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Marktgeschrei (11) – Architekturbiennale in Venedig: Während der Eröffnungstage bieten sich Gelegenheiten, Veränderungen der Stadt zu sehen, deren Jahrzehnte gezählt sind.


Im Bild oben: Hitze im Mai in Venedig. Auf der Rialto-Brücke drängen sich Menschen in einer Enge wie Sardinen in der Büchse, dahinter sieht man das Gedränge auf dem „Event-Dach“ der Fondaco Tedeschi. (Bild: Ursula Baus)


Globalisierte Ersatzheimaten
Neue Erschließung der Verkaufsebenen mit roten Rolltreppen (Bild: OMA Office)

Neue Erschließung der Verkaufsebenen mit roten Rolltreppen (Bild: OMA Office)

Heute bei der Ankunft in Venedig bot sich die Gelegenheit, den bei der letzten Biennale noch nicht fertigen Umbau der Fondaco Tedeschi von Rem Koolhaas (OMA Office) anzusehen. Der prachtvolle Gebäudetrakt am Canale Grande neben der Rialto-Brücke ist einer der größten Bauten Venedigs und geht auf das frühe 13. Jahrhundert zurück. Mehrere Etagen um einen schönen Hof – das ist die Gebäudetypologie, die sich nicht nur hier in Venedig bewährt hat. Von Deutschen als Handelshaus, unter Napoleon als Gästehaus und unter Mussolini als Postamt genutzt, zeugt der Palast heute ein Mal mehr davon, dass Geld die Welt regiert. So gut, so langweilig. OMA Office baute den Palast zur Shopping-Mall um. Sie kann als letzter Akt einer irrwitzig kommerzialisierten Welt gedeutet werden.

Die Galerien um den Hof bieten erschöpften Besurchern wenigstens etwas Platz zum Ausruhen. (Bild: Ursula Baus)

Die Galerien um den Hof bieten erschöpften Besuchern wenigstens etwas Platz zum Ausruhen. (Bild: Ursula Baus)

Wo sich welche Touristen heute in Venedig auf engstem Raum historischer Authentizität versammeln, spiegelt sich die Distinktion einer globalisierten Wirtschaftskraft. Auf den Etagen der Fondaco Tedeschi, auf denen es nichts anderes als extrem teure Juweliersware, überkandideltes Damenschuhwerk und „hochpreisiges“, kanonisiertes Herren-Outfit gibt, laufen fast nur Asiaten umher – viele sind erschöpft, und man fragt sich, ob Jetlags erschöpfen oder was den erschöpfenden Reiz der angebotenen Ware wohl ausmachen mag.
Ist es die Ware, die Menschen aus anderen Kontinenten herlockt? Sind es die Marken? Glauben tatsächlich noch Menschen den Mythen einer für Qualität bekannten Warenwelt, die sich in der Markenbildung erschöpft hat?
Der Schund ist im scheinbar Exklusiven angekommen. Gewiss gab es auch in den legendären Einkaufstraßen der Welt – Düsseldorfs Kö, der Rue St. Honoré in Paris, der Fifth Avenue und den entsprechenden Straßen in Tokio und überall in der Welt – ein teures, einst gutes und jetzt mediokres Warensortiment, das konservativ robuste Anbieter wie Manufactum gedeihen ließ.

Der rote Faden durchs Haus: die Rolltreppen (Bild: OMA Office)

Der rote Teppich durchs Haus: die Rolltreppen (Bild: OMA Office)

Wie Audrey Hepburn 1961 ins Schaufenster bei Tiffany’s schaute – darin konzentrierte sich die Wunschzettelliste einer breiten Konsumgesellschaft, die zwischenzeitlich lieber in den Apple Stores die neuesten iPhones bewundert und kaum mehr die Juweliersangebote. Darin mag sich ein Epochenwandel andeuten, und wer weiß schon, wo die Begehrlichkeiten künftig landen. Aber dermaßen liederlich wie in der Fondaco Tedeschi wurde vermeintliche Kultware noch nicht präsentiert.
Konsumwahn als Dekadenz zu deuten, ist wahrlich nicht neu. Aber hier in der Fondaco Tedeschi fehlt die melancholische Gleichgültigkeit, die der Dekadenz eignet – sie ist der hektischen Outlet-Mentalität gewichen.