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Bekennerschreiben

Stilkritik (31): Warum Fachzeitschriften-Redakteure nicht in den Ruhestand gehen können: Sie finden erst als Rentner die Bedingungen, unter denen es Spaß macht, sich journalistisch zu beschäftigen.

Genauso gut könnte man fragen: Warum haben wir so wenig Zeit zum Lesen? (Bild: Wolfgang Bachmann)

Genauso gut könnte man fragen: Warum haben wir so wenig Zeit zum Lesen? (Bild: Wolfgang Bachmann)

Nein, ich lese keine Stellenanzeigen mehr. Besser kann ich es nicht mehr erwischen. Mit einer Rente im Hintergrund als freiberuflicher Autor zu arbeiten, ist eine Existenzform, an der es nichts auszusetzen gibt. Es ist sogar die einzig mögliche Form, sich journalistisch zu betätigen. Den Tag mit zügellosem Zeitunglesen beginnen, wer kann sich das sonst erlauben? Und nur die Artikel schreiben, die einen interessieren, zu Themen, von denen man wenigstens etwas Ahnung hat oder haben möchte? Eine Woche recherchieren, um zwanzig Zeilen Text zu ziselieren! Welcher Redakteur darf zu diesen Konditionen arbeiten?

Vom Rechercheur zum Aquisiteur

Je länger das angestellte Leben hinter mir liegt, um so fragwürdiger kommen mir die Bedingungen vor, unter denen man bei Architekturfachzeitschriften arbeitet. Erwärmte man sich vor vierzig Jahren noch an der Vorstellung, dort säßen Leute, die den lieben langen Tag neue Architektur verfolgen, besichtigen und sich darüber kluge Gedanken machen, dann entsprach das vielleicht in den 1980er-Jahren halbwegs der Wirklichkeit. Danach wurde es ernst, die Redakteure wurden für den Umsatz verantwortlich. Sie sollten in Kategorien des Marketings denken und Produkte zu ihrer Zeitschriftenmarke erfinden. Wenn die Rendite in den Keller ging, wurde den unbelehrbaren Schreiberlingen in Meetings und Wochenendworkshops das geschäftliche Rüstzeug beigebogen. Dies scheint in Verlagen ein Patentrezept zu sein.
Vor kurzem hat Kurt Kister (59) aus der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung mit mildem Spott über so eine Nachhilfeveranstaltung berichtet, zu der ihn die Geschäftsleitung kommandiert hatte. Geld und Geist sind eben in verschiedenen Welten zuhause. Ich erinnere mich, wie mein Arbeitgeber, bei dem man mittlerweile Dienstfahrten anmelden musste, davon abriet, einen Ort zu besichtigen, über den ich schreiben wollte: Er könne auch nicht überall hinfahren, wonach ihm gerade der Sinn stehe, und wenn es so eine unnötige Reise denn sein müsse, sollte ich wenigstens unterwegs einen Anzeigenkunden besuchen. Die Unternehmensberater waren wohl noch in Rufweite. Im glücklichen Fall können sich Journalisten mit einer Glosse therapieren, sonst würden sie depressiv.

Das Bücherbrett als Einfeldträger – die Streckenlast q der Jahrsbände scheint nach der Regel ql²/8 ein gewaltiges Biegemoment zu erzeugen. (Bild: Wolfgang Bachmann) empfohlene

Das Regalbrett als Einfeldträger: Die Streckenlast der Jahrsbände (q) erzeugt nach der Regel ql²/8 ein gewaltiges Biegemoment. Wenigstens das lesen Architekten in den Büchern über Tragwerke. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Und dann die guten Jahre …

Geht es Freiberuflern besser? Schwierig. Mit den mageren Zeilenhonoraren auszukommen, wenn der Lebenspartner kein solides Einkommen beisteuert, ist ein Wagnis. Das gelingt erst im Rentenalter – siehe oben. Dann darf man in den Wiedergutmachungsmodus schalten und ohne Hast Architektur entdecken – oder ignorieren. Man darf in Konkurrenzzeitschriften, bei denen man bislang nur die Anzeigenseiten gezählt hat, unerwartet wertvolle Artikel finden. Fachbücher liest man jetzt ganz zu Ende und sucht nicht nur nach einem schlauen Zitat. Man pflegt Freundschaften mit Autoren und Architekten, die nicht der Redaktionsräson entsprechen. Und wenn ein Unternehmen anruft und einen Vortrag bestellt, braucht man nur einen Text zu liefern und muss weder einen Beihefter noch ein Kaltes Büffet dazu verkaufen. Glück dem, der außerdem ein Häuschen baut. Da entdeckt er plötzlich, wie Handwerker den Ehrgeiz des Architekten nach klaren Linien, schlanken Profilen und nahtlosen Anschlüssen zu übertreffen suchen, wie sie Details lösen, sich auskennen mit Materialien und Werkzeugen. Wann haben Redakteure dafür Zeit?

Freut euch, Kollegen, die guten Jahre liegen noch vor euch!