Am 2. Februar 2017 luden die IBA-Initiatioren mit den inzwischen aufs Trittbrett gesprungenen Architekten-Verbänden und Hochschulinstituten zu einer Vortrags- und Gesprächsveranstaltung. Die Sache wird rasch vorangetrieben – versäumt wird aber, sie inhaltlich zu schärfen, bevor eine dazu passende Projektgesellschaft gegründet wird. Die inhaltliche Dürftigkeit des Memorandums der geplanten IBA Stuttgart sprach Christian Holl bereits an, als es im Oktober 2016 vorgestellt wurde (siehe „Noch nicht gelandet“, rechte Spalte). Jetzt wusste allen voran Vortragsgast Angelus Eisinger zu benennen, worauf es bei einer IBA Stuttgart 2027 ankommen wird.
Warum pressiert’s? Die Strategie der Macher
Es wird Ernst. Es gab gleich zwei Veranstaltungen zur IBA Stuttgart 2027 in einer Woche: Montags lud der BDA zu einer Diskussion unter anderem mit erfahrenen IBA-Leitern, Michael Braum (Heidelberg, „Wissen | schafft | Stadt“) und Uli Hellweg (Hamburg, „Sprung über die Elbe“). Und donnerstags sollte es in einem hochkarätig besetzten Kongress um die „Leitbilder“ der IBA Stuttgart gehen. Dass hinter dem Stuttgarter IBA-Eifer offene und indirekte wirtschaftliche Interessen stecken, dominierte die Themen in beiden Veranstaltungen. Die Wirtschaftsförderung des Regionalverbands hat es nämlich eilig, prescht voran und nimmt die Politik an die Leine. „Was ist, macht ihr mit?“ – so habe man die Gemeinderäte in Stuttgart gefragt, erzählte Walter Rogg (Gründungsgeschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH) am 30. Januar 2017 im BDA Wechselraum. Der Regionalverband will „vor der Sommerpause eine Projektgesellschaft gründen“ (Regionalpräsident Thomas S. Bopp am 2. Februar 2017 in der Architektenkammer Baden-Württemberg).
Stetig wurde beim Fachkongress der Anknüpfungspunkt „Weißenhof“ beschworen, die Avantgarde eingefordert. Zwar hieß es, Themen zu diskutieren sei zu früh, aber zugleich war bereits von Projekten die Rede – zum Beispiel davon, wann ein Wohnungsbau-Projekt IBA-tauglich sei. So zu debattieren, obwohl es noch gar keine Konzepte, keine Themen, kein Profil gibt, schürt Argwohn in dem Sinn, dass die IBA als Baubeschleuniger für Herkömmliches missbraucht wird. Vergleichbar damit, dass Quasi-Bauherren eine Baustelle einrichten und schon mal Fundamente betonieren – und dann erst fragen, welches Haus gebaut werden könnte …
Den in Stuttgart geborenen Kulturmanager Martin Roth (vormals Leiter der Expo Hannover, des Deutschen Hygienemuseums in Dresden, des Victoria-and-Albert Museums London und designierter Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen ifa) hatte man als eine Art Strategie-Festredner geladen. Sollte man darin ein Signal erkennen? Die Initiatoren suchen derzeit eine Persönlichkeit, welche die IBA managt und als „Gesicht“ in der Öffentlichkeit präsentiert. Martin Roth kaprizierte sich auf die wirtschaftsstrategischen Aspekte einer IBA, auf ihre „Governance-Struktur“, die sie brauche, denn „Kultur ist buisiness“. Und allen Ernstes stellte er die Frage, ob eine IBA nicht auch Geld abwerfen könne. Also gewinnorientiert arbeiten solle. Dergleichen wird man bei der Wirtschaftsförderung des Regionalverbands und auch beim Land und der Stadt Stuttgart vielleicht gern gehört haben – doch das lässt nichts Gutes ahnen, weil dann in den Wertschöpfungsketten weitere Gewinnzuwächse zu Buche schlagen.
„Chancen-“ und „Trouble-IBAs“?
Ein paar Tage vorher war, wie oben vermerkt, Uli Hellweg, der Hamburgs IBA als „Sprung über die Elbe“ geschickt gemanagt hat, vom BDA nach Stuttgart geladen worden, um das Thema „IBA“ mal ganz allgemein zu diskutieren. Uli Hellweg vertritt inzwischen die These, dass es derzeit kaum „Trouble-IBAs“ wie Emscherpark oder Lausitz gebe, sondern „Chancen-IBAs“ in prosperierenden Regionen wie Basel oder Stuttgart. Die Differenzierung offenbart eine langsam, aber sicher voranschreitende Umdeutung des Planungsinstruments „IBA“ sehr deutlich. Denn wenn „Chancen“ nur als Konsequenz (trouble-freien) wirtschaftlichen Wohlstands gesehen werden, „Trouble“ nur als (chancenlose) Mangelverwaltung nach wirtschaftlichem Niedergang, entfernt sich die IBA-Relevanz mehr und mehr von ihrem Anspruch, bau- und soziokulturell Herausragendes außerhalb des Planungsalltags zu befördern.
