Noch ein Konzertsaal? Der Bautypus boomt und scheint der prominenten und öffentlichkeitswirksamen Museumsbauaufgabe den Rang abzulaufen. Beim just eröffneten Pierre Boulez Saal in Berlin rückt mit einer angegliederten Musikakademie das gemeinsame Musizieren und Hören in den Vordergrund.
Der Hype um Hamburgs „Elphi“ und die Debatten um neue Konzertsäle in München oder Stuttgart rücken – bei aller Anerkennung der Architekturqualität – fragwürdige Kriterien in den Vordergrund: eine überbewertete akustische Technik ebenso wie das Spektakuläre der äußeren Erscheinungsform. Doch ähnlich wie beim neuen Musikforum in Bochum verhält es sich im jetzt eröffneten Berliner Pierre Boulez Saal anders: Die genannten Kriterien spielen nur eine sekundäre Rolle, obwohl mit dem inzwischen 88-jährigen Frank O. Gehry und dem weltweit gefragten Akustiker Yasuhisa Toyota durchaus Koryphäen ihres Fachs mitwirkten.
Die Idee
Der musikbegeisterte Daniel Barenboim – israelisch-argentinischer Herkunft – ist immer auch politisch aktiv gewesen. Dass verfeindete Menschen, Gruppen, Völker, Gemeinschaften jeder Art sich einander annähern und friedlich leben können, ist dem Pianisten und Dirigenten mehr als ein Anliegen, was ihn allerdings auch immer wieder heftigen Angriffen aussetzt. Doch dass man gerade in seinem Metier zu einer Annäherung beitragen kann, zeigte sich unter anderem 1999, als er im Kontext des Nahostkonflikts mit dem palästinensischen, inzwischen verstorbenen Literaturwissenschaftler Edward Said das „Orchester des West-östlichen Divans“ gründete. Beim gemeinsamen Musizieren begreifen die jungen Menschen, dass sie – obwohl aus verfeindeten Volksgruppen – friedlich miteinander leben und gemeinsam arbeiten können.
Als Barenboim 70 wurde, gründete er in Berlin die Barenboim-Said-Akademie, in der in erster Linie Nachwuchsmusiker aus dem Nahen Osten ausgebildet werden. Rund 90 Student(innen) können aufgenommen werden. Es bot sich an, die Akademie und einen kleinen Konzertsaal im ehemaligen Magazingebäude der Berliner Staatsoper, die 1953-54 von Richard Paulick an der Französischen Straße gebaut worden war, unterzubringen. Das interkulturelle, gemeinnützig organisierte Projekt wird vom Auswärtigen Amt und der Kulturstaatsministerin mit 20 Mio Euro unterstützt, Spenden in einer Größenordnung von 17,7 Mio kamen dazu. Die Idee fand hier in der Französischen Straße einen trefflichen, im prominenten Quartier mit Ministerien und Schinkel-Devotionalien einen eher unscheinbar wirkenden Ort. Nichts ist zum Straßenraum hin an der bestehenden Fassade aufgedonnert oder imposant inszeniert worden: Der Eingang ist nur mit kleinem Vordach markiert – der Bestand impliziert ein noch dezenteres Erscheinungsbild zur Straße hin als beispielsweise die Salle Pleyel in Paris.
Schon am Eingang lockt roter Linoleum-Boden ins Foyer, das schmal und hoch mit sympathischer Intimität umgibt. Unter einem gemeinsamen Dach bilden nun Akademie und Boulez Saal eine überzeugende Einheit, obwohl zwei Architekten beteiligt waren: Frank O. Gehry und HG Merz.
Bauen im Bestand
Die Dreiteilung des Gesamtgrundrisses in Akademie im Westen, Saal im Osten und dazwischen Café-und Foyerbereichen ist schlüssig und funktional gut durchdacht. Die Akademie-Etagen sind mit Übungskabinen unterschiedlicher Größen bestückt, deren Wände leicht aus dem rechten Winkel gerückt sind. Dazwischen entstanden Sitznischen, die den angehenden Musikern vorbehalten sind. Das gilt auch für die Bibliothek am rückwärtigen Übergang zum Foyer; hier wird noch ein Glas-Sponsor gesucht, der eine Art „Schaufenster“ zwischen Bibliothek und Foyer spendet.
