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Stilkritik (91) | In Zeiten der IBA-Inflation setzen gleich mehrere Internationale Bauausstellungen zum Schlussspurt an. Allerdings zeichnet sich ab, dass IBA ein Problem mit der Verstetigung ihrer Anliegen und Projekte bekommen – ein Blick nach Basel und Heidelberg.

oben: So soll das Gelände des PHV in Heidelberg nach Vorstellungen von KCAP dereinst aussehen. (Bild: IBA Heidelberg, KCAP)

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Basel first

Vorab ein Blick ins Dreiländereck: Dieser Tage sollte die IBA Basel nach zehn Jahren grenzüberschreitender Arbeit ihre Schlusspräsentation auf dem Vitra-Gelände in Weil am Rhein zeigen, mit vielen Führungen und Veranstaltungen das Geleistete bekannt machen und Erkenntnisse vermitteln und diskutieren. Corona-bedingt ist nun alles auf das Jahr 2021 verschoben, genauer: Vom 30. April bis zum 6. Juni 2021 wird nachgeholt, was für 2020 aufwändig geplant war.1) Nicht alle Projekte sind abgeschlossen, und mit dem „Grand projet“ 3-Land haben sich Basel-Stadt (CH), Weil am Rhein (D), Huningue und Saint-Louis (beide F) eine Planungsdimension vorgenommen, die einen IBA-Zeit-Rahmen von zehn Jahren allemal sprengt.2) Mit zwei Planungsvereinbarungen von 2012 und 2016 sind zwar Pflöcke für das rund 400 Hektar große Areal eingeschlagen, um grenzübergreifend gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für etwa 20.000 Menschen zu schaffen.3) In den Vereinbarungen ging es um Absichtserklärungen mit hehren Planungszielen, unter anderem sollte ein „trinationaler Masterplan“ entstehen – und eine Klausel besagte: “Jeder Planungspartner kann die vorliegende Vereinbarung mit einer Frist von 6 Monaten auf das Ende eines Monats kündigen.“ Gegenstand der Planungsvereinbarung 2016 war „die Abstimmung der nationalen und binationalen Planungen und Projekte zwischen den Projektträgern und dem Projektpartner im Planungsperimeter zur Umsetzung des Raumkonzepts 3Land von 2015.“ Und: „Die Geschäftsstelle des trinationalen EurodistrictsBasel (TEB) wurde von den Projektträgern beauftragt, die Funktion einer Koordinationsplattform und das Sekretariat des Projekts 3Land zu gewährleisten.“ Sie übernahm faktisch Verwaltungs- und Organisationsaufgaben. Ob man nun den ersten Realisierungen eine außerordentliche Qualität bescheinigen mag, sei dahingestellt: Als „selbständiges Einzelprojekt“ (Projektbezeichnung der IBA) deutet vieles darauf hin, dass sich das Projekt verselbständigt und die Kriterien der IBA aufweichen.

Innovative Verkehrssysteme auf dem PHV-Gelände – noch mit Segway, gerade wurde die Produktion jedoch eingestellt. (Bild: IBA Heidelberg, KAP)

Innovative Verkehrssysteme auf dem PHV-Gelände – noch mit Segway, gerade wurde die Produktion jedoch eingestellt. (Bild: IBA Heidelberg, KCAP)

Heidelberg in Wien am Rhein…

Kurt Tucholsky macht sich in seinen Versen „Wenn die Igel in der Abendstunde“ trefflich über das idyllische Heidelberg lustig,4) das heute zwischen verkehrsgeplagter Tourismus-Hochburg und skandalumwitterter Universitätsstadt schillert. Die IBA Heidelberg endet 2022, und auch ihr fiel ein „Großprojekt“ zu, als die Amerikaner 2013 das Heidelberger Patrick Henry Village 2013 verließen und das rund 100 Hektar große Terrain 2014 an die BImA gaben. Rund 100 Hektar, südwestlich der Innenstadt isoliert gelegen, boten eine Planungsinsel, auf der die IBA mit allerlei experimentellen, aufwändig entwickelten und unkonventionellen Instrumenten einen „dynamischen Masterplan“ initiierte – siehe auch die Beiträge in der Seitenspalte.5) Nun hat vergangene Woche der Heidelberger Gemeinderat diesen Masterplan „bewilligt“, und der O-Ton des OB lässt hoffen: „Wir wollten erneut [nach der Bahnstadt, Anm. der Autorin] einen zukunftsfähigen und international vorbildlichen 16. Stadtteil. Der ambitionierte Masterplan für das Patrick-Henry-Village ist hierfür eine hervorragende Grundlage“.

