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Architektur und Öffentlichkeit


Wie wäre es um die Rezeption des Werks des Architekten Erich Mendelsohn heute wohl bestellt, hätte er auf PR soviel Wert gelegt wie einst seine Zeitgenossen Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe oder das Team von Duplex Architekten heute? Über die Wohnbauten von Duplex liegt nun ebenso ein Buch vor wie über Bauten und Projekte Mendelsohns. Die Bücher erzählen nicht nur etwas über ihre Bauten, sondern auch über den Willen zur Selbstdarstellung ihrer Architekt:innen.

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Ludovic Balland und Nele Dechmann (Hg.): Duplex Architekten. Wohnungsbau neu denken.
416 Seiten, 119 farbigen und 829 Duplex-Abbildungen, Pläne und Grafiken, 58 Euro
Park Books, Zürich 2021

2007 gründeten Anne Kaestle und Dan Schürch in Zürich das Büro Duplex Architekten. Seit 2011 gibt es Standorte in Hamburg und Düsseldorf, die von Sarah Escher und Christof Weber geleitet werden, sowie seit 2020 ein Büro in Paris, das Henrik Siebenpfeiffer verantwortet. Mit „Duplex Architekten. Wohnungsbau neu denken“ legen Nele Dechmann und Ludovic Balland nun eine „Zeitreise durch die ersten und erst recht wilden Jahre“ des Büros vor, wie Dan Schürch in seinem Eingangsstatement schreibt. Die Architektin Nele Dechmann hatte schon 2018 ein kleines, feines Buch über die legendäre Feriensiedlung Costa Smeralda auf Sardinien publiziert, Balland zeichnet für die Konzeption, Grafik und einige Fotos des nun vorliegenden Buchs verantwortlich.

Eine Reihe namhafter Autoren hat dieses Team zusammen mit dem Büro für das Buch versammelt: Neben Nele Dechmann, Anne Kaestle und Dan Schürch haben auch Hubertus Adam, Marc Angélil, Andreas Ruby, Caspar Schärer, Philip Ursprung, Niklas Maak und Günther Vogt Texte beigesteuert. Den Auftakt macht Niklas Maak mit einem umfassenden und bereits in der FAZ publizierten Essay zum Werk des Büros. Dem schließt sich eine Folge thematischer Zuordnungen an: „Studentisches Wohnen“, das sich dem Studierendenwohnheim Habitat in Basel annimmt, „Urbanes Wohnen“, das das WALO-Haus in Zürich porträtiert, die Zürcher Siedlung Buchegg fällt in das Rubrum „Wohnen trotz Lärm“, das Projekt am Limmatfeld unter „Wohnen am Stadtrand“ und für das Hunziker Areal wird das bereits eingeführte „Mehr als Wohnen“ aufgefrischt.

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Blick ins Buch

Eingeleitet werden diese Kapitel je durch einen kurzen und prägnanten, etwas schief „Editorial“ genannten Text. Es folgen vielerlei Infografiken, die die Projekte in Relation zu anderen Bauten setzen, sowie Zahlen und Fakten, die beispielsweise die Nutzfläche ebenso darstellen wie konkrete Wand- und Bodenaufbauten. Von allen Bauten werden Grundrisse gezeigt, die auf ihrem grauen Hintergrund mitunter nicht ganz einfach zu lesen sind, zumal, wenn sie nicht von den Notwendigkeiten der Werkplanung befreit gezeigt werden. Eine kleinteilige Illustration von Bezügen, Inspirationen und Informationen zu den Projekten wechselt sich ab mit großformatigen Fotografien von Mathilde Agius, Ludovic Balland, Lars-Ole Bastar, Roxana Rios, Alexander Rosenkranz und Mihai Sovaiala. Sie zeigen nicht nur die Häuser selbst, sondern auch ihre Bewohnerinnen und Bewohner; und dort, wo Nele Dechmann mit Anne Kaestle und Dan Schürch spricht, auch Eindrücke aus dem Büro selbst.

