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Akut gefährdet: Collini-Center von Karl Schmucker

2310_Mannheim_Collini-Center_20100809Die Ölkrise lag zwei Jahre zurück, Wirtschaftskrise und automare Aufrüstung sollten vier Jahre später zur Gründung der Partei „Die Grünen“ führen. Im Mannheimer 1975 eröffneten Collini-Center spiegeln sich Gestaltungsintentionen, die sich bis heute bestens bewähren. Im vierten der insgesamt fünf Beispiele umfassenden Dokumentation des BDA Baden-Württemberg zu „Gefährdeten Arten“, die wir bei Marlowes ausführlich erläutern, geht es um dieses, das Stadtbild prägende Grand Projet.

Collini-Center Mannheim: Verwaltungsturm und Passage sind vom Abriss bedroht. (Bild: Rudolf Stricker, 2010)

 


Neben den barocken Bauten prägen vor allem die Bauwerke der 1970er Jahre das Mannheimer Stadtbild, und eines der markantesten Gebäudeensembles ist das Collini-Center. Entworfen vom Architekten Karl Schmucker, wurde der Komplex 1975 eröffnet. Es besteht aus einem 32-geschossigen Wohn- und einem zehngeschossigen Büroturm, der lange die technischen Ämter der Stadt beherbergte, sowie einer zweigeschossigen Einkaufspassage als Verbindungsbau. Das Ensemble wurde im Zuge der Bundesgartenschau (BUGA) 1975 in enger städtebaulicher Verbindung zu der vis-à-vis liegenden Neckaruferbebauung Nord (NUB) realisiert. Beide Großprojekte setzten neue Akzente im Stadtbild.

Soziales Miteinander

Im Rahmen der Neugestaltung des Neckarufers sollte die Lage Mannheims am Wasser städtebaulich betont und genutzt werden. Von unterschiedlichen Architekten realisiert, aber zeitgleich geplant, wurden die zwei Anlagen des Bau- und Wohnungsunternehmens „Neue Heimat“ als städtebauliche Einheit konzipiert. Es gelang, die beiden Neckarufer durch eine erhöhte Fußgängerebene, den Collini-Steg, miteinander zu verbinden. Beide Planungen folgten dem damaligen Leitbild der  „Urbanität durch Dichte“. Die Gebäude entstanden auch im Bewusstsein der Probleme großmaßstäblicher Gesamtplanungen: Bereits bei der Konzeption bedachte man die Gefahren der Monumentalität sowie der Monotonie. Ziel war, den Wohnkomplex im Collini-Center für ein gutes soziales Miteinander innerhalb der Großstruktur zu konzipieren.

Collini-Center, Ansicht Düd

Collini-Center, Ansicht Süd (Zeichnung: Soffia Jungmann im Rahmen der Masterthesis, Professur Gebäudelehre, Prof. Meinrad Morger, KIT)

Charakteristisch für den Wohnturm des Collini-Centers ist der dreistufige, turmförmige Aufbau mit wabenförmiger Balkonstruktur. Während  dieser in Schottenbauweise gebaut wurde, ist der Büroturm entsprechend seiner Nutzung in einer Stahlbetonskelettkonstruktion errichtet. Die Passage dient als verbindendes Glied zwischen den beiden Türmen und der NUB. Die Collini-Gebäude unterscheiden sich in ihrem architektonischen Ausdruck, bilden in ihrer städtebaulichen Konzeption jedoch eine Einheit. Die Passage bildet den öffentlich nutzbaren Teil des Areals.

Leerstand und mangelnde Pflege

Inzwischen ist der Komplex mit nicht mehr zu leugnendem Leerstand konfrontiert. Sowohl der Verbindungstrakt, als auch der Büroturm stehen leer. In der Passage wurde das Freizeitbad bereits 1990 geschlossen, das Kino 2019. Die technischen Ämter der Stadt Mannheim sind 2021 in neue Büroräume umgezogen. Aufgrund einer maroden Fassade ist der Büroturm seit Jahren von Gerüsten umhüllt. Als Reaktion auf den massiven Leerstand und die renovierungsbedürftige Fassade wurden der Büroturm und die Passage 2020 an einen Investor veräußert, der ein mehrstufiges wettbewerbliches Dialogverfahren veranstaltete.

