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Presse-Notiz „Zukunftsperspektiven“ – ein Heißluftballon


Marktgeschrei (4): Erfolgreiche, große Architekturbüros veröffentlichen ihre eigene Architektur gern in selbst finanzierten Büchern oder Zeitschriften – und machen damit Eigenwerbung. Ob sie dabei den unabhängigen Architekturzeitschriften und eMagazinen und deren Architekturkritik etwas entgegensetzen möchten oder nicht, sei dahingestellt. Und nun aus aktuellem Anlass: Im Auftrag von gmp hat Alexander Gutzmer – Chefredakteur der Zeitschrift „Baumeister“ – das Thema „Zukunftsperspektiven“ aufgegriffen. Wolfgang Bachmann kommentiert.


Nein, es geht bei "concretegmp" nicht um Projekte des Büros gmp, die in Beton realisiert worden sind, sondern um Themen weiterer Relevanz. (Bild: website gmp)

Nein, es geht bei „concretegmp“ nicht um Projekte des Büros gmp, die in Beton realisiert worden sind, sondern um Themen weiterer Relevanz. (Bild: website gmp)

Zukunft

In ihrem Magazin concretegmp berichten die Architekten von Gerkan, Marg und Partner kontinuierlich über die hageldichten Erfolge ihres Architektur-Unternehmens. Jedes der auf einen Schwerpunkt fokussierten Hefte wird von einem journalistischen Text eröffnet. In der aktuellen Ausgabe Nr. 19 widmet sich Alexander Gutzmer dem Thema „Zukunftsperspektiven“.
Zunächst: Architektur ist immer auf Zukunft orientiert, dazu muss sie gar nichts Besonderes leisten, damit man sie über eine gewisse Frist als Immobilie abschreiben kann. Es muss also um mehr gehen, um eine Vision, wie Architektur im günstigsten Fall zu lebenswerten Städten beitragen kann. Solche (utopischen) Idealplanungen kennen wir aus der Baugeschichte. Der Autor erinnert an Ledoux, Le Corbusier oder Costa/Niemeyer und setzt die Chronologie fort mit dem Verweis auf Lingang New City aus dem Hause gmp. Das erstaunt nicht, es ist völlig legitim, dass man in – mutmaßlichen – Honorarbeiträgen seine Auftraggeber ins beste Licht setzt.

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„Das Konzept von Lingang New City greift die Ideale der tradierten europäischen Stadt auf und verbindet sie mit einer „revolutionären“ Idee: Den Mittelpunkt bildet – anstelle eines baulich verdichteten Stadtzentrums – ein kreisrunder See von 2,5 km Durchmesser und 8 km Seepromenade mit einem Badestrand à la Copa Cabana im Herzen der Stadt. Kulturbauten und Freizeitangebote sind auf Inseln situiert und per Schiff erreichbar. Die Stadt Alexandria, als eines der sieben Weltwunder, stand Pate für den Entwurf; die Lebensqualität durch die Nähe zum Wasser bezieht sich auf Referenzen aus Hamburg. Das Bild konzentrischer Wellen, die durch einen ins Wasser fallenden Tropfen gebildet werden, ist das metaphorische Leitbild der ganzen Stadtstruktur. Dieser Allegorie entsprechend gliedern sich die Nutzungsstrukturen in konzentrischen Ringen von innen nach außen um den zentralen Lake Dishui.“ (Bild und Erläuterung: gmp Architekten)

Zukunft verräumlichen

Irritiert sind wir dagegen von den Attributen, die den Versuch, „Zukunft zu verräumlichen“ auszeichnen sollen. „Die Architektur von morgen muss mutig sein“, plädiert Gutzmer, sie muss „groß denken, […] zugleich aber ergebnisoffen“ funktionieren. Das bedeutet, dass Gebäude nicht nur haltbar sein und einen eindeutigen Zweck erfüllen, sondern sich der Gesellschaft als „Möglichkeitsräume“ anbieten sollen. Was er sich darunter vorstellt, verrät der Autor nicht. Geht es um multifunktionale Gemeindezentren wie in den 1970er-Jahren? Oder um eine vorsorglich ausgelegte Haustechnik, falls ein Bürogebäude einmal zum Wohnen umgerüstet wird – was Otto Steidle schon vor zwanzig Jahren beiläufig erledigt hat? Und wann ist eine Architektur „ergebnisoffen“? Da fällt uns in erster Linie der BER-Flughafen ein, der vielleicht nie fertig wird oder doch noch als Freizeitpark umgewidmet in Betrieb geht.

https://www.neofelis-verlag.de/kultur-sozialwissenschaften/stadt-als-palimpsest/

https://www.neofelis-verlag.de/kultur-sozialwissenschaften/stadt-als-palimpsest/

Alexander Gutzmer entdeckt in einer „medial komplexen“ Architektur irgendetwas Esoterisches, was sich dem Verständnis „alternder Architekturkritiker“ entziehe. Und das wird „künftig wichtiger denn je werden“. Denn diese künftige Architektur „ist bereit für den Dialog mit ihren Nutzern“ und verschließt sich nicht „einer gesellschaftlichen Transformation“. Nun kann man ernsthaft untersuchen, was die Wechselwirkung von Materialität und Gedächtnis für die kulturelle Akzeptanz der Architektur taugt, wie es Julia Binder unternommen hat („Stadt als Palimpsest“). Aber wie soll in einer heterogenen Gesellschaft ein Architekt seine Häuser bewusst auf Dialogbereitschaft konditionieren? Gelingt das besser mit den Bauten von Hild, Behnisch, Brandlhuber, Kollhoff – oder gmp?

Medial komplex

Wir blättern das Heft concretegmp Seite um Seite um, suchen die Architektur mit dem „offensiven eigenen Ausdruck“ und entdecken bläulich spiegelnde Headquarter, Komplexe, Center, Plazas – und sind sprachlos. Nix Dialog. In einer Hinsicht ist Alexanders Gutzmers Text jedoch höchst aktuell. Er zeigt – wie die immer öfter erscheinenden Architektur-Werbe-Publikationen – Symptome des Klimawandels: viel heiße Luft.

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Lingang New City, China: Das Büro gmp gewann 2002-03 den Wettbewerb; Entwurf: Meinhard von Gerkan