Die Neuauflage eines vor fast 70 Jahren erschienenen »Klassikers« lässt aufhorchen: Denn welchen Einfluss eine Publikation auf die Architekturentwicklung hat, lässt sich erst rückblickend analysieren. Der aus der Schweiz stammende Autor Werner Blaser (1924-2019) ging lebenslang internationalen Kulturen und Tendenzen des Bauens auf wissenschaftlichem Niveau nach, seine Bücher werden weltweit gelesen. Neu aufgelegt: »Tempel und Teehaus in Japan«.
Als ich vor rund zwanzig Jahren zum ersten Mal die Gelegenheit hatte, Bücher von Werner Blaser aus dem Birkhäuser-Verlag über Bauten von Ludwig Mies van der Rohe für die Neue Zürcher Zeitung zu besprechen, begegnete mir etwas, das ich damals zwar wahrnahm und das mich berührte, das ich aber nicht zu benennen vermochte. Die Bücher besaßen etwas Besonderes, das über die vorgestellten Bauten des großen Architekten hinaus ging. Fraglos: Mit ihren Schwarz-Weiß-Fotografien, dem zweispaltigen Text, atmeten sie den Geist von Mies‘ Architektur und seiner Epoche. Doch darüber hinaus kennzeichnete sie eine große Klarheit und Schönheit, ja eine meditative Ruhe, die sie von vielen Büchern jener Jahre (auch meinen eigenen) ganz grundsätzlich unterschied.
Welche Freude also, nun eine Neuauflage des ersten Buches von Werner Blaser »Tempel und Teehaus in Japan« (1953) in den Händen halten zu dürfen. Das, was mich so unerklärlich in seinen Bann gezogen hat, begegnet mir in diesem Buch wieder. Es übersetzt die Klarheit und Schönheit einer Architektur, die sich als gebaute Vergeistigung erweist, in Buchform. Die Lektüre wird zu einer Reise, bei der sich jeder Schritt verlangsamt, um bloß nicht zu schnell ans Ende zu gelangen. Die klassische japanische Architektur, die Blaser vorstellt, kennzeichnet eine Harmonie, die sich aus Perfektion und Einfachheit, aus Demut und Vollendung speist. Wer je die Gelegenheit hatte, den Garten der kaiserlichen Villa Katsura (1602) in Kyoto zu besuchen, der wird ahnen, was ich meine.
In seinem Buch leitet Blaser, der sich mehrfach für längere Zeit in Japan und vor allem in Kyoto aufgehalten hat, seine Leser durch die Geschichte des japanischen Hauses und die Einflüsse von Shintoismus und Buddhismus. Doch er hat dabei nichts weniger als eine typische Architekturgeschichte geschrieben. Indem er dem Geist des japanischen Hauses nachspürt, thematisiert er immer wieder den Raum, seine Leere, seine Ordnung und seine fließende Verbindung von innen und außen mit der umgebenden Landschaft. Die Nähe, die diese Architekturauffassung zu Mies Bauten besitzt, den Blaser in Chicago aufgesucht hatte, liegt auf der Hand.
Das Herzstück des Buches bilden Blasers Fotografien von Tempeln in Kyoto und Nara über den kaiserlichen Palast Katsura bis zum einfachen Bauernhaus. Wer immer dieses Buch in die Hand nimmt, möge sich auf eine Weile zurückziehen, um diese Bilder in ihrer Schönheit auf sich wirken zu lassen. In den begleitenden Texten von Werner Blaser, Christian W. Blaser und Tadao Ando werden jene Bezüge aufgegriffen, die Blaser zwischen historischer japanischer Architektur und der Moderne fand. Besonders lesenswert ist der Beitrag der Schweizer Architektin Inge Andritz. Sie setzt Blasers Interesse an Japan und Mies in Beziehung zu den Gedanken des Architekten Rudolf Schwarz und des Theologen Romano Guardini. Guardinis »Briefe vom Comer See« (1927), die Mies beeinflussten, verdeutlichten aus westlicher Sicht jene kreative Spannung zwischen Natur, Landschaft und Moderne, die in dem Verhältnis des japanischen Hauses zu seiner umgebenden Landschaft eine bis heute gültige Gestalt gefunden haben.
Weder wird man heute wie Mies oder Schwarz bauen. Man wird auch gewiss keine Renaissance des japanischen Hauses erleben. Die geistige Durchdringung von Haus, Landschaft, Konstruktion und Funktion aber, wie sie Werner Blaser in seinem Buch darstellt, bietet die Anregung, für einen Moment der Besinnung im vielstimmigen Architekturdiskurs der Gegenwart.