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New Heidelberg: 100 Hektar Konversion

IBAs mit ihren zehn Jahre kurzen Laufzeiten und ihrem Experimentiercharakter müssen zwar auch auf wissenschaftlich erarbeiteten, debattierten Grundlagen fußen, dann aber schnell in die Praxis wechseln. Wie jetzt die IBA Heidelberg, die vergangene Woche die „Phase Null“ eines immensen IBA-Projektes vorstellte.

Rechts unten im Plan das Konversiongelände (Plan: Stadtplanungsamt Heidelberg)

Links unten im Plan das Konversiongelände (Plan: Stadtplanungsamt Heidelberg)

Inseln der Wissenden

Es geht um eine 100 Hektar große Konversionsfläche, das Patrick-Henry-Village (PHV), das wie eine Insel an der A6, südwestlich der rund ebenso großen Altstadt von Heidelberg liegt und noch dem Bund gehört. Dass dieses Gelände im boomenden Rhein-Neckar-Raum Begehrlichkeiten aller Art weckt, ist klar – und der IBA bot sich die einmalige Chance, mit einem weitsichtig angelegten Verfahren so etwas wie Planungskultur und Experiment zusammenzubringen. Getreu dem IBA-Motto „Wissen | schafft | Stadt“ soll hier natürlich eine „Wissensstadt von morgen“ für etwa 15.000 Bewohner entstehen.


1714_PHV_SzenarienIn einem durchaus aufwändigen, einjährigen Prozess sind in sogenannten Design-Workshops unter der Leitung von Experten und Mitwirkung von Heidelberger Bürger/innen Szenarien entwickelt worden: Es ging um

1. Wissenschaften + Wirtschaft und Wohnen, MVRDV,
2. Vernetzungen + Infrastruktur, Carlo Ratti,
3. Bildung + Lernräume, ASTOC, und
4. Stoffkreisläufe Dreiseitl + Bohn/ Ramboll Liveable Cities Lab + University of Brighton.

Zuguterletzt kam Kees Christiaanse von KCAP die Aufgabe zu, unter dem Motto „Koproduktion“ all diese Szenarien der Phase Null zusammenzuführen.

Weitere Informationen zum PHV >>>

Präsentation des PHV-Modells (Bild: Christian Buck | IBA Heidelberg)

Präsentation des PHV-Modells am 29. März 2017 (Bild: Christian Buck | IBA Heidelberg)

Drehbuch?

Bemerkenswert ist hier die Darstellungswahl. Bei der Präsentation standen Macher, der OB, sein Baubürgermeister, IBA-Direktor, Medienvertreter und interessierte Bürger um ein großes, auseinanderfahrbares Modell (M 1:200) mit weißen Bauklötzchen – es sei aber, so Kees Christiaanse, kein „Masterplan“, vielmehr ein „Drehbuch“. Um dann doch konkret zu werden: Es gebe ein „Start-up-Dorf“, in der Quartiersmitte viel Grün, Gartenstadt und Ringstraße mit eigenen Straßenteilen für Radfahrer, Fußgänger, e-Autos, Busse, selbstfahrende Fahrzeuge und so weiter. Nutzungsmäßig komme es auf die Mischung an, je mehr, desto besser. Und am Rande des Gebietes werde verdichtet, über den Rand hinaus im Westen sollen / können nochmals 7,5 Hektar neues Bauland erschlossen weren. Damit die Sache ins Laufen kommt, sind temporäre Aktionen, dauerhafte Diskussions- und Teilnehmerrunden geplant. Alles, was das Modell zeigt, werde mehr oder weniger im Laufe des Prozesses „angepasst“. Und dann fragt man sich schon: Was sagt das Modell dann überhaupt aus?

Modell des Büros KCAP (Bild: Christian Buck | IBA Heidelberg)

Modell des Büros KCAP (Bild: Christian Buck | IBA Heidelberg)

Architekturqualität

Es ist ein konventionelles Modell, in dessen Einzelteilen auch konkrete Vorbilder erkennbar werden: ein Stück gmp, ein bisschen Libeskind, etwas MVRDV oder Bucky Fuller – Platzhalter für ein architektonisches Sammelsurium. Dazu eine „Parkway“ genannte Straße, die den innovativen Ansatz noch vermissen lässt, auch wenn von Sharing und selbstfahrenden Autos die Rede ist. Wo ist das nicht der Fall? Wie Vielfalt in Architekturqualität umgesetzt werden soll, scheint wieder nur dem Wettbewerbsverfahren überlassen zu werden, das dringend hinterfragt werden müsste. Ein weites Feld – und eine andere (Experimentier-)Baustelle…

Parkway, Bestand und Neubau im Szenario von KCAP (Bild: KCAP)

Parkway, Bestand und Neubau im Szenario von KCAP (Bild: KCAP)

Wo kann man parken im Hortus conclusus?

Bleiben wir beim „Drehbuch“. Dazu gehört für den Anspruch der IBA Heidelberg selbstverständlich eine Bürgerbeteiligung, und so waren die Anwesenden gebeten, mit Zetteln und Klebern ihre Kommentare zu hinterlassen. Die sehr konkret waren: „Wo kann man parken?“. „Hochhaus zu hoch“. Und so weiter. So bleibt die Frage zu klären, ob das Modell die geeignete Darstellungsform eines Drehbuchs ist, unter dem normalerweise die textliche Grundlage eines Films verstanden wird. Ein Film zur Planungsphase Null des PHV wäre schon hinreichend konkret gewesen, wäre in der Darstellung dessen, was das Experimentelle beim PHV ist, abstrakter und damit offener im Ergebnis geblieben. In der Informationsstruktur leisten Film und Simulationen mit ihren Erzählcharakteren womöglich mehr als ein mehr oder weniger spektakuläres Modell.
Die kuriose Weiterentwicklung des PHV-Gebietes – Planer nennen dergleichen „visionär“ – kann nun munter vorangetrieben werden, weil kaum Nachbarn da sind, die ihr Dasein beeinträchtigt sehen könnten. So wirkt hier auch die Bürgerbeteiligung kurios, denn wer eines Tages im PHV als Hortus conclusus der „Wissensstadt von morgen“ wohnen und/ oder arbeiten wird, weiß man eingedenk der nomadenhaften Struktur des Wissensträger von morgen kaum.

 

Zur Präsentation des PHV-Modells bei Youtube: