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Keine anderen Sorgen?

Erster Preis beim Europäischen Architekturfotografie-Preis 2019: Dirk Härle (Bild: architekturbild e.v.)

Erster Preis beim Europäischen Architekturfotografie-Preis 2019: Dirk Härle (Bild: architekturbild e.v.)


Stilkritik (69) | Mit seinem diesjährigen Thema „Joyful Architecture“ verläuft sich der architekturbild e.v. als Auslober des Europäischen Architekturfotografiepreises in allzu großer Beliebigkeit.


Um es gleich zu sagen – der Autor dieser Zeilen hatte einst mitgewirkt an der Entstehung des architekturbild e.v., jenes Vereins, der sich mit Nachdruck der „Förderung der fotografisch-künstlerischen Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt“ verschrieben hatte. So jedenfalls formulierten es die Architekten im Gründerkreis. Die Fotografen in diesem Kreis brachten einen weiteren Schwerpunkt in die Satzung ein, nämlich: „mit der Fotografie neue Wege in der Kunst aufzuspüren, deren Artikulation zu unterstützen und bekannt zu machen“. Anfangs ließ sich aus solchen nicht ganz deckungsgleichen Erwartungen für beide Fraktionen weitgehend Erfreuliches schöpfen. In paritätisch besetzten Jurys suchten die Einen nach Exempeln einer treffsicheren, manchmal bissigen oder einfach originellen Illustrierung baukultureller Phänomene (in immer weiter ausholendem Sinne); die Anderen freuten sich regelmäßig über das Auftauchen dieses oder jenes brandneuen visuellen oder inszenatorischen Trends von den renommierten Fotoschulen des Landes. Dem klaren Vereinsnamen „architekturbild“ jedenfalls wurden die Ausstellungen, mit denen die Gewinner der alle zwei Jahre ausgelobten Wettbewerbe durch immer bedeutendere Galerien bundesweit gereicht wurden, allemal gerecht. Ob unter deren Besuchern mehr Architekten oder mehr Fotoenthusiasten waren, wurde nie ermittelt. Wozu auch.

Auch wenn ich nach beruflicher Neuorientierung irgendwann den Verein verließ, so war ich doch alle zwei Jahre wieder neugierig, was Fotografen den Architekten so alles über ihr Metier mitzuteilen, pardon: zu zeigen hätten. Wer gern Bilder anschaut, kam noch jedesmal auf sein Kosten. Vor allem dann, wenn die fotografischen Miniserien (laut Ausschreibung mit vier Fotografien Pflicht!) sich auf mehr oder weniger deutliche Weise an der jeweiligen thematischen Vorgabe abarbeiteten: Leitvokabeln wie „Dazwischen“ (2011), „Nachbarschaft“ (2015) oder „Grenzen“ (2017) schienen da gute Orientierung zu bieten, gehören sie doch zur Wahrnehmungswelt von Planern genauso wie der von Fotografen. Was allerdings beim Jahrgang 2019 auf die Shortlist der Auszeichnungen und Anerkennungen gelangte, darf man wohl, gelinde gesagt, überwiegend irritierend nennen: Vermurkste Interieurs, verkorkste Bastelobjekte, optische Farb-und Flächenspiele, schwerelos rotierende Figuren, ratlose Touristen vor Weltkultur. „Joyful Architecture“?


Einer von zwei zweiten Preisen: Nikolas Fabian Kammerer (Bild: architekturbild e.v.)

Einer von zwei zweiten Preisen: Nikolas Fabian Kammerer (Bild: architekturbild e.v.)

Freudvoll sind fraglos nicht die Architekturelemente, sondern die gezeigten Szenen für denjenigen Betrachter, der mit Gelassenheit und Humor auf unsere Umwelt schaut.“ So Juryvorsitzender Rainer Nagel zum Preisbeitrag von Dirk Härle. Die gleich platzierte Arbeit von Nikolas Fabian Kammerer (ein Kunstwerk bei Nacht? Ein Kinderbauernhof?) erntet im Juryvotum noch kräftigeren Applaus: „Hurra, die Bilder rocken. Senkrechte Linien sind für Weicheier, hier geht alles kreuz und quer, poppig bunt vor kosmischem Schwarz: Willkommen im Universum des unendlichen Spaßes am Bau!“ Hey, habt Ihr wirklich keine anderen Sorgen? Und ist man ein Miesepeter, wenn man anstelle solcher Anything goes-Worthülsen gern mehr zu einigen konzeptionell deutlich tiefer schürfenden Arbeiten erfahren hätte?Die wollen uns doch was sagen – die Normspielplätze hinter Kasernen(?)gittern von Oliver Mezger, die selbst noch nach Umbau fassungslos machenden Monsterbauten in Prora in dem aufwändig montierten Panorama von Thomas Spier, oder Sebastian Schlüters zwar nicht neue, aber eben unverwüstliche Imbiss-Kioske an US-Highways, die ja seit Robert Venturi und Denise Scott-Brown jeder neuen Architektengeneration ernste berufsethische Selbstprüfung abverlangen.

Eine Anerkennung: Oliver Mezger (Bild: architekturbild e.v.)

Eine Anerkennung: Oliver Mezger (Bild: architekturbild e.v.)


Um nicht falsch verstanden zu werden – dies ist keine Fotografenschelte. Da hat jeder die Ausschreibung auf seine Weise gelesen, und es ist dann seine Sache, wie er die Aufgabenstellung interpretiert. Aber es ist Sache der Vereinsmitglieder, welche Themen für ihre Wettbewerbe formuliert werden, wie sie Fotografenehrgeiz und Architektenneugier möglichst produktiv zueinander bringen: Augenschmaus und kluge Welterzählung – eine neue Einheit! Architekturfotografie ist eine Spezialdisziplin der Fotokunst, und es stehen Leistungen großartiger Koryphäen im Raum, an denen sich zu messen niemals ehrenrührig ist. Gerade wenn „das Potential der Architekturfotografie ausgelotet werden [soll], um die Grenzen des Mediums immer wieder neu definieren und abstecken zu können“, wenn also die Türen vom Verein weit aufgemacht worden sind, wäre es Aufgabe der Jury, dafür zu sorgen, dass sich die Grenz-Erkunder nicht in der großen Beliebigkeit verlaufen. Des diesjährigen Juryvorsitzenden „schmunzelnde Erkenntnis, dass es von allem etwas ist“, ist auf jeden Fall zu wenig.

Eine Auszeichnung: Walter Fogel (Bild: arcgitekturbild e.v.)

Eine Auszeichnung: Walter Fogel (Bild: architekturbild e.v.)


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