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„Wir haben gefühlt, wie diese Bauten im Boden Wurzeln geschlagen haben. Wir müssen das Wesentliche wahren, ohne uns Neuem zu verschließen“ meinte Theodor Fischer (1862-1938) zu seinen beiden Bauten in Tirol: der Knabenschule in Lana von 1911 und dem Post- und Sparkassengebäude in Hall von 1910. Beide Bauten stehen heute noch, mit nur geringfügigen Eingriffen, und beweisen, dass gute Architektur bei aller Zeitgebundenheit ihrer Entstehung, über die Zeiten wertvoll bleibt.


oben: Schule in Lana, Theodor Fischer 1910 (Bild: Oliver Jaist, Vahrn)Bis zum 31. Dezember 2020 ist im Meraner Bahnhof die Ausstellung „Theodor Fischer in Tirol – Architekt der Zeitenwende“ zu sehen, die anschließend über Innsbruck nach München wandert – höchste Zeit, die Ausstellung und zugleich Fischers Bauten in Tirol anzusehen.1) Theodor Fischer ist trotz der langen Liste seiner Bauten etwas in Vergessenheit geraten.2) Kurz vor seinem Tod hatte er das „Neue Bauen“ vor den Nazis in seiner „Augsburger Predigt“ verteidigt und sich damit missliebig gemacht. Von unseren Professoren wurde er noch während des Studiums etwas abschätzig als „fränkisch verknödelt“ (Bonatz) betrachtet. Gerade deshalb stieg er bei uns Studenten in der Hochachtung – allerdings bisher ohne Breitenwirkung.

Ausstellung zu Bauten von Theodor Fischer bis Dezember 2020 im Bahnhof Meran (Bild: Andreas Gottlieb Hempel)

Ausstellung zu Bauten von Theodor Fischer bis 31. Dezember 2020 im Bahnhof Meran (Bild: Andreas Gottlieb Hempel)

Anhand seiner beiden einzigen Bauten in Tirol, der Knabenschule in Lana (Südtirol) und dem Post- und Sparkassengebäude in Hall (Nordtirol) wird Theodor Fischer nun in der aktuellen Ausstellung als stilistisch unabhängiger Architekt dargestellt, der in der Zeitenwende zwischen der Neurenaissance des Fin de Siècle, dem Jugendstil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts und dem Neuen Bauen einen eigenen Weg gefunden hatte. Schon während des Studiums in München bei Gottfried von Neureuther (1811-1887), Karl Hocheder (1854-1917) und Friedrich von Thiersch (1852-1921) setzte er sich von deren historischen Stileinflüssen ab, um eine eigene, auf regionalen, soziokulturellen und lokalen Bedingungen bezogene Formensprache zu entwickeln. Nach der Arbeit bei Paul Wallot (1841-1912) am Berliner Reichstag und bei Gabriel von Seidl (1848-1913) in München wurde er zum Vorstand des Münchner Stadtentwicklungsreferates bestellt und entwickelte den Generalbebauungsplan der Stadt, dessen Staffelbauordnung bis in die 1990er Jahre verbindlich blieb.

Theodor Fischer (1862-

Theodor Fischer im Jahr 1933 (Bild: Wikipedia o. A.)

Der Stadtbaukunstlehrer und Architekt

Ab 1908 bis zu seiner Emeritierung 1928 lehrte er zunächst ab 1901 als Professor in Stuttgart und ab 1908 in München. Fischer wurde unter dem Begriff der „Stuttgarter Schule“ zum Erzieher einer ganzen Architektengeneration von Traditionalisten und Progressiven wie Paul Schmitthenner (1884-1972), Heinz Wetzel (1882-1945), Paul Bonatz (1877-1956), Dominikus Böhm (1880-1955), Erich Mendelsohn (1887-1953) und vieler anderer, die das Bild der Städte bis nach dem Zweiten Weltkrieg prägten. Sein Motto: „Ich weiß, dass ich als Lehrer nicht Kunst lehren kann, sondern nur das Handwerk dazu. Gleichwohl gebe ich diesen Betrachtungen den Namen Stadtbaukunst.“ 1917 setzte sich Fischer mit seinem „Manifest für die Deutsche Baukunst“ für eine neue Architektenausbildung ein, die unter anderem die Grundlage für das Bauhausmanifest wurde. Obwohl Fischer misstrauisch gegenüber der Radikalität des Neuen Bauens war, verteidigte er es dennoch gradlinig gegenüber der Blut- und Boden-Architektur der faschistischen Ideologie.

