Die „Casa Rossa“ in Chemnitz ist ein mit Preisen hochdekoriertes Haus, konzeptionell sehr ungewöhnlich und in der Ausführung überaus ambitioniert. Nun ist eine gestalterisch anspruchsvolle Publikation erschienen, in der (Stadt-)Baugeschichte, Bestandsanalysen und die Sanierungsprozesse umfangreich dokumentiert sind – und die Freude an der Arbeit im und mit Bestand deutlich wird.
Eine gelungene Bauaufgabe wird heute gerne mit einem Buch abgeschlossen. Dieses Haus in Chemnitz hat es verdient, allerdings hätte ein lektorierender Blick von außen und über die konkrete Aufgabe hinaus den Wert der Publikation steigern können.

Casa Rossa Chemnitz. Hrsg.: Deutscher Architektur Verlag, 2025. Text Englisch, Deutsch, 228 Seiten, ISBN 978-3946154907,
26 x 17 x 2.4 cm, 58 €
Bereits die Gestaltung des Buchs könnte einen Hinweis auf seinen Inhalt geben. Unter dem klaffenden Einband mit einem eingeprägten Ziegelstein zeigt sich die offene Fadenheftung, als sollte man bei der Lektüre Tragwerk, Fassade und Inhalt haptisch nachspüren. 250 x 120 x 63 steht gestürzt auf dem Titel, zum Beweis folgt ein schwarzer Backstein im Reichsformat und die Losung: Ein Beitrag nachhaltiger Baukultur. Zweifellos handelt es sich um ein Architekturbuch, so wie mit plakativer Typographie und Weißraum verfahren wird, nicht zuletzt erinnern die wie im klassischen Fotoalbum übereinander gestaffelten Abbildungen an das Gebinde eines Mauerwerksverbands.
Hinwendung zum Bestand
Das Grußwort des Baubürgermeisters erläutert das Werk: „Das Gebäude dokumentiert die Baugeschichte und die Bautechnik von der Entstehung in der Gründerzeit bis in die heutige Zeit. Überspringt dabei nicht die düstere Epoche des baulichen Verfalls, sondern erzählt davon auf eine berührende Weise.“ Die Münchner Architekten Annette Fest und Christian Bodensteiner haben das mehrstöckige marode Blockrandhaus für 50.000 € ersteigert und penibel instandgesetzt. Und wie man es sich bei sensiblen Baubeflissenen vorstellt, haben sie die Immobilie weder anspruchslos gewinnträchtig verwertet noch den früheren Zustand mit Stuck und Sprossenfenstern rekonstruiert. Diese Haltung ist durchaus nicht neu, wir erinnern uns an wiederhergestellte Gebäude von Döllgast, Scarpa, Bienefeld, Manderscheid, Schmucker, für die man sich bei Joseph Beuys den Titel „Zeige deine Wunde“ borgen könnte. Heute geschieht das unter dem Rubrum „Bestand als Ressource“ oder „zirkuläres Bauen“, also alles im grünen Bereich.
Veredelte Ruine
Betrachtet man die Innenaufnahmen, kann man sich mit dem Haus sofort anfreunden (das Dachatelier: Chapeau!). So wohnt heute die intellektuelle Haute Volée: narbige Backsteinwände und scharfkantig geputzte neue Ergänzungen, abgeschliffene alte und weiße, stumpf einschlagende neue Türen, massives Parkett und eine in den Boden eingelassene Badewanne. Doch ist eine gewisse Koketterie zwischen dem Edlen und dem Ruinösen nicht zu übersehen. Die Texte erzählen zum Ort und zum Haus, berichten, wie die Architekten ihre riskante Arbeit erlebt haben und was das Gebäude nun zusammenhält. Und dennoch bleiben trotz der zahllosen Bilder Fragen offen, die man hätte klären können, wenn ein neugieriger Gesprächspartner mitgewirkte hätte.
So macht das Buch den Eindruck einer Bürofestschrift, wie man sie zur weiteren Auftragsakquise verteilt, vor allem weil sich die vielen Zitate von den Prämierungen und Auszeichnungen werbewirksam lesen lassen, Höhepunkt schließlich die gegenseitige Kurzcharakterisierung der beiden Partner. Eine journalistische Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe hätte der Publikation besser getan.
Schließlich gilt das auch für das Projekt. Denn bei der unverputzten Ziegelfassade drängt sich der Gedanke auf, ob das einer Stadt dient, wenn die Nachbarn die Gründerzeit ansehnlich zurückholen, und dazwischen verweigert sich einer dem ästhetischen Gemeinwohl. Es erinnert mich daran, als ich 1968 als Schüler in Jeans, Parka und Turnschuhen in die Oper gegangen bin. Ich brauche das nicht mehr.