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Sorge um den Bestand

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Olaf Bahner, Matthias Böttger, Laura Holzberg (Hrsg.): Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur. 208 Seiten, 17 x 24 cm, zahlreiche Abbildungen. ISBN 978-3-86859-659-5, 28 Euro. Jovis Verlag, Berlin 2020

Olaf Bahner, Matthias Böttger, Laura Holzberg (Hrsg.): Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur. 208 Seiten, 17 x 24 cm, zahlreiche Abbildungen. ISBN 978-3-86859-659-5, 28 Euro.
Jovis Verlag, Berlin 2020

Der BDA hat Architektur seit je nicht nur als semantische Alternative zum Bauen betrachtet, sondern ihre gesellschaftliche Bedeutung diskutiert. Die Querbeziehungen ändern sich, jetzt geht es um viel, vielleicht um alles.


Es ist nicht bekannt, dass der BDA mit den 68ern zur Verstaatlichung der Banken aufgerufen hätte. Aber fünfzehn Jahre später erschien „aus dem Präsidium des BDA“ eine solidarische Verlautbarung gegen den NATO-Doppelbeschluss. Heute steht das „ökologisch-gesellschaftliche Umdenken“ auf seiner Agenda. Nach dem Positionspapier „Das Haus der Erde“ (2019), das an frühere Manifeste zu den Themen Klima, Erhalt und Erbe anschließt, erscheint nun anlässlich der gleichnamigen Wanderausstellung die Publikation „Sorge um den Bestand“.

Seite aus dem besprochenen Band

Seite aus dem besprochenen Band

Hätte man sich das einmal vorstellen können, dass Architekten vor ihrem traditionellen Leistungsbild Neubau warnen und für die Erhaltung des Gebäudebestands plädieren! Chapeau! Jetzt gelten also regionale Ökonomie, bescheidener Konsum und Sesshaftigkeit als Überlebensstrategie des 21. Jahrhunderts. Was können verantwortungsbewusste Architekten dazu beitragen?
Wir schauen nach. Äußerlich erinnert der gerade erschienene Band in seiner grau-grünlichen Aufmachung an die traditionellen Umweltschutzstandards. Er sieht aus wie unseren alten Seminar-„Reader“. Die sehr große Serifen-Typographie wirkt wie schön gehäkelt, lässt sich jedoch schlecht lesen. Der Jargon ist auf der Höhe der Zeit, natürlich geht es den Akteuren der Zivilgesellschaft um Möglichkeitsräume und so weiter. Unvermeidlich auch das Gender-Sternchen, das zu einem abstrusen Geschwurbel führt: Brandschützer*innen, Vorreiter*innen. Die Grammatik verkrampft sich sogar zu den*die Kümmerer*in. Da muss man durch.

Seite aus dem besprochenen Band

Seite aus dem besprochenen Band

Alles zum Thema?

Spätestens nach der Lektüre der ersten Seiten fragt man sich allerdings, welche Zielgruppe mit dem Buch erreicht werden soll. Will der BDA damit die Planungen seiner Mitglieder praktisch unterstützen, oder soll nur einmal alles zum Thema gesagt sein? Die Autoren sind vorzugsweise Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen, die ihren akademischen Habitus pflegen. „Merke: Nur durch eine fluide, hypermobile Entgrenzung spezialisierter Produktions- und Leistungsprozesse lassen sich beständig neue Verwertungs- und Effizienzpotenziale erschließen.“ Gemeint sind „hochfrequente Austauschbeziehungen“ als „Voraussetzung für ein fortwährendes Wirtschaftswachstum“. Das Kapitel ist überschrieben mit Kreative Genügsamkeit. Genau die hätte man von einigen der Autorinnen und Autoren erwartet.

Lob des Konkreten

Nach den strapaziösen einleitenden Essays, die inhaltlich ad nauseam wiederholen, wovon vernünftige Menschen überzeugt sind, was aber nicht in der gesellschaftlichen Praxis angekommen ist, folgen zehn beispielhafte Strategien – mal originell, visionär, mal experimentell, speziell. Man sollte sie nicht hintereinander lesen und auf jeden Fall die zugeordneten Beispiele im Anhang berücksichtigen. Bisweilen wird’s etwas pathetisch, manches wie Urban Blockchain erschließt sich nur für Nerds, die „durch fluide Allianzen … neue resiliente Nachbarschaften“ finden. Mehr Glück hat man mit den Kapiteln über Umbau, Stärkung der Ortskerne oder dem Bestand als Rohstoffquelle.

Hier ließen sich konkrete Fragen anschließen von der Psychologie über die Jurisdiktion bis zur Detailplanung. Vor allem: Über Neubau oder Weiternutzung eines Gebäudes entscheiden nicht Architekten, sondern Bauherren und Investoren. Man muss nur aus dem Fenster sehen, da erkennt man schon die praktischen Schwierigkeiten mit dem Bestand. Vernachlässigte und leerstehende Häuser, Restgrundstücke. Es geht nicht darum, ihre Eigentümer zu denunzieren oder gar zu enteignen. Sie haben ein Problem, exakt daran sollte man anknüpfen. Da hilft das Buch leider nicht weiter. Es beginnt nicht auf der Straße, sondern im Hörsaal. Es beschreibt die Welt, aber verändert sie nicht. Der Titel macht ja auch keine Hoffnung: Sorge um den Bestand. Eben.
Eine Fortsetzung als Sorge für den Bestand würde gut tun.