Grundriss der 1. Obergeschossebene mit der Galerie, die den Collini-Wohnturm mit dem Verwaltungsgebäude verbindet. Die 60° Grad Winkel des dreieckigen Gebäuderasters bestimmen den Entwurf der Gebäudegruppe. (Zeichnung: Soffia Jungmann im Rahmen der Masterthesis, Professur Gebäudelehre, Prof. Meinrad Morger, KIT)

Grundriss der 1. Obergeschossebene mit der Galerie, die den Collini-Wohnturm mit dem Verwaltungsgebäude verbindet. Die 60° Grad Winkel des dreieckigen Gebäuderasters bestimmen den Entwurf der Gebäudegruppe. (Zeichnung: Soffia Jungmann im Rahmen der Masterthesis, Professur Gebäudelehre, Prof. Meinrad Morger, KIT)

Bewohner bestätigen die hohe Wohnqualität im Collini-Wohnturm. (Bild: Wilfried Dechau, 2005)

Bewohner bestätigen die hohe Wohnqualität im Collini-Wohnturm. (Bild: Wilfried Dechau, 2005)

Unzeitgemäße Entscheidungen

Leider zogen alle drei Finalisten den Abriss des vernachlässigten Büroturms einer Sanierung oder Teilsanierung vor, anstatt die bestehenden Ressourcen der Struktur zu nutzen und an die heutigen Vorgaben und Aufgaben anzupassen. Dabei bietet insbesondere die Skelettkonstruktion strukturell  großes Potential für einen Umbau, denn der Wohnturm ist bis heute bewohnt und überzeugt die Eigentümergemeinschaft weiterhin durch ein breites Spektrum an Wohnungstypologien. Die hier lebenden Menschen identifizieren sich mit ihrem Wohnort und bezeichnen sich selbst als „Collini-Bewohner“.  Der geplante vollständige Abriss der zwei Elemente konterkariert die Nachhaltigkeitsaspekte, die in der Wettbewerbsauslobung gefordert wurden. Die wirtschaftliche Betrachtung wurde bei der Entscheidung klar vor die kultur- und baugeschichtliche Relevanz des Gesamtensembles gestellt.

Ein Mannheim prägendes Ensemble: die Schrägkabelbrücke und der Fernsehturm, rechts das Collini-Center (Bild: Wilfried Dechau)

Ein Mannheim prägendes Ensemble: die Schrägkabelbrücke und der Fernsehturm, rechts das Collini-Center (Bild: Wilfried Dechau)

Bürgerengagement

Die Bestandsgebäude sollen nun durch vier „nachhaltige“ Neubauten ersetzt werden. Diese versprechen in den Planungen ein lebendiges Quartier mit einer Nutzungsmischung aus Büros, Geschäften, Kita und Wohnungen und nehmen in ihrer Gebäudeform Bezug auf den Bestand. Der Collini-Wohnturm bleibt als Ankerpunkt des südlichen Neckarufers erhalten, durch die Auflösung der Gesamtkubatur verliert die Stadt jedoch einen markanten Blickpunkt, der im Zusammenspiel mit der Neckaruferbebauung Nord das Stadtbild prägte. Der für den Herbst 2022 datierte Abriss konnte aufgrund der fehlenden Genehmigung seitens der Stadt bisher nicht durchgeführt werden und veranlasst Bürgerinitiativen, weiter auf den Erhalt des Ensembles zu hoffen.

Blick vom Steg zum Passageneingang (Bild: Wilfried Dechau)

Blick vom Steg zur nördlichen Neckarufer-Promenade (Bild: Wilfried Dechau)


https://www.sosbrutalism.org/cms/17515033


Gefährdete Arten. Erhalt versus Abriss in Baden-Württemberg

Ausstellung bis zum 31. März 2023
BDA Wechselraum 
Zeppelin Carré, Friedrichstr. 5, Stuttgart

Eine Ausstellung des BDA Baden-Württemberg im Bündnis mit
Abrissmoratorium, Architects for Future Deutschland e.V., Arbeitskreis Bauwende – Universität Stuttgart, Bundesstiftung Baukultur und Sharing Brutalism – ABK Stuttgart

Kuratiert von Tobias Bochmann, Bernita Le Gerrette, Juliane Otterbach und Jan Theissen

Finissage und Abschlussgespräch: Freitag, 31. März 2023, 19 Uhr mit Alexander Stumm (Abrissmoratorium) und den Kurator:innen.

Weitere Information >>>

Wir danken dem BDA Baden-Württemberg für die Kooperation.