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Die Cheops-Pyramide (vorne) ist mit 146,49 Metern Höhe das größte der drei Steingräber. (Bild: © Marcello Bertinett)

Es gibt sie, … nur wenige zwar, doch es gibt sie: Architekturfachbücher, die sich wie spannende Romane lesen. Sie sind so selten, weil der Stoff, aus dem die Seiten gesponnen sind, dazu geeignet sein muss, eine besondere Geschichte zu erzählen. Über charismatische Baumeister, spektakuläre Projekte, prägende Epochen, ungewöhnliche Materialien … oder eben geheimnisumwitterte Bauwerke.


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Bernhard Kerres: Cheops – In der Mitte der Pyramide 296 Seiten, 415 Abbildungen, 30 x 30 cm, Leinen gebunden, 68,00 Euro
edition esefeld & traub , Stuttgart, 2018

Wie zum Beispiel die Grabstätten der Pharaonen, speziell die Pyramiden und im ganz Speziellen die Cheops-Pyramide, die mit ihren 146,59 Metern nahezu 4000 Jahre lang den Höhenrekord bei den Steinbauten hielt. Erst die gotischen Türme der großen Kathedralen schafften es wieder, die 150-Meter-Marke zu knacken – die 2551 bis 2528 v. Chr. erbaute Cheops-Pyramide blieb bis zum Jahr 1311 das höchste je von Menschenhand geschaffene Bauwerk, bis es vom Vierungsturm der Kathedrale von Lincoln abgelöst wurde, dessen 160 Meter Höhe selbst weitere 200 Jahre unerreicht bleiben sollte. Wie es die Baumeister und Bauarbeiter der Pharaonen mit ihren damaligen Arbeitsmitteln geschafft haben, über 200 Steinlagen auf quadratischem Grundriss so exakt aufeinander zu stapeln, dass vier gleich große dreiecksförmige, identisch geneigte Flächen entstehen, die sich an der Spitze an einem Punkt treffen – es ist und bleibt ein Rätsel.


Eine faszinierende Zeitreise mit detektivischen Analysen

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Die Cheops-Pyramide war fast 4000 Jahre das höchste Bauwerk der Welt (Bild: esefeld & traub)

Sehr anschaulich und spannender als so mancher Schwedenkrimi serviert uns der Autor und Architekt Bernhard Kerres die vielen bislang ungeklärten Fragen zu diesem unbestritten einmaligen Bauwerk aus dem Alten Reich der insgesamt fünf ägyptischen Epochen oder 31 Dynastien. Der Titel »In der Mitte der Pyramide« ist dabei wörtlich zu nehmen – denn Kerres gibt sich nicht mit den Äußerlichkeiten dieses gebauten Rätsels zufrieden, über das sich rund 30.000 Verweise in Google finden, wenn man „Bau der Cheops-Pyramide“ in das Suchfenster tippt – unzählige Quellenangaben nicht eingeschlossen.

Gleich im Vorwort stellt Kerres denn auch selbstkritisch die Frage: Warum diesen Tausenden Publikationen mit diesem Werk noch eine weitere hinzufügen? Die Antwort gibt dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite – schlägt man es auf, begibt man sich auf eine faszinierende Zeitreise, verliert sich in detektivischen Analysen und stößt auf verblüffende Details. Es ist bemerkenswert, mit welcher Akribie, mit was für einer umfassenden Logik und einem oft atemberaubenden Spagat der Autor die Lücke zwischen Analyse und Theorie zu schließen versucht, um für Unerklärliches eine Erklärung zu präsentieren.


24 spannende Kapitel, die wie Zahnräder ineinander greifen

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Gut strukturiert und mit 415 Abbildungen illustriert liest sich das Fachbuch spannender als so mancher Schweden-Krimi. (Bild: esefeld & traub)

Der Leser hat keine Chance, sich nicht von diesem Buch und Bauwerk faszinieren zu lassen, sich dem Sog dieses Labyrinths aus Fakten und Fragen, Wissen und Rätseln, Kammern und Gängen, Fallen und Funktionen zu entziehen. Dieser Versuch der Quadratur der Pyramide ist nicht nur wegen seines Inhaltes lesenswert, sondern auch wegen seines Aufbaus, dem eingangs erwähnten Plot, der aus dem Fachbuch eben diesen spannenden Roman macht. Drei große Abschnitte bringen in Summe 24 thematisch aufeinander aufbauende, wie Zahnräder ineinander greifende und doch in sich abgegrenzte Kapitel hervor.

Der erste Teil befasst sich mit dem äußeren Bild der Pyramide – ihrer eigentlichen Funktion, der städtebaulichen Relevanz, der Statik und Struktur, der messtechnischen Kontrolle, der geometrischen Form(el) und schließt mit dem Geheimnis um die Zahl Pi.
Der zweite Teil entführt den Leser in das innere Gang- und Kammersystem, untersucht dessen Grundgerüst, durch Grabräubertunnel geht es vorbei an Luftschächten bis zur Königs- und Königinnenkammer und so ganz nebenbei wird dabei die Schwierigkeit der Mitte-Bestimmung in der Bauphase herausgestellt. Auf Seite 148 schließlich findet man sich in einem dramatischen Grabräuber-Szenario, das, anstatt mit Klischees zu spielen, sehr wahrhaftig und detailliert nachzeichnet, welche Tücken, Täuschungen und Fallen sich die Baumeister einfallen ließen, um die Grabstätte zu schützen und welche Abenteuer die Eindringlinge erfahren mussten. Spätestens ab hier ist man derart angefixt auf die in Teil 3 dargelegten Theorien zur Bauwerksanalyse und dem Pyramidenbau an sich, dass man sich zu ärgern und fragen beginnt: Warum habe ich Architektur und nicht Ägyptologie oder Archäologie studiert?


In der Mitte der Pyramide – des Rätsels ungelöste Lösung

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Zahllose ungelöste Rätsel birgt insbesondere das Innere der Pyramide – dreidimensionale Schnittzeichnungen legen das Gamgsystem offen und erklären die Statik und Funktionen der Kammern, Gänge und Schächte. (Bild: esefeld & traub)

Hat man dann nach knapp 300 Seiten den Ausgang aus der Mitte der Pyramide gefunden und füllt seine Lungen wieder mit frischer Luft, versteht man diese der Architektur anhaftende Faszination, die sowohl interessierte Laien als auch gestandene Fachleute immer wieder überfällt, wenn ihr staunendes Gesicht die dahinter steckende Frage entlarvt: »Verdammt, wie haben die das nur gemacht?« Die Cheops-Pyramide ist dafür das Paradebeispiel – ein geometrisch exakt aufgetürmter Steinhaufen, der in seiner scheinbaren Schlichtheit noch nach über 4500 Jahren mehr Geheimnisse in sich birgt als so manches komplexe Bauwerk der Neuzeit. Bernhard Kerres versteht es, in seinem Fachbuch sich eben diesen analytisch und zugleich elektrisierend anzunähren, des Rätsels Lösung mit Theorien auf die Spur zu kommen um am Ende doch zu erkennen: So ganz genau weiß man´s nicht. Spannend, oder? Kaufen!

»Das Buch … trifft mit seinem Titel ins Schwarze. In der Mitte der Pyramide, dort befindet sich der Schlüssel zu seinen überraschenden und sehr plausibel klingenden Theorien. (…) Ein faszinierendes Buch von einem ausgewiesenen Kenner der Materie mit neuen und überzeugenden Ideen.« Dr. Ulrike Fritz, Ägyptologin