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Margherita Spiluttini © Gert Walden

Am 2. März starb in Wien die international renommierte Architektur-Fotografin Margherita Spiluttini. Mit ihrer Art des Sehens und Fotografierens beeinflusste sie eine ganze Generation von Fotograf:innen und die fokussierte Sicht auf Dokumentationen des Bauens und des Gebauten.


oben: Harry Glück, Wohnhausanlage Alt Erlaa, 1230 Wien, 1973–1985
© Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

Alles mit Bauen …

Sie stammte aus Schwarzach im Pongau. Urgroßvater Spiluttini, Maurermeister, kam aus Friaul ins Salzburgische, wurde Ende 19. Jahrhunderts in Schwarzach sesshaft, sein Sohn Ambros war intensiv am Bau der Tauern-Gebirgs-Bahn beteiligt und gründete die eigene Firma. Vater Alois erweiterte als planender und ausführender Baumeister die Firma zum führenden Betrieb der Region; Mutter Herma war ausgebildete Lehrerin, Bruder Hartmut wurde engagierter Architekt und übernahm 1974 die Firma. Margherita hatte als Kind und Jugendliche ihren Vater oft zu den Baustellen begleitet, erlebte da seine Begeisterung für die technischen Intervention in alpinem Gelände. Ihre Ausbildung erhielt sie als Medizinisch Technische Assistentin inklusive technischer Laborfotografie, und so arbeitete sie zunächst in dem Metier am Allgemeinen Krankenhaus in Wien. 1970 heiratete Margherita den auch aus Schwarzach stammenden, aufstrebenden Jungarchitekten Adi Krischanitz – 1972 kam die Tochter Ina zur Welt.

… und Fotografie und Selbstvergewisserung

Schon 1973-74 hatte Margherita Spiluttini im Atelier der Gruppe „Missing Link“ – Hareiter/Kapfinger/Krischanitz – ihr eigene Dunkelkammer. Mit uns zusammen begegnete sie 1976-77 Friedrich Achleitner, der damals in den Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Architektur ÖGfA zurückkehrte. Margherita Spiluttini übernahm von da an die Entwicklung der Film-Negative und Kontaktstreifen, die Achleitner bei seinen Reisen für die Österreich-Bände fotografierte.
Ab 1976-77 suchte sie parallel schon selbständige Wege; die Rolle als gute Hausfrau und technische Dienstleisterin im Schatten dominanter Männer wurde ihr zu eng, sie nahm Verbindung auf mit den jungen, lokalen Zirkeln der Frauenemanzipation – im Vorfeld der Wiener WUK-Gründung, im Umfeld der feministisch sozialkritischen Initiative AUF und der Zeitschrift „Stimme der Frau“. Sie erstellte Reportagen von Veranstaltungen, Demos, Hausbesetzungen, und sie setzte ihre Kamera am Stativ erstmals auch als Medium zur Selbstvergewisserung ihrer täglichen Routinen ein.

1978 bis 1980 kamen dann erste Pressefotosfür Interventionen der ÖGfA zustande – gegen willkürliche Bau-Abbrüche, gegen falsche Neuplanungen in Stadt und Land. 1981 begannen ich und Dietmar Steiner mit ihren wöchentlichen Architektur- und Planungskritiken in „Die Presse“ – die Fotos dazu lieferte stets Margherita, in gemeinsamer Erkundung und Diskussion der „Tatorte“; logisch, dass sie 1983-84 dann jene 300 Bauten von der Gotik bis zur Gegenwart in Wien neu aufnahm, als Teil eines überaus erfolgreichen Buch-Planes, den ein Redaktionsteam der ÖGfA im Auftrag der Stadtgemeinde konzipierte.

Herzog & de Meuron, Bibliothek der Universität Cottbus, Deutschland, 2001–2004 © Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

Herzog & de Meuron, Bibliothek der Universität Cottbus, Deutschland, 2001–2004
© Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

Sie oder keine

Von da an ist sie die führende, gesuchte Fotografin der zeitgenössischen Architekturszene im Lande. Ihre internationale Karriere beginnt 1990. Vier Jahre davor schon hatte sie erste Kontakte mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die als blutjunge „Rising Stars“ der Schweizer-Szene im Lokal der ÖGfA zum Vortrag geladen waren: Bis tief in die Nacht wurde dort diskutiert, am nächsten Tag war man zum „Brunch“ im Krischanitz´schen Dachausbau Schönlaterngasse zu Gast, wo es lange noch weiterging …
1989 reiste Margherita auf dem Weg nach Rom über die ART-BASEL, wo unter anderem Jacques Herzog und Pierre de Meuron an einem Symposion teilnahmen. Pierre de Meuron fragte sie dort, ob sie nicht mit nach Laufenfahren möchte, um ihr neues Ricola-Lagerhauszu fotografieren, was umgehend erfolgreich gemacht wurde.

