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Es klingt wie eine Erkrankung, bezeichnet aber die Fähigkeit zur Veränderung. Mitte März 2018 diente der Begriff im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt als Untertitel des Symposiums „Wandel, Bekehrung, Verrat?“


Architekten, hieß es leidenschaftslos auf der Einladung, „bedürfen der Mutabilität, um auf Veränderungen, die sie nicht beeinflussen können, zu reagieren. Andernfalls riskieren sie den Verlust der Aufträge, von denen sie existieren.“ Also ist es usus, wenn man wie gmp oder OMA in China baut, sich auf die Unschuld der Steine zu berufen?

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Franz Roeckle. Bauten 1902-1933. Mit Beiträgen von Hubertus Adam, Christoph Jobst, Florin Frick, Wolfgang Voigt und Peter Geiger. Gestaltung von Peter Zimmermann. 175 Seiten, 254 Abbildungen, gebunden, 26 x 30,70 cm Hatje Cantz, 2016, ISBN 978-3-7757-4089-0

Anlass für die Tagung im DAM war die Neuerscheinung eines Buchs über Franz Roeckle (1879-1953), der vor dem Krieg für jüdische Auftraggeber gebaut hat, mit dem Institut für Sozialforschung in Frankfurt eine „bewusste Sachlichkeit“ im Geiste von Paul Bonatz extemporierte, sich mit weißen Wohnanalagen als Vertreter der Moderne zeigte, dann ungeniert in seinem Heimatland Liechtenstein zu einem alpinen Regionalismus zurückkehrte. Schließlich versuchte er gar mit einem Gewaltverbrechen die Aufmerksamkeit der Nazis zu gewinnen, um damit wieder zu Aufträgen im Deutschen Reich zu kommen. Wolfgang Voigt hat diesen weltanschaulich beweglichen Architekten vorgestellt.

Pionierarbeit: Werner Durth wurde 1992 für seiner Forschungen zu den biographischen Verflechtungen mit dem Schelling Architekturtheorie-Preis ausgezeichnet.

Pionierarbeit: Werner Durth wurde 1992 für seiner Forschungen zu den biographischen Verflechtungen mit dem Schelling Architekturtheorie-Preis ausgezeichnet. Wie sich Architekten an jegliche politische Verhältnisse anpassen können, hatte er nüchtern nachgewiesen.

Weltanschauliche Beweglichkeit

Es ging also doch um Politik und um die Generation, die sich im Nationalsozialismus arrangieren musste. Wolfgang Pehnt erinnerte an Peter Behrens, Wilhelm Kreis, Dominikus Böhm, Rudolf Schwarz und ihre „Thanatose“ (Schreckstarre | ein weiteres Fachwort war zu lernen), um damit politische Zuverlässigkeit zu beweisen. Wolf Tegethoff zeigte mit dem Weltausstellungspavillon von Mies van der Rohe, wie der Architekt Totalitarismus als Gesamtkunstwerk interpretierte, in seinen Entwurf lieblos die verlangten Hoheitszeichen kritzelte und damit der Chance, zum Staatsarchitekten aufzusteigen, entging.

Es gab also verschiedene Haltungen zum Nationalsozialismus, wobei „die Hure“ Philip Johnson, wie er sich selbst einmal titulierte, zeitlebens äquilibristisches Talent bewies. Uwe Bresan begleitete seinen Vortrag über den eitlen Meister mit einer Fülle von Pressefotos und resümierte, dass der ererbte Reichtum und seine Homosexualität Johnson das Selbstbewusstsein für eine gesellschaftliche Außenseiterrolle verliehen hätten. Ed Taverne ergänzte den Parcours schließlich mit dem Shell Gebäude von J.J.P. Oud, bei dem der De-Stijl-Architekt jenseits politischer Ambition mit Symmetrie, Geometrie und Proportion das Gebäudetrumm zu bändigen versuchte und dabei mit einem Repertoire an Schmuckdetails die Postmoderne eines John Outram vorwegnahm.

Dokumentation studentischer Arbeiten an der ETH Zürich zum Thema "Wohnen", erschienen 1999

Dokumentation studentischer Arbeiten an der ETH Zürich zum Thema „Wohnen“, erschienen 1999

Schnelles Vergessen

Ein wenig erinnerte das Symposium damit an das Konzept von Klassik-Radio. Informativ und bisweilen unterhaltsam, aber nicht wirklich überlebenswichtig. Werner Durth hatte bereits vor drei Jahrzehnten mit seinen „Biographischen Verflechtungen“ die entscheidende Frage gestellt, nämlich „Wie und mit welchen Folgen handeln wir heute, angesichts aller uns bekannten Gräuel in der Welt und der inzwischen vermeidbaren Not?“ Und selbst wenn man in ästhetischen Kategorien bleibt, hätte man die Geschichtsforschung zu gerne in die Gegenwart verlängert und eine Antwort darauf gefunden, warum Architekten wie Hilmer & Sattler, Kollhoff oder Kahlfeldt für Haltungsschäden prädestiniert sind: Wandel, Bekehrung, Verrat?