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Das Ende ist der Anfang

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Im Kolumbarium „Die Eiche“ kann man in einer  einladenden, ruhigen Atmosphäre der Toten gedenken. (Bild © Jörg Schwarze)

Im Tod sind wir alle gleich – und doch sind die Bestattungsformen, ist die Kultur des Trauerns so individuell und unterschiedlich wie noch nie. Der „Campus Vivorum“ in Süßen, das Kolumbarium „Die Eiche“ in Lübeck und das muslimische Wasch- und Gebetshaus in Hamburg stehen exemplarisch dafür, wie sich Gestaltung der letzten Ruhestätte und der Abschied von Verstorbenen transformiert.

Wie wir dem Tode begegnen, sagt viel über uns aus, über die Person, die Kultur, die Gesellschaft. In Deutschland hat sich die Bestattungs- und Trauerkultur in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. So wie sich unser Alltag und Leben verändern, so verändert sich auch der Abschied davon. Dies bringt neue Rituale mit sich und bedarf anderer Räume. Wie wollen wir beerdigt werden? Was brauchen Menschen für ihre Trauer? Ein vielschichtiges und komplexes Thema, das außerhalb religiöser Kreise und des Bestattungswesens viel zu wenig Beachtung findet.


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Installation am Eingang des Campus Vivorum. (Bild: Petra Kamenar)

Zukunftsmodell Friedhof?

Schauen wir auf den traditionsreichsten Ort der Bestattung: den Friedhof. Immer mehr Menschen wünschen sich kostengünstige und pflegearme Gräber, was vielfältigen Umständen geschuldet ist, etwa dem, dass viele Hinterbliebene nicht mehr dort wohnen, wo der oder die Verstorbene begraben wird. Es gibt immer weniger Erdbestattungen, dafür mehr alternative Formen wie Feuerbestattungen oder letzte Ruheplätze in Kolumbarien, Gemeinschaftsanlagen, unter Rasenplatten oder in anonymen Feldern. Hinzu kommen neue Bestattungsformen wie Friedwälder oder der zunehmende Bedarf an nicht-christlichen Bestattungen. Die gesamte Branche ist im Wandel. Die Kommunen stehen vor enormen Aufgaben, denn über das individuelle Begräbnis hinaus erfüllen die Friedhöfe weitere Funktionen im Stadtraum, sind etwa kulturgeschichtliche Zeugnisse und Teil der grünen Lunge einer Stadt. Auch wirtschaftlich brauchen Friedhöfe neue Konzepte, um überleben zu können.


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Einer der Pavillons, die Manthey Kula für den Campus Vivorum errichten werden. (Bild: © Manthey Kula)

„Campus Vivorum“ in Süßen

Im baden-württembergischen Süßen beschäftigt sich die Kunstgießerei Ernst Strassacker intensiv mit der Zukunft des Friedhofes. Zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V., die auch das Museum für Sepulkralkultur in Kassel betreibt, hat das Unternehmen vor rund zehn Jahren die Initiative „Raum für Trauer“ ins Leben gerufen, um theoretisch und praktisch neue Formen des Friedhofes zu entwickeln. Im Austausch mit Wissenschaftler:innen und Expert:innen aus verschiedenen Bereichen wie Medizin, Soziologie, Psychologie oder Architektur rief es einen interdisziplinären Arbeitskreis ins Leben, zu dem auch der Trendforscher Matthias Horx gehört. Seit Mitte 2023 gibt es ein „Experimentierfeld“ für ihre Untersuchungen, den „Campus Vivorum“. Auf 6.000 Quadratmetern forscht dort die Initiative, welche Atmosphäre ein Raum benötigt und wie er gestaltet sein muss, damit er Hinterbliebene in ihrem Trauerprozess unterstützt und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung trägt.