Post- und Sparkassengebäude in von Theodor Fischer (Bild:***)

Post- und Sparkassengebäude in Hall, 1910 von Theodor Fischer (Bild: Christoph Lackner)

Für Fischer trat Stadtbaukunst an die Stelle von technoider Stadtplanung, die damit eine überhöhte Dimension erhält. Ein Großteil seiner Arbeiten entfallen auf städtebauliche Pläne. Sie wurden zur Grundlage für 20 Gemeinden, die danach ihre städtebauliche Entwicklung richteten. Bereits 1898 hat Theodor Fischer den Baulinienplan für Meran entwickelt, mit genauer Kenntnis der topographischen Voraussetzung und der soziologisch-kulturellen Entwicklung von Meran als europäischer Kurstadt.3) Er legte den Grundstein für die Entwicklung Merans als Gartenstadt mit Villencharakter. Statt rechteckigem Straßenraster für die damals üblichen Stadterweiterungen mit Blockrandbebauung entwarf Fischer ein System von geschwungenen Straßen und Platzräumen, die ein kunstvolles Raumerlebnis ermöglichten. Der wesentlichste Eingriff war die Verlegung der Bahntrasse Bozen-Meran in Richtung Vinschgau, den Kopfbahnhof zu einem weiterführenden Durchgangsbahnhof umwandelnd und mit einer Sichtachse zum Stadtzentrum. Fließende Straßenverläufe, erlebbare Platzräume und Blickachsen waren die Grundprinzipien von Fischers Stadtbaukunst. Sie sind im Übrigen das Kennzeichen einer ganzheitlichen Betrachtungsweise Fischers zum Bauen vom stadträumlichen Entwurf über die Architektur der Bauten bis hin zum sorgfältig ausgebildeten Detail.

Neben zahlreichen nicht ausgeführten Planungen entstanden mehr als 100 Bauten, die sich über ganz Deutschland erstrecken, mit den Schwerpunkten Stuttgart und München. Darunter das Hauptgebäude der Universität Jena (1908), die Garnisonskirche in Ulm (1911), das Ledigenheim in München (1922), drei Isarbrücken, fünf Schulen und die Alte Heidesiedlung in München, dazu zahlreiche Brunnen, Grabmale und Denkmäler in der Folge des Ersten Weltkrieges. Eine umfassende Würdigung mit  Werkkatalog wurde 1988 von Winfried Nerdinger herausgegeben. Für seine Arbeit erhielt Fischer zahlreiche Ehrungen.4)

Schule in Lana, 2020 (Bild:***)

Schule in Lana, 2020 (Bild: Oliver Jaist, Vahrn)

Schule in Lana, Aufnahme von 1922 (Bild:***)

Schule in Lana, Aufnahme von 1922 (Bild: Archiv)

Bevor es zu spät ist – die Tiroler Bauten

Theodor Fischer war auf besondere Weise uneitel. Nicht nur, dass er einen Abschluss seines Studiums unterließ – er hasste Titel –, sondern er weigerte sich auch schon früh, „stilbildend“ zu wirken. So steht er im Wandel der Zeiten eigentlich „zeitlos“ in der Baugeschichte, ebenso zeitlos wie seine Bauten, von denen die beiden Projekte in Tirol ein gutes Beispiel geben. „Was ich wünsche ist, dass Tirol sich auf sich selbst besinne, bevor es zu spät ist.“

Schule in Lana, Klassenraum 2020 (Bild:***)

Schule in Lana, Klassenraum 2020 (Bild: Oliver Jaist, Vahrn)

Fischer meinte damit die notwendige Fortführung einer eigenen regionalen Baukultur, die zu seiner Zeit unter den stilistischen Einfluss von Wien oder München zu geraten schien. Nebenbei hat dieser Satz noch heute eine aktuelle Gültigkeit im fragwürdigen Licht des Imports schnelllebiger internationaler Architekturmoden, die austauschbar jegliche regionale Bezüge vermissen lassen. Die Bedeutung Theodor Fischers als freiheitlich denkender, unabhängig von gerade modernen Stilübungen, geradlinig bezogen auf die ganzheitliche Auffassung von Baukultur, ohne formale Rückgriffe unter Zulassung des zeitgemäß Neuen, ist an den beiden Bauten in Lana und Hall hervorragend abzulesen. Sie stehen nach über hundert Jahren nahezu unverändert und gut gepflegt und frisch da, eingebunden in die jeweiligen städtischen Ensembles, selbstbewusst ohne Anbiederung, aber mit dem Ort verwurzelt, sich einfügend, ohne aufzutrumpfen.