In früher Planungsphase haben sie gut Lachen: Baubürgermeister Jürgen Odzuck, Planer Kees Christiaanse, OB Eckart Würzner und IBA-Chef Michael Braum im Jahr 2017 (Bild: IBA Heidelberg, Buck) Heidelberg

In früher Planungsphase haben sie gut Lachen: Baubürgermeister Jürgen Odzuck, Planer Kees Christiaanse, OB Eckart Würzner und IBA-Chef Michael Braum im Jahr 2017 (Bild: IBA Heidelberg, Buck) Heidelberg

Nach der IBA ist vor was?

Was ist nun in der Planungspolitik eine „Grundlage“? Neben dem üblichen Geschwafel von „Zielen“, „Umsetzungsprinzipien“ und „Maßnahmen“ – diese Planersprache ist Teil des Problems – geht es um „Umsetzungsstrategien, Betreibermodelle und Governance-Prozesse“, wobei eben kein fixierender Masterplan im herkömmlichen Sinne vorliegt, sondern ein „Instrumentenbaukasten“, mit dessen Hilfe „ein zukunftsorientierter Stadtteil entwickelt werden kann«.6) Bemerkenswert ist dabei, dass eine enge Partnerschaft der BImA und der Stadt Heidelberg vorgesehen ist, wobei die BImA als Eigentümerin selbst Flächen entwickeln und Wohnraum schaffen möchte.
Eine Eigenart des „dynamischen Masterplans“ ist seine systemisch immanente Unverbindlichkeit, die KCAP in einer Visualisierung mit modellhaften Versatzstücken aus der Baugeschichte darstellte. Man muss und kann kein Prophet sein und doch befürchten, dass auch in Heidelberg zumindest einige IBA-Intentionen nach der Auflösung der Geschäftsstelle in der Weiterentwicklung des Großprojektes auf der Strecke bleiben.

Übernehmen sich also die Internationalen Bauausstellungen mit solchen Großprojekten, die absolut nicht in den üblichen Zehn-Jahres-Rahmen passen? Die Frage ist insofern müßig, als dass diese Projekte nun mal angestoßen sind und ihren Lauf nehmen. Zu überlegen ist, dass – um in Heidelberg zu bleiben – der Verwaltung und/ oder einer Projektgesellschaft nicht etwa ein beratendes Gremium zur Seite gestellt wird, sondern ein mit Entscheidungskompetenzen ausgestattetes Personal, dessen Aufgabe die Einhaltung von IBA-Maßstäben ist. Zeichnen sich IBA dadurch aus, dass sie den Planungs- und Genehmigungsalltag der Behörden aufbrechen oder doch mit frischem Wind von außen beleben, fehlen genau diese Impulse, wenn – wie in Heidelberg 2022 – der Zauber endet und die Beteiligten sich neue Aufgaben suchen.7)
Aus eigener Kraft können Verwaltungen in ihren Strukturen, die – politisch gewollt – durch Sparzwänge geschwächt sind, IBA-Aufgaben kaum übernehmen.

Verbindlichkeit

Die Verstetigung von IBA-Intentionen taucht als Problem immer häufiger auf, weil es mehr und mehr IBA gibt und Planungs- und Realisierungsprozesse immer mehr Zeit beanspruchen. Es ist gut und schön, wenn sich die Projektentwicklungs- oder Betreibergesellschaften einem „dynamischen Masterplan“ verpflichtet fühlen sollen. Aber wenn hier nicht verbindlich mit dem Mut zum Risiko oder der Neigung, Dinge auch mal anders zu machen, weitergearbeitet wird, nützt das Pflichtgefühl gar nichts. Ob es schließlich „agile Teams“ (Wilhelm Klauser) oder „harte Knochen“ sind, die sich steuernd auf das Unübliche einzulassen haben, mag entscheiden, wer will. Aber an einer klaren, kompetent gesicherten Verbindlichkeit im Sinne der IBA-Intentionen führt meiner Ansicht nach kein Weg vorbei.


6)  Anouk Kuitenbrouwer, Partnerin bei KCAP, zit. in der PR-Meldung der IBA am 19.6.2020

7)  Ursula Baus: Heidelberg fehlt keine IBA, sondern eine pionierhafte Entwicklungsreform. In: Bauwelt

12.2013 (https://www.bauwelt.de/themen/Heidelberg-fehlt-keine-IBA-sondern-eine-pionierhafte-Entwicklungsreform-2117602.html)