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Bild: Moritz Kölling
Manchen Themen entkommt man nicht einmal im Urlaub. Es reicht ein Blick auf einen Bauzaun in List auf Sylt – „Penthouse sucht Playboy“ –  um erneut über den Wert des Wohnens nachzudenken und ihn auf die aktuelle Bauturbo-Debatte zu beziehen. „Penthouse sucht Playboy“. Das wirkt wie eine schlechte Pointe eines Systems, das vielerorts längst aus dem Gleichgewicht geraten ist. Ein etwas anderer Urlaubsbrief.

Wer sich mit dringend benötigtem, bezahlbarem Wohnraum beschäftigt, begegnet auf Sylt einer Zuspitzung, die zwischen Ironie und Ignoranz pendelt – in einem Ort, wo die Probleme offensichtlicher nicht mehr sein könnten. Die Tagesschau berichtete im Juli, der MDR in der Nordstory: Sylt – Mangelware Wohnraum. Ein Blick in die Online-Mietportale bestätigt das Bild: In List wird ein 32 Quadratmeter kleines Apartment mit Meerblick für rund 1.500 Euro Kaltmiete zur Langzeitnutzung angeboten. Gleichzeitig fehlen Alternativen für die Menschen, die das Leben und Arbeiten auf der Insel überhaupt erst möglich machen. Rund 5.000 Pendlerinnen reisen täglich vom Festland an, um den Urlaubsbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Wohnraumsituation ist längst Teil einer öffentlichen Debatte – und offenbart eine tiefergehende Schieflage: Es fehlt weniger an Wohnraum als an Verantwortung.

Wer sucht hier wen?

Vor diesem Hintergrund wirbt ein exklusives Wohnungsbauprojekt mit dem Slogan „Penthouse sucht Playboy“ – eine Zeile, die gleich zwei Zeitschriftentitel zitiert und dabei Wohnversprechen, luxuriöse Konsumästhetik und abgeschmackte Geschlechterklischees zu einem Projektbild verdichtet: Bauen für Sichtbarkeit, nicht für Versorgung. Hier stimmt nichts, auch die Rollenverteilung ist verkehrt: Die Wohnung sucht einen Lebemann – und scheint dabei in den 1970ern steckengeblieben zu sein.

„Ich war nie ein Playboy. Ich habe nur so ausgesehen“, sagte einst Gunter Sachs – Sylter Ikone und stilbewusste Selbstinszenierung aus jener Zeit. Was bei ihm ironisch klang, wird hier zur baulichen Realität: ein Verständnis von Architektur, das sie auf formale Sichtbarkeit und Urlaubsträume reduziert – Nutzung, Gemeinwohl, Verantwortung oder Nachhaltigkeit zählen nicht. Während Ferienwohnungen mit 32 Quadratmertern für 47 €/m² als Langzeitmiete angeboten werden, zeigen sich Leerstände außerhalb der Saison – selbst in der Hochsaison bleibt so manche Wohnung ungenutzt – weil das Personal fehlt und der Aufwand, sie zu unterhalten, zu hoch ist? Ist das schon eine Trendwende?

Dabei gäbe es Spielräume. In List ist jüngst ein neues Quartier mit gefördertem Wohnraum entstanden – doch laut MDR bleibt es für die interviewte Familie unattraktiv. Und selbst dort tauchen Wohnungen zu Kaltmieten von über 20 Euro pro Quadratmeter in den Portalen auf. 

Bemerkenswert ist, dass der Slogan zum Projekt eines Unternehmers von der Insel gehört – jemandem also, der die lokalen Herausforderungen kennt.

Beschleunigung in die falsche Richtung


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Bild: Moritz Kölling

Und obwohl ich eigentlich Urlaub mache, denke ich sofort an den politisch geläufigen Begriff „Bauturbo“ – der Versprechen für schnelleren, effizienteren Wohnungsbau für alle sein soll. Hier verwandelt er sich in sein Gegenteil: nicht sozialer Fortschritt, sondern beschleunigter Flächenverbrauch. Nicht Entlastung – sondern Entwertung natürlichen, landschaftlichen und öffentlichen Raums.
 Und wie verhält es sich hier zu den proklamierten drei T’s – Tempo, Technologie und Toleranz – der Bundesbauministerin?
 Tempo wird gemacht – allerdings nicht, um sozialen Wohnraum zu schaffen, sondern um serielle Premiumarchitektur in sensibler Küstenlage zu legitimieren. 
Technologie sorgt nicht für ressourcenschonendes Bauen, sondern für maximale Aussicht – standardisiert, hochwertig, renditestark. 
Und Toleranz? 
Toleranz endet spätestens dort, wo der Grundriss keinen Platz mehr für andere Lebensrealitäten vorsieht. Ansonsten ist von Toleranz wenig zu sehen. Die einen dürfen in die Düne bauen, um das Meer zu sehen – die anderen sehen zu, wie ihnen der Blick verbaut wird. Während Menschen, die auf der Insel arbeiten, kaum bezahlbaren Wohnraum finden, entstehen Appartements für jene, die vor allem eines konsumieren wollen: Exklusivität. Nicht Nachbarschaft, nicht Alltag, nicht Verantwortung. Die Ästhetik der seriell gefertigten Panoramafenster erzählt von Großzügigkeit – aber nicht von Gemeinwohl.

Wenn das politische Instrument des Bauens seine soziale Orientierung verliert, bleibt von seinen gesellschaftlichen Zielen nicht viel übrig. Dann parkt es – klimatisiert, vollverglast und betont hochwertig – in der Düne. Wohnung sucht jedoch nachhaltig handelnde Investoren – solche, die im Urlaub lieber längere Strandspaziergänge machen und dabei über Investitionen ins Gemeinwesen nachdenken: in bezahlbaren, nachhaltigen und innovativen Wohnungsbau. 
Wer vor Ort investiert, könnte auch Verantwortung vor Ort übernehmen – und Wohnformen schaffen, die nicht nur kalkulierbar, sondern auch tragfähig sind.