 

Theodor Fischers Post- und Sparkassengebäude in Hall, 2020 (Bild:***)

Theodor Fischers Post- und Sparkassengebäude in Hall, 2020 (Bild: Christoph Lackner, Innsbruck)

Diese Bauten scheinen aus dem Geist und der Atmosphäre des Ortes entstanden zu sein, als ob sie ganz selbstverständlich immer schon dort hingehörten. Insoweit ist die von Wittfrieda Mitterer und dem Kuratorium Technische Kulturgüter erdachte und von Horst Hambrusch kuratierte Ausstellung in Meran ein wichtiger Beitrag zu den grundsätzlichen Wertorientierungen der Architektur als solide und überdauernd auszuführende Baukunst, die sich den heute oft üblichen gedankenlosen Abrissen widersetzt. Und nebenbei eine längst erforderliche Initiative zur (erneuten) Wiederentdeckung des Architekten Theodor Fischer.„Wir haben gefühlt, wie diese Bauten im Boden Wurzeln geschlagen haben. Wir müssen das Wesentliche wahren, ohne uns Neuem zu verschließen“ meinte Theodor Fischer (1862-1938) zu seinen beiden Bauten in Tirol: der Knabenschule in Lana von 1911 und dem Post- und Sparkassengebäude in Hall von 1910. Beide Bauten stehen heute noch, mit nur geringfügigen Eingriffen, und beweisen, dass gute Architektur bei aller Zeitgebundenheit ihrer Entstehung, über die Zeiten wertvoll bleibt.


2025_Katalog_Fischer1) zunächst ins Archiv für Baukunst in Innsbruck, dann in die Galerie Engl in Hall und schließlich in der TU München. Dazu ein schöner begleitender Katalog mit Texten, Plänen und zahlreichen Fotografien: Theodor Kuratorium für Technische Kulturgüter, Bozen (Hrsg.): Fischer in Tirol. Architekt der Zeitenwende. www.technikmuseum.it / ISBN 978-88-6563-262-8

2)  Literaturhinweise | Filmdokumentation
– Winfried Nerdinger: Theodor Fischer. Architekt und Städtebauer 1862-1938, München 1988
– Ulrich Hangleiter: Theodor Fischer als Kirchenbauer. Weißenhorn 1999
– Matthias Castorph (Hrsg.): Theodor Fischer. Sechs Vorträge über Stadtbaukunst. Erweiterter Nachdruck der 1. Auflage von 1920, ergänzt um eine Anmerkung des Herausgebers und eine Auswahl von 17 Vorlesungsskizzen von Theodor Fischer aus der Sammlung des Architekturmuseums der Technischen Universität München). München 2009
– Sophie Wolfrum u. a. (Hrsg.): Theodor Fischer Atlas, Städtebauliche Planungen in München. München 2012
– Johann Jessen und Klaus Jan Philipp (Hrsg.), Der Städtebau der Stuttgarter Schule (Kultur und Technik. Schriftenreihe des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung [IZKT] der Universität Stuttgart, Bd. 29), Berlin 2015
– Rose Hajduk und Dietrich Heissenbüttel: Theodor Fischer. Architektur der Stuttgarter Jahre, Tübingen 2018
– Bernhard Graf: Filmdokumentation im Bayrischen Rundfunk, 2005

3) Zum Bestand der Meraner Stadtbaulinien von Theodor Fischer in der Architektursammlung der TU München (8 Blätter) >>>

4) Unter anderem 1908 das Komturkreuz Sachsen, 1909 die Ehrendoktorwürde der Universität Jena, 1919 die Mitgliedschaft der Preußischen Akademie der Künste, 1922 die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Stuttgart und 1925 den Bayerischen Maximiliansorden.