Der Boulez Saal
Nun gipfelt das professionelle Musizieren aber doch in der Aufführung. Musik ist anders als andere Künste nur im Moment des Musizierens und Hörens „existent“. Deswegen gehört zu Musikakademien meistens ein kleiner Konzertsaal, der hier immerhin 682 Plätze bietet und explizit Strahlkraft entwickeln soll. Der nach dem Komponisten und Barenboim-Freund Pierre Boulez (1925-2016) benannte Saal ist als „salle modulable“ konzipiert, als einigermaßen flexibel nutzbarer Raum. Frank O. Gehry, mit nunmehr 88 Jahren auch noch aus einer Generation, die vom Kalten Krieg geprägt ist, steuerte dazu als räumliche Idee bei, in den quaderförmigen Raum mit mehreren Ellipsen die geometrische Konstellation für Parkett und Ränge festzulegen. Im Parkett lassen sich Sitzreihen verschieben, um die Fläche für die Musiker zu vergrößern oder den Saal deutlicher zu richten. Die Ränge bestehen aus zwei leicht gekippten Ellipsen – vergleichbar einer Krempe ohne Hut –, sodass die Gehfläche leicht geneigt ist. Das irritiert insofern etwas, als dass die Neigung an bestimmten Stellen Stufen bedingt und man aufpassen muss, wo man hintritt.
Bodenplatten und Wandscheiben des alten Magazins wurden entfernt, Fassade und Dach blieben erhalten. So behält der Saal dank der – konstruktiv aufwändigen – Fenster Außenkontakt, auch zum Foyer blieben Blickbezüge erhalten. Die Rangebenen (elliptisch, siehe oben) liegen auf zwei gegenüberliegenden, neu errichteten Wandscheiben und sind statisch wie eine Brücke ausgebildet. Bekleidet ist der Saal mit Douglastanne, aus akustischen Gründen hängen unterhalb der Ränge gebogene Glasscheiben. Das sieht etwas „nachgerüstet“ und deswegen gewöhnungsbedürftig aus.
Bei allem musste der Kostenrahmen beachtet werden, was in einem offensichtlich besten Zusammenwirken von Bauherr, Architekten (Gehry und HG Merz für die Akademie mit Foyer) sowie den Ausführungsplanern von RW + und den Projektmanagern teamproject weitgehend gelungen ist. Manches Detail hätte vielleicht noch mehr Raffinesse verdient – Anschlüsse der Ränge an die Wände beispielsweise. Aber im Ganzen entstand eine stimmige, angenehme Atmosphäre, die einerseits dem Anspruch einer Ausbildungsstätte mit Außenwirkung gerecht wird, aber vor allem der Nähe von Musikern und solchen, die zuhören, zuschauen und dabei sein wollen, zugute kommt.
Besucht habe ich den Boulez-Saal zu einem sonntäglichen Schubert-Sonaten-Konzert von Daniel Barenboim. Der Maestro spielte mit Leidenschaft und Innigkeit, zudem nahm er sich im Spiel ohne Noten grandiose Freiheiten. Die Freude über die neue, geradezu intime Musikarena ließ seine Augen glänzen – er liebt die Nähe zum Publikum, das kaum noch näher sein könnte als hier. Nun sind in der ersten Zeit die Studenten noch nicht so weit, zum Programm des Saals hinreichend beizutragen. So lud die Intendanz in dieser frühen Phase alles ein, was Rang und Namen in der Musikszene hat, viele Freunde Barenboims dabei. Martha Argerich, Pinchas Zukerman, Radu Lupu – gereiften Künstler/innen unterschiedlicher Genres gilt es Respekt zu zollen, wie sie die Zuhörerschaft zu begeistern wissen. In den kommen Tagen und Wochen geht es weiter: Daniel Barenboim mit Schubert-Sonaten bis 31. März, Anfang April gibt es ein fantastisches Quartett-Festival, daneben Schubert-Lieder- und Jazz-Abende und vieles mehr: hingehen, zuhören! Hier entstand ein kleines Paradies für Musikfreunde, dessen Anspruch ambitioniert, aber nicht elitär ist. Zudem überzeugt an diesem Ort, wie kultur- und religionsübergreifende Kooperation mit Leben gefüllt wird und begeistert. Daniel Barenboim redet gern von einem „denkenden Ohr“ – nun denkt das Ohr so wenig wie die Nase oder das Auge. Doch was Musik, die übers Ohr den Weg in Kopf, Sinne und Körper findet, bewirken kann, offenbart die neue Musikstätte wunderbar. Sie wirft im Kontext der Elbphilharmonie auch Fragen für die geplanten Konzerthäuser in München oder Stuttgart auf, die derzeit noch mit diffusen Intentionen vorbereitet werden.
Barenboim Said Akademie und Boulez Saal
Französische Straße 33d, Berlin
https://boulezsaal.de/de/
Architekten
Frank O. Gehry, Designpartner Saal
Craig Webb, Projektdesigner Saal
Gesa Büttner, Projektarchitektin
HG Merz, Musikakademie
Ausführungsplanung
RW+, Berlin
Bautechnik
GSE Ingenieurgesellschaft, Berlin
Projektmanagement
teamprojekt Berlin
Akustik
Nagata Acoustic America, Los Angeles
Yasuhisa Toyota, Daniel Beckmann
Müller BBM, Schalltrennung