In der Folge luden Herzog & de Meuron Spiluttini mit drei anderen Bildkünstlern ein, sie mit großen Foto-Gruppen als Schweizer Beitrag 1991 auf der Architekturbiennale in Venedig zu präsentieren. Herzog & de Meuron arbeiten von Anfang an im Dialog mit Filmleuten, Konzeptkünstlern, Fotografen, Fachleuten aus anderen Disziplinen; und mit ihrem untrüglichen Instinkt für Qualität, für die eigenständige Wirklichkeit der medialen Repräsentanz von Gebautem sicherten sie sich die Mitwirkung von Margherita. Sie wird zu einer bevorzugten Dokumentaristin der späteren Pritzker-Preisträger, folgt deren Werkspuren in Europa und Übersee.

 

Kulturwissenschafter Herbert Lachmayer stellt 1992 den Kontakt zu Hans Ernst Weidinger her – einem exquisten Kunstkenner und Mäzen, der eine Dokumentation über den seit der Römerzeit betriebenen Steinbruch Deutsch-Altenburg publizieren möchte. Dieses Buch kommt nicht zustande, gibt aber Margherita den Anstoß, auf ihren Auftragsfahrten Steinbrüche in Deutschland, Österreich und Schweiz aufzusuchen und als eigenes Thema zu entwickeln. Parallel dazu beginnt sie – ebenfalls als Nebenaspekt der Architektur-Auftragsreisen –, ihr Panorama der Infrastruktur- Eingriffe in alpine und hochalpine Landschaften – Straßen, Brücken, Tunnels, Staumauern in zum Teil dramatischer Bergwelt zu fotografieren. Ihre Palette ist vom frühen Schwarz-Weiß zur Farbe erweitert, ihr Blick richtet sich von den zu Bauten transformierten Parzellen auf die bauliche Transformation des Landes, der Natur, der Erdoberfläche allgemein. Die Sicht auf so große Räume ergänzen komplementär aufgesuchte Detailblicke: überraschende Nah-Blicke auf die kanonisierten Interieurs der österreichischen Geschichts-Landschaft, berühmte barocke und historistische Interieurs, eine riesige Serie in Farbe, die sie seit 1984 unter dem Titel „Monumente – anders gesehen vorantreibt.

Carl Appel, Gewerbehaus der Wiener Wirtschaftskammer, 1030 Wien, 1952–1954 © Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

Carl Appel, Gewerbehaus der Wiener Wirtschaftskammer, 1030 Wien, 1952–1954
© Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

Alles drauf, alles fehlt

Wer nun Margheria Spiluttini nach dem Stellenwert, nach der Botschaft ihrer Fotos und der Fotografie allgemein fragte, bekam in ihrer charmant freundlichen, glasklar bestimmten Art als Antwort ein Zen-Paradox serviert: „Auf der Fotografie ist alles drauf – aber es fehlt alles!“

In aller Kürze sei nur eine spezielle Qualität angesprochen, mit der sich Spiluttinis Opus charakterisieren ließe. Es gibt im österreichischen Fundus kultureller Utopien einen von Robert Musil geprägten Topos: das „Institut für Genauigkeit und Seele, also die produktive Verbindung tiefer Gegensätze: von Ratio und Emotio, von Sachlichkeit und Poesie, von Abstraktion und Einfühlung und so weiter, um solcherart zu einer tiegründigeren, höheren Erfahrung und Handhabung von Wirklichkeit zu gelangen. Weil sich Musils Un- oder Anti-Held dabei einseitig in infinitesimale Genauigkeit beziehungsweise Skrupulosität verstrickte, blieb er unvollendet, während die Fotoarbeit unserer Margherita – aus dieser Sachlichkeit heraus und immer an ihr entlang – kontinuierlich zu immer komplexeren, vielschichtigeren Erfahrungs- und Empathiestufen gelangte.

Margherita Spiluttini sprach stets nachdrücklich vom Foto-Bild als einem im Bild-Rahmen komponierten Ornament, geformt aus dem räumlichen Material, das sich der Kamera bietet; und dieses ornamentale Konstrukt ist der immer mitschwingende, systemimmanente Verweis auf die Künstlichkeit, auf die Relativität jeder Aufnahme – so tritt das Bild in Distanz zu „Objektivität“, gibt sich als die künstliche Membran zu erkennen, die zwischen subjektiver Wahrnehmung, zwischen Apparat und Wirklichkeit vermittelt.
Spiluttinis Fotos verherrlichen nicht, klagen aber auch nicht an, romantisieren jedoch auch nicht. Ihre Aufnahmen sind foto-bildnerische Vermessungsarbeit von Räumen; wenig frei aus der Hand geknipst, fast immer mit dem Stativ präzise eingerichtet; sie behilft sich weder mit Leitern, Podesten, Kränen oder gar Drohnen, findet immer natürliche Standpunkte aus ihrer Augenhöhe.
Sie arrangiert nicht, sie prägt dem Raum nicht eine zusätzliche Theatralik auf, etwa mit zusätzlichen, versteckt platzierten Lichtquellen oder Reflektoren. Sie agiert hingegen empirisch empathisch, das heisst, sie wartet ab, was sich aus Lichteinfall und Tagesstimmung und anderen „Zufällen“ in den gesetzten Ausschnitt einbringt und damit die kartografierte Szeneaus sich heraus zum Leben bringt. „Genauigkeit / Seele“… es ist ein Hinhorchen, ein Öffnen des Apparats der Sinne für nichtquantifizierbare Momente und Schwingungen: Vergegenwärtigung einer Vision, wie sie die eminente Fotografin und auch Architektin Verena von Gagern einmal so definierte, „dass wir nämlich über das fotografische Sehen der Architektur – der Architektur des Sehens gewahr werden“.

Bewahrt

Das Spiluttini-Gesamtwerk ist dank perfekter Aufbereitung von Iris Ranzinger und weitblickendem Einsatz der öffentlichen Hand ins Archiv des Architekturzentrums Wien eingegliedert und digital bestens zugänglich. Eine Handvoll großartiger Bild-Textbände bietet weiterhin ihre Fotokunst zum handlichen Genießen, erschlossen durch Essays von herausragenden Fachleuten aus Fototheorie, Kunstgeschichte, Architekturkritik, Zeitgeschichte, Technikgeschichte und Mediendiskurs.
Bei ihrer großen Schau „Nach der Natur“ 2002 im Technischen Museum Wien hielt sich Margherita Spiluttini mit elegantem Stock tapfer den ganzen Eröffnungsabend lang aufrecht. Von da an hatte eine nicht heilbare Krankheit ihren Körper sukzessive immer mehr gelähmt, zuletzt eigentlich fast total. Sie arbeitete dennoch unverdrossen weiter, viele Jahre im Rollstuhl. Sie wendete mit der ihr eigenen, lächelnd-eisernen Beharrlichkeit das grausame Manko zu neuen Perspektiven und Werk-Qualitäten, indem sie aus dem Fundus – sagen wir: dem „Steinbruch ihres Archivs“ – in Büchern und Ausstellungen neue Bildkombinationen und -konfrontationen generierte. Ein Höhepunkt in der Hinsicht war wohl 2006 die Schau „Atlas Austria“, zunächst in Madrid gezeigt wurde und dann als ganz große Personale im AzW stattfand, mit begleitendem Buch-Großformat „räumlich“ in der Edition Fotohof.

2015, in der mit Johannes Porsch gestalteten Schau in Linz und Köln „Archiv der Räume“ kam eine nächste Steigerung: Indem sie dort Fotos aus ganz anderen Kontexten als räumliche, objekthafte Applikation an ausgewählte Stellen der Museumsarchitektur, der Türen und Fensterausblicke setzte, wurde aus den flächigen Bilddialogen des Buches eine drei- und vierdimensionale Choreografie des Sehens, der virtuellen „Gespräche“ zwischen Fotos und konkreten Räumen, zwischen Architektur und Stadt, über Raum und Zeit hinweg. Und sie ließ es sich nicht nehmen, nach der Aussstellungseröffnung diese Bild-Raum-Situationen im Linzer Landesmuseum selbst nochmals zu fotografieren und im Katalog, der zur Finnissage erschien, als nächste Schicht von Transformation zu dokumentieren.

Im Freundeskreis

Noch etwas fiel immer mehr auf und prägt jetzt eigentlich auch zentral den Rückblick auf ihre einmalige Persönlichkeit. Je kleiner der körperliche Aktionsradius von Margherita wurde, umso größer wurde sichtlich ihr Freundes- und Bekanntenkreis, umso dichter und feiner entspann sich die Kommunikation mit vielen Menschen aus unterschiedlichsten Fachsparten, auch per Email, per Telefon, stets unterstützt von Architekt Gunther Wawrik – seit vielen, vielen Jahren ihr wunderbar sie begleitender, umsorgender Lebensmensch.

Diese weit übers fachliche hinausreichende Wertschätzung hat wohl damit zu tun, welches schöpferische und menschliche Beispiel Margherita unter diesen beklemmenden Umständen gegeben hat. Trotz der absurden Krankheit und Behinderung zeigte sie in allen Begegnungen eine so anziehende, offene Freiheit und Heiterkeit des Gemüts, eine Wachheit und kritische Regsamkeit des Geistes und der Sprache, eine intellektuelle Unersättlichkeit, eine unsentimentale Scharfzüngigkeit, ausbalanciert mit so viel Empathie, so viel Witz und Herzlichkeit! Wie selten ist das, wie sehr – last not least – ist beziehungsweise war gerade das ein Geschenk, das sie ihrer ganzen Umgebung mitgab und vorlebte.


Dieser Nachruf ist eine auszugsweise Neufassung der Laudatio zur Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Margherita Spiluttini im Herbst 2016.


Literatur

Margherita Spiluttini: Architektur von Herzog & de Meuron, Zürich 1991 / Architektur wahrnehmen;
– dies.: BauArt 3, Linz 1992
– dies.: Neue Häuser. Architekturfotografien, Wien 1993
– dies.: Nach der Natur. Konstruktionen der Landschaft, Wien und Salzburg 2002
– dies.: räumlich; Wien und Salzburg 2007
– dies.: Archiv der Räume, Linz 2015