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Fragen zur Architektur (16): Eine Zeitlang hatte es Konjunktur, von Herausforderungen statt von Problemen zu sprechen. Inzwischen gestehen wir uns immerhin wieder ein, eine ganze Menge an Problemen zu haben. Ein Fortschritt ist das aber kaum. Denn damit wird nur suggeriert, die Probleme könnten gelöst werden. Man blockiert damit den gestalterischen Zugriff auf das, was als Problem nur unzureichend erfasst wird. Das kommt auch in mythischer Gestaltungsgründelei zum Ausdruck. Das ist ein Problem.


In einem Interview mit Martin Schulz beklagt Richard David Precht, dass sich die Erwartungen an Politik geändert hätten. (1) Menschen erwarteten von der Politik, das sie Probleme löse – zum Beispiel das Problem, dass Google keine Steuern zahle. „Das finde ich eine erschreckende Verengung von Politik“. Man habe es mit Prozessen zu tun, die keine Probleme seien – weder wenn es um Flüchtlinge noch wenn es um Terror gehe. Politik sei kein Problemlöser – bei Politik gehe es darum, gesellschaftliche Prozesse langfristig zu gestalten.

 

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Immer gern genommener Problemlöser: Der Tunnel

Prozesse sind keine Probleme

Könnte man nicht diese Frage auch auf Architektur und Städtebau beziehen? Probleme, so nochmal Precht, verschwinden, wenn sie gelöst sind. In dieser Auffassung bringt Architektur, die ein Problem löst, das Problem zum Verschwinden: ich habe das Problem, dass ich keine Wohnung finde. Sobald ich eine gefunden habe, ist das Problem gelöst und es beschäftigt mich nicht weiter. Nun wissen wir aber auch, dass für jemanden, der nur einen Hammer hat, jedes Problem ein Nagel ist – man versteht und interpretiert eine Frage so, damit man mit den Instrumenten und Möglichkeiten, die man hat, auf sie eine Antwort geben. Damit verändert man die Frage aber so, dass selbst der sauber und mit einem Schlag eingehauene Nagel bald wieder neue Fragen aufwirft. Klassiker einer solchen Art, Prozesse auf einfache Probleme zu reduzieren, die man lösen kann, ist die konventionelle Verkehrsplanung. Steigt das Verkehrsaufkommen, werden neue Straßen gebaut, weswegen das Verkehrsaufkommen weiter steigt. Und die dann so oft geäußerte Ansicht, dass man eben an den Ursachen ansetzen müsse, zielt hier ins Leere. Mobilität ist ein Bedürfnis, eine Notwendigkeit, die man nicht abschaffen kann, und wenn man noch so gründlich und grundlegend die Ursachen erforscht. Es geht darum, Mobilität langfristig zu gestalten, darin einen Prozess zu sehen, der nicht irgendwann an ein Ende gekommen ist, an dem ein Ergebnis für alle Zeiten befriedigend gelöst sein wird. Das war das Versprechen technizistischen Fortschrittsglaubens, von dem so oft behauptet wird, dass er ein Phänomen der Vergangenheit sei. Selbst als jemand, der sich nicht unbedingt zu den Fans von Jan Gehl zählt – in der Prognose, dass selbstfahrende Autos keine Qualitätsverbesserung bringen werden, stimme ich ohne Einschränkung zu. (2) Genauso wenig wird man das „Problem“ der Energieversorgung irgendwann einmal ein für alle mal lösen, das des Wohnungsbaus auch nicht, und nur weil wir Grenzen dicht gemacht haben und als Folge von menschenrechtlich mehr als fragwürdigen Deals und Methoden bei uns wieder weniger Geflüchtete aufnehmen, sind wir nicht weniger aufgefordert, unsere Vorstellungen davon, wie wir uns ein Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religion immer wieder neu zu prüfen und neu zu bestimmen. Im Gegenteil – es wird dadurch noch viel dringender nötig, weil damit erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden könnten, in Zukunft besser auf eine vergleichbare Situation vorbereitet zu sein. Das Versagen bestand ja nicht nur darin, soziale Spannungen durch Polemik angeheizt zu haben, zumindest unterschwellig suggeriert zu haben, dass die Herkunft eines Menschen der Grund für sein kriminelles Verhalten sei. Das Versagen hat darin bestanden (und tut es immer noch), gesellschaftliche, politische Veränderungen nicht behandelt zu haben, der Angst der Menschen vor einem sozialen Abstieg keine Perspektiven entgegen setzen zu wollen und nicht deutlich gemacht zu haben, dass Migrationsbewegungen Teil einer Wirklichkeit sind, der wir uns nicht verschließen können. Die Illusion verbreiten zu wollen, es könne einen unveränderlichen gesellschaftlichen Zustand geben, war und ist das eigentliche Versagen, und es wird nicht im Geringsten dadurch entschuldigt, dass diese Illusion einer tiefen Sehnsucht der Menschen entspricht.