Gerade wirtschaftsstarke Regionen wie Basel und noch mehr Stuttgart haben enormen, obendrein hausgemachten Trouble, die Probleme sind gewaltig: Der Autoverkehr ist unerträglich, er verpestet die Luft – das stehende Blech ist eine Katastrophe für den öffentlichen Raum. Man hat versäumt, den ÖPNV konsequent auf ein Leistungsniveau zu hieven, das beispielsweise in Zürich zu hoher Lebensqualität für alle beiträgt. Wohnen gilt in der Region Stuttgart derweil mehr und mehr als Luxus, Stuttgart steht in Miethöhen neuerdings auf Platz 2 hinter München. Wohnungsbau überließ man dem privatwirtschaftlichen Sektor – und lenkt mit einem Mustergebiet wie dem Rosenstein-Quartier von lang bekannten Versäumnissen ab. Zudem droht einer wirtschaftlichen Monokultur wie Stuttgart (Auto- und Maschinenbau) eine ungewisse Zukunft, wenn das Management der betreffenden Unternehmen die Zeichen der Zeit nicht erkennt.
Und nun soll eine IBA als Wachstumsbegleiter oder -förderer ausgerechnet jene Probleme lösen helfen, die das Wachstum verursacht hat? Amber Sayah, leidgeprüfte Architekturkritikerin der Stuttgarter Zeitung, gab dem Problemkind einen hübschen Namen: „Wohlstandsverwahrlosung“. Esslingens OB Zieger begrüßte in der Schlussdiskussion am 2. Februar den Vorstoß des BMUB mit den „Urbanen Gebieten“ (siehe Seitenspalte). Die damit verbundene Aussicht, flugs neues Bauland auszuweisen, geht an allen Chancen einer IBA blind vorbei.
Der scharfe Blick von außen
Im abendlichen Plenum brachte Angelus Eisinger aus Zürich auf den Punkt, was eine IBA in einer Region wie Stuttgart strukturell zu leisten habe. Mit fünf Thesen analysierte er, dass die regionale IBA 2027 in Stuttgart sich als eine „Post-IBA“ neu erfinden müsse. Sie müsse sich neue Partner suchen, damit die Räume, um die es geht, in ihren Differenzen und Widersprüchen überhaupt begriffen und damit gemanagt werden können. Angelus Eisinger stellte die richtigen Fragen: Wie lassen sich Interessen von Grundeigentümern und Entwicklern mit ihren jeweiligen betriebswirtschaftlichen Opportunismen überhaupt einbinden, als IBA-Partner gewinnen?
Gleichzeitig müsse die IBA eine Beteiligungs-IBA sein, nicht „Ausdruck eines demokratiepolitischen Pflichtprogramms“ – mit den wichtigen Folgen, dass Vertrauen geschaffen und relevante, regionale Inhalte erarbeitet werden. Zudem greife projektbezogenes Arbeiten viel zu kurz, es komme vielmehr auf übergeordnete Rahmen und Fokussierung auf relevante Teilräume an. Dass die Wirtschaftsförderung als Treiber der IBA 2027 auftrete, könnte, wenn – ja: wenn sie denn die IBA-Aufgabe als Lernprozess begreife, durchaus zur Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft der IBA beitragen. Mit ungewöhnlichen Allianzen – im Raum Stuttgart prädestiniert mit den Mobilitätsanbietern – ließe sich mit der zukunftsfähigen Mobilität eine Frage von elementarer Bedeutung angehen.
Architektur und Städtebau? Den „Mythos Bauausstellung“ kann man getrost über Bord werfen. Einen typologischen Baukasten, den es in der IBA-Region zu verteilen gelte, dürfe es nicht geben.
Wenn sich die IBA-Initiatoren von diesen Gedanken des Neuland-Betretens begeistern ließen, wenn Erkenntniszuwächsen noch Zeit und Raum gegönnt würde, könnte sich ein Themenfeld der IBA Stuttgart abzeichnen, das von dem Memorandums-Blabla deutlich abrückt. Bevor eine Projektgesellschaft gegründet wird, bevor ein „Macher“ gesucht wird, muss klar werden, was im Raum Stuttgart auf dem Spiel steht. Sonst beginnt die IBA Stuttgart womöglich mit einer falsch ausgerichteten Gesellschaftsform – und vielleicht auch mit einem zu früh ausgesuchten „Gesicht“. Erinnern wir uns an die Berliner IBA 1987: Maßgebliches hatten nicht etwa Lampugnani, sondern Hardt-Waltherr Hämer und Josef Paul Kleihues geleistet.
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