So kommen konkrete Architekturbeschreibungen zusammen mit Interviews und Kurzkritiken sowie den Hintergrunderläuterungen von Kaestle und Schürch zu Bezügen in der Architektur von Duplex Architekten oder zur Wichtigkeit von Material und Fügung. Im Zusammenspiel mit den mannigfaltigen Illustrationen und Planzeichnungen lässt sich so die Arbeit von Duplex Architekten gut nachvollziehen. Seine Relevanz bezieht das Buch dabei weniger aus der gewohnt PR-affinen Selbstdarstellung, sondern ob der Kraft der Projekte. Ludovic Balland und Nele Dechmann dokumentieren hier, wie es Anne Kaestle, Dan Schürch und ihren Teams immer wieder gelingt, Architektur zu entwickeln, die kraftvoll und selbstverständlich im Dienst der Bewohnerinnen und Bewohner steht und das, obschon sie selbst oft genug in Kontexten verortet ist, an denen „alles zu spät“ ist, wie Niklas Maak in seinem Text schreibt. Hier wird deutlich, welche Wirkmacht Architektur haben kann, wenn ihre Stärken von fähigen Gestaltern ausgespielt werden.


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Carsten Krohn, Michele Stavagna: Erich Mendelsohn. Bauten und Projekte
240 Seiten, zahlreiche Pläne und Fotos, 69,95 Euro
Birkhäuser, Basel 2021

Unbestritten ein fähiger Gestalter wirkmächtiger Räume war Erich Mendelsohn. Mit dem Einstein-Turm in Potsdam (1918–1924) oder den Kaufhäusern der Schocken-Kette und den dazugehörigen prägnanten Skizzen und Zeichnungen ist der 1887 im heutigen Olsztyn – dem damals ostpreußischen Allenstein – geborene Mendelsohn in die Architekturgeschichte eingegangen. Nach einer kaufmännischen Ausbildung studierte er bei Theodor Fischer in München Architektur. Gemeinsam mit Walter Gropius, Mies van der Rohe, Hugo Häring, Hans Scharoun und elf weiteren Architekten gründete er 1926 die Vereinigung „Der Ring“. Anders als im Falle der PR-Spezialisten van der Rohe und Gropius ist das umfängliche Werk von Erich Mendelsohn in Gänze lange Zeit jedoch nur ausgewiesenen Fachleuten bekannt gewesen. Den Autoren Carsten Krohn und Michele Stavagna ist es zu verdanken, dass sich das nun, da Regina Stephans Monografie vergriffen ist, ändern kann. Gemeinsam haben sie im Birkhäuser-Verlag „Erich Mendelsohn. Bauten und Projekte“ vorgelegt.

Das Buch greift die Konzeption früherer Publikationen von Carsten Krohn auf und zeigt ausgewählte Bauten aus dem Œuvre Mendelsohns in neu gezeichneten, klaren und prägnanten Grundrissen und Ansichten, historischen und aktuellen Fotos sowie kurzen Texten. Die Zeichnungen wie die neuen Fotos stammen dabei ebenso wie ein Teil der Texte von Krohn, die übrigen Kurztexte verantwortet Stavagna. Von ihm stammt auch ein einleitender Essay, der das architektonische Schaffen Mendelsohns in seiner Genese und Rezeption lesenswert einordnet. Auch Krohn steuert einen Einleitungstext bei, der etwa die Folgerichtigkeit der formalen Stränge im Werk des Architekten deutlich macht: von ersten Skizzen, die teilweise an der Front des Ersten Weltkriegs entstehen, über holzschnittartige Schwarzweiß-Zeichnungen hin zu ikonischen Bauten wie dem Kaufhaus Petersdorf in Breslau (1927–1928), das auch das Cover der Publikation ziert, oder der Hutfabrik Steinberg in Luckenwalde (1921–1923).

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Blick ins Buch

Bemerkenswert ist das Buch nicht nur wegen seiner sauberen Gestaltung oder der Detailtiefe, mit der die beiden Autoren den Architekten und seine Bauten kenntnisreich porträtieren, sondern auch, weil es wenig publizierte Häuser von Erich Mendelsohn für eine breite Öffentlichkeit zugänglich macht. Das gilt sowohl für Projekte, die in Zusammenarbeit mit Serge Chermayeff in Großbritannien entstanden, wohin Mendelsohn vor den Nazis zunächst floh – etwa das Haus Nimmo (1933–1934) –, als auch für verschiedene Häuser im heutigen Israel, wie beispielsweise das Ensemble aus Wohnhaus und Bibliothek für Salman Schocken in Jerusalem (1934–1936), sowie in den USA, wo zwischen 1946 und 1950 das Maimondes-Krankenhaus und das wunderbare Haus Russel (1948–1951) in San Francisco sowie mehrere Synagogen und Gemeindezentren entstehen. All das wieder ins Bewusstsein zu holen oder erstmals deutlich zu machen, ist ein schönes Geschenk für alle Architekturinteressierten.