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Blockade durch Sehnsucht

Für Architekten und Städtebauer sind dies deswegen wichtige Sachverhalte, weil das Versprechen auf die Lösung eines Problems, das die Reflexion langfristiger Prozesse ersetzt, den gestalterischen Zugriff auf diese langfristigen Prozesse blockiert. Es blockiert den gestalterischen Zugriff auf die Fragen, wie ein Zusammenleben organisiert werden muss, um Konflikte zu entschärfen, weil versprochen wird, dass ein Zustand erreicht werden kann, der frei von Konflikten ist. Wohnen wird auf den Bau von Wohnungen reduziert: die Frage, wie innerhalb des Gesamtbestands alles Gebauten Wohnen als ein mit dem Arbeiten, mit der Freizeit, verknüpften Prozess zu gestalten ist, der Straßen, Fahrangebote, Freiräume, Einkaufsmöglichkeiten aufeinander bezieht, wird zwar nicht als eine wichtige geleugnet, aber als eine nachrangige behandelt, die erst dann angegangen werden kann, wenn genug Wohnungen gebaut sein werden – dann ist es aber zu spät, sie aufzugreifen. Genauswenig wird reflektiert, wie der Bestand organisiert werden kann, dass sich darin Veränderung flexibler handhaben lässt: Es geht vielleicht nicht nur um wachsende Häuser, sondern auch darum, über schrumpfende nachzudenken. Und natürlich geht es um einen Zusammenhang mit Politik: Ein solches Nachdenken hat nur dann Sinn, wenn es von entsprechendem Willen zur Steuerung gerahmt, der bereit ist, die Frage danach zu stellen, welche Rolle das Gemeinwohl hat und ob Immobilien als Finanzanlage Gewinne für Private erbringen dürfen, die durch Leistungen der öffentlichen Hand erst möglich werden.

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Bauten aus der Zeit, als die Menschen noch wussten, was Bauen ursprünglich bedeutet. War leider auch nur eine geschichtliche Episode. (Alle Bilder: Christian Holl)

Und auch hier ist Mobilität eines der Politikfelder, an denen deutlich sichtbar wird, was das bedeutet – nirgendwo sonst ist der Mangel an Gestaltung in jeder Hinsicht so offensichtlich. Mobilität bleibt beschränkt auf eine technische Frage, die den Verkehrsplanern überlassen wird, anstatt deren Kompetenz zu einem Teil einer Gestaltung zu machen, die Mobilität eben gerade nicht als ein Übel, sondern als einen nie zu einem Ende kommenden Prozess versteht. Statt dessen wird Mobilität als notwendiges Übel erachtet, eben ein Problem von dem man meint, dass es im besten Fall zum Verschwinden gebracht werden kann, wenn nur irgendwann ein vermeintlich zeitloses Ideal erreicht werde. Es wird immer eine unerfüllte Sehnsucht bleiben. Unsere Städte, die Landschaften sind ein Abbild dessen, was mit dieser Sehnsucht verdrängt und blockiert wird. Sie sind das Abbild eines Denkens, das Konflikte und Prozesse auf Probleme reduziert, die in einem Bild eines Idealbilds von Stadt und Landschaft gelöst erscheinen. Erst mit einem solchen Denken kann man glauben, es gäbe das, „was Bauen und Behausen ursprünglich bedeutet“, oder gar „ein „Urschaffen“ des Menschen,“ wie man gerade erst beim BDA zur Vergabe des großen BDA-Preises an Peter Zumthor verlauten ließ. Das einzige, wofür der Glaube an ein „Urschaffen“ des Menschen sorgt, ist, dass etwas nicht gestaltet wird, weil man meint, es sei ja eigentlich nur ein Problem.


(1) Das vollständige Interview >>>
Die Stelle, auf die hier Bezug genommen wird, findet sich ab 16:15
(2) Jan Gehl im Interview in der Stuttgarter Zeitung >>>