„Ein Friedhof muss Handlungen erlauben, die das Gedenken unterstützen.“
Beate Hølmebakk, Manthey Kula


Ort für die Lebenden

Diese Arbeit fußt auf einigen wesentlichen Thesen, wie etwa der, dass der Friedhof ein Ort der Lebenden (also der Trauernden) sei. Eine weitere Erkenntnis benennt Günter Czasny, stellvertretender Geschäftsführer von Ernst Strassacker und Sprecher von „Raum für Trauer“: „Menschen brauchen Rituale, um ihre Trauer zu verarbeiten, um weiterhin in Beziehung zu den Toten zu stehen.“ Das sei in der Transformation der Friedhöfe der vergangenen Jahrzehnte verkannt worden. Die Initiative will aufzeigen, wie es anders gelingen kann. Auf dem „Campus Vivorum“ gibt es landschaftlich unterschiedlich gestaltete Räume, die zu Kontemplation, Reflexion, Gemeinsamkeit und Gespräch anregen.

Links: Eine Installation macht durch Symbole deutlich, dass der Campus Vivorum ein Friedhof für mehrere Kulturen ist. (Bild: Petra Kamenar)
Mitte: Der Eingang wurde von den Architekten Beate Hølmebakk und Per Tamsen vom Büro Manthey Kula gestaltet. (Bild: Petra Kamenar)
Rechts: Lageplan und Geländeschnitt der Anlage.


Direkt an  den Gräbern sind immer Plätze vorhanden, an diesen die Hinterbliebenen ihre Trauerrituale durchführen können. Die klassischen Raster, wie man sie von Friedhöfen kennt, wurden zugunsten frei angeordneter Grabfelder aufgegeben. Natur- und Sinneserfahrung stehen hier im Zentrum. Für das Konzept hat die Initiative unter anderem das niederländische Architekturbüro Karres + Brands, das auch den Masterplan für den „De Nieuwe Ooster“-Friedhof in Amsterdam entwickelt hat, an Bord geholt; ebenso wie die Architekten von Manthey Kula aus Norwegen, mit denen Ernst Strassacker für das Trauermahnmal auf der norwegischen Insel Utøya zusammengearbeitet hat. Während Karres + Brands den Masterplan entwickelt hat, wird Manthey Kula drei kleinere Gebäude realisieren. Ein wenig wirkt der „Campus Vivorum“ wie eine kleine BUGA. Ein fortlaufender Prozess, bei dem alle viel lernen, so Czasny. Mittlerweile ist der „Campus Vivorum“ eine bekannte Anlaufstelle für Kommunen und andere Träger, und es wurde zusätzlich eine Agentur mit der Beratung von Friedhöfen etabliert.


„Die Eiche“ in Lübeck


BU: DIE EICHE: Der historische Kornspeicher von 1873 wird zum Kolumbarium © Jörg Schwarze

„Die Eiche“ ist in einem alten Kornspeicher am Hansahafen in Lübeck untergebracht, den Thomas Mann auch in den „Buddenbrooks“ erwähnte. (Bild © Jörg Schwarze)

Zu den klassischen Grünanlagen mit Gräbern gibt es aber immer mehr Alternativen – etwa Kolumbarien (von lateinisch „Taubenschlag“), die heute nicht mehr nur auf Friedhöfen oder in Urnenkirchen zu finden sind. Mitten in Lübeck hat seit Juni 2024 ein bemerkenswerter Urnenfriedhof seine Tore geöffnet: „Die Eiche“. In dem alten, prachtvollen Kornspeicher, den Thomas Johann Heinrich Mann, Vater des Schriftstellers Thomas Mann, am Hansahafen 1873 erbaut hatte und der in den letzten Jahren als Antiquitätenhaus genutzt wurde, kann man nun seinen letzten Ruheort finden. Mit dem „Herzensprojekt“ wollen Gründer:innen Peggy Morenz und Michael Angern ein Ort schaffen, der „den Tod mit dem Leben verbindet“. Beide sind im Bestattungsbusiness aktiv. Angern bietet Software für Bestattungsunternehmen an, Morenz ist Produktmanagerin und gestaltet auch Urnen. „Wir holen den Friedhof wieder mitten in die Stadt, mitten ins Leben, wie es jahrhundertelang in Europa üblich war“, sagt Michael Angern.



		
		

Links: In einem Teil des Kolumbariums ist eine Bibliothek eingerichtet.
Mitte: Lichtinstallation im zentralen