Die Geschichte der neuen Nationalbibliothek in Luxemburg begann holprig: An einem Ort passender Größe sollten alle Bibliothekseinrichtungen zusammengelegt werden. Kaum gefunden und mit einem Wettbewerbsgewinn von Bolles+Wilson vorbereitet, wurde ein neuer Standort festgelegt. Für diesen erhielten die Architekten einen Direktauftrag – und entwarfen über rechteckigem Grundriss ein signifikantes Gebäude, das sich einer vermeintlich effizienten Kistenlogik entzieht.
Architekten: Bolles+Wilson, Münster (Bild oben: Christian Richters)
Die Zeit, als man problemlos mit schwarzen Köfferchen seine Wertsachen in Luxembourg deponieren konnte, mag vorüber sein, aber dem Land und seiner Hauptstadt geht es gut, salopp gesagt: Wirtschaftlich läuft der Laden.
Zigtausende – Saarländer, Pfälzer und vor allem Lothringer – pändeln täglich zur Arbeit nach Luxembourg. Relativ neu und ohne großen gestalterischen Anspruch aufpoliert ist die Avenue John F. Kennedy: eine Verkehrsschneise gewaltigen Ausmaßes von Westen Richtung Innenstadt durch die Bürostadt Kirchberg. Bürgersteige, zwei Trambahnspuren, großzügige Radwege, vier bis sechs Autospuren: Zwar kann man diese Trassen hier und da überqueren, aber ein fußgängertauglicher Boulevard wird er nimmermehr. Oberhalb der Altstadt gelegen, sind entlang dieser Avenue Bürobauten von erbitternder Banalität und Belanglosigkeit entstanden, ein Fanal des Bauwirtschaftsfunktionalismus von Banken und dazugehörigen „Finanzdienstleistern“.
Vorweg
Diese Vorbemerkungen fallen lang aus, weil man hier eben keine Nationalbibliothek vermutet, die den Wissbegierigen, den Literatur- und Musikfreunden einen Daseinsort und eine beschauliche, kommunikationsfördernde Umgebung im Freien bieten könnte. Wissenschaftler im engeren Sinne haben andernorts in Belval, nahe der Universität, ihre eigene Bibliothek, während die Nationalbibliothek ein offenes, mit großem Präsenzbestand bestücktes Haus für alle sein soll.
2003 war noch ein Wettbewerb für die Nationalbibliothek an zentralerem Ort vorgesehen, den Bolles+Wilson gewonnen hatten. Allein, an der „Place de l’Europe“, in der Nachbarschaft von Kulturbauten, sollte sie wider alle Vernunft nicht gebaut werden, sondern eben auf einem Terrain entlang der oben beschriebenen Verkehrsschneise und Bürostadt. Die Architekten mussten bei Null anfangen, hatten eine komplett andere stadträumliche Situation zu retten und die Ansprüche an den Innenraum und die Lagerkapazitäten nicht aufzugeben.
Le bâtiment rouge
Fragt man nun Passanten nach der Nationalbibliothek, zucken sie mit den Achseln. Doch als eine Dame nachfragt, ob es das rote Gebäude, das bâtiment rouge, sei, ist alles klar: Etwas Vergleichbares gibt es an der Avenue nicht. Vor dem Gebäude hält eine Tram, deren Haltestelle die Wirkung der Eingangsgeste durchaus einschränkt. Aber mit der schräg zurückgeneigten Decke, der Fassade mit unterschiedlich rot durchgefärbten Betonplatten und einer bunt gefliesten Seitenwand entsteht eine verschwenderisch opulente, aber nicht spektakuläre Fassadenwirkung. Sie ragt mit architektonischem Anspruch aus allem heraus, was in der Nachbarschaft in den letzten Jahren entstand.
Licht und Ruhe
Innenräumlich überrascht eine sehr selbstverständliche, sich ohne jegliche Schilder erschließende Benutzbarkeit der Bibliothek. Café, Schließfächer, Ausweisstelle, Schranken zum gut einsehbaren, großen Lesesaal: Alles ist plausibel. Auch Konferenzen und Seminare können hier stattfinden, entsprechende Räume finden sich rund um einen mittigen, bis unters Dach offenen, mehrgeschossigen Lesesaal. Die Orientierung ergibt sich durch die Offenheit von selbst, die Balance zwischen introvertierten Ruhezonen und vor allem zum Park hin großzügigen Ausblicken ist stimmig. Die Materialien – Holz, weiß gestrichener Stahl, Teppichfußboden – fügen sich unspektakulär in ein stimmiges Ganzes.
Der Reiz des Lesesaals ergibt sich vor allem aus seiner Geometrie. Die Abkehr von bedingungsloser Rechtwinkligkeit wirkt nicht ansatzweise so überzogenen wie die schiefen Winkel anthroposophischen Bauens oder die Verspieltheit der Bauten von Günter Behnisch.
Späte Einsicht
Zurück in die Umgebung. Unter anderem in Paris-Bercy, in Birmingham oder in Minsk sind Bibliotheken zu Aufwertung von heruntergekommenen Stadtteilen gebaut worden – nicht gerade mit Bilbao-Effekt, aber immerhin in Pionierfunktion. Hier in Luxembourg erdrückt eine bereits finanzwirtschaftlich besetzte Umgebung. Mit der Bibliothek ist mithin das Beste gelungen, was man von Architektur in solchem Kontext erwarten kann. Erfahrung im Bibliotheksbau und die Lust am ortsbezogenen Gestalten spiegeln sich in ihr wider.
Bibliothèque Nationale du Luxembourg
37d, Avenue John F. Kennedy
Luxembourg
Bauherr
Le Gouvernement du Grand-Duché de Luxembourg
Ministère de la Mobilité et des Travaux publics
Architekten
Bolles+Wilson, Münster
Ausschreibung und Bauleitung
Jean Luc Wagner, Jörg Weber, Esch-sur-Alzette
Tragwerksplaner
Schroeder & Associés, Luxembourg
Energiekonzept
Ernst Basler + Partner, Zürich
Akustik
Ingenieurbüro Moll, Berlin
https://bnl.public.lu/fr/infos-pratiques/heures-ouverture-acces.html