiten

So mag man es auch zu erklären sein, dass sich in die Darstellung auch allerlei Binsenweisheiten mischen, die eigentlich längst Allgemeingut geworden sein sollten: „Durch neue Formen der Vernetzung und Mobilität wird Urbanität vor allem zu einer neuen Lebens- und Denkweise“ hätte in etwas anderen Worten schon Simmel am Anfang des 20. Jahrhunderts unterschrieben. „Wo ein Ort lediglich in den eigenen vier Wänden genutzt wird, blieben Dorf und Stadt ein toter Ort (sic!)“ – das hatte Hans-Paul Bahrdt schon in den 1960ern analysiert.
Doch die wesentliche Kritik muss eine andere sein. Man wünscht sich, die Autoren hätten etwas kritischer auf das geschaut, wofür sie begeistern wollen. Eine Bedrohung der Demokratie von rechts, Datenmissbrauch und Überwachung – man kann sich auch andere Szenarien denken als die Beschriebenen, gerade weil sie weitaus weniger wünschenswert sind. Sie werden weitgehend ausgeblendet. Dabei ist in aller Euphorie an die Verlierer zu wenig gedacht, die Welt der Zukunft ist doch sehr in Watte gepackt. Die Aggressionen, die aus der kulturellen Entwertung des eigenen Lebensstils der alten Mittelschicht gerade durch die Übernahme von einem kreativen, urbanen Milieu erwachsen, wie es Andreas Reckwitz beschreibt, sind ein mindestens ebenso wirkungsmächtiger Trend – wie sehr, erleben wir derzeit mehr als uns lieb sein kann. Er kommt so gut wie nicht vor. Auf diesen Trend mit dem meinen antworten zu können, was ihn hervorruft, wie es die Studie suggeriert, ist schlichtweg hilflos. Dass es die Heimat nicht mehr gebe, sondern Heimaten, gilt eben nicht für alle – nicht alle haben das kulturelle Kapital, diese „Heimaten“ aktiv mitzugestalten. Für eine Studie dieses stolzen Preises hätte man sich hier dann doch deutlich mehr Tiefe und Analysenschärfe gewünscht.

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IzR 1/2018: Demografische Prognosen: 
per Annahme in die Zukunft. BBSR, Bonn

Die zweite Publikation, die sich mit Prognosen beschäftigt, ist beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in der Reihe der Informationen zur Raumentwicklung erschienen. Die Raumbeobachtung ist eine der wichtigen Aufgaben diese Instituts: zu verfolgen, wie sich Bevölkerung, Verkehr, Ansiedlungen entwickeln und entwickeln könnten. Das Heft gibt zu nächst einmal einen Einblick in das, was Prognosen leisten, wie sie erstellt werden und welche Veränderungen sich in den Aussagen durch Darstellung und den Ebenen, auf denen Prognosen dargestellt werden, ergeben. Dass Prognosen ständig davon bedroht sind, von der Wirklichkeit widerlegt zu werden, ist den Autoren allesamt keine überraschende Erkenntnis, auch nicht, dass die Ergebnisse bei unterschiedlichen Untersuchungsansätzen sich um so eher widersprechen können, je komplexer die Materie ist. Dennoch: Prognosen sind unverzichtbare Grundlage von planerischem und politischem Handeln Gerade auch weil in Prognosen nicht immer die wünschenswerten Ergebnisse liefern. So ist ein Beitrag der bundesweiten Verkehrswachstums gewidmet. Hierbei gehen die Autoren davon aus, dass sich keine Ende des Verkehrswachstums abzeichnet – dass vor allem die weiten Wege zunehmen werden und eine Abnahme lediglich in der Verkehrsleistung des Fußgängerverkehrs zu erwarten ist.
Ein Schwerpunkt des Heftes, an dem Grundlagen und Ergebnisse der Prognosearbeit erläutert wird, ist die Bevölkerungsentwicklung – sowohl in der bundesdeutschen Verteilung als auch auf der kommunalen Ebene. Ein Aspekt, der dabei naheliegenderweise behandelt wird ist die der Rolle der Geflüchteten: eine Entwicklung die kaum seriös vorherzusehen war. Aber auch Zuwanderung wird behandelt, letztere ja immer auch relevant vor dem Hintergrund eines (drohenden) Fachkräftemangels. Hierbei wird aber festgestellt, dass die Diskussion zu eindimensional geführt wird und etwa die räumliche Differenzierung oft vergessen wird. So sei zu erwarten, dass gerade die schwachen Räume, die von der Zuwanderung am meisten profitieren könnten, dies am wenigsten tun, da sich „Zuwanderer bei der Wahl eines Zielorts im Zielland keinesfalls an einem ‚demografischen Bedarf‘ orientieren.“ Was die Forscher zum Thema Geflüchtete zu sagen haben, klingt ebenfalls etwas anders, als es die aktuellen, hysterischen Diskussionen sind: „Annahmen, dass durch das Recht auf Familiennachzug eine zweite Zuwanderungswelle (…) erfolgt, bestätigen sich nicht.“ Das dürfte gerne auch einmal Eingang in die politische Diskussion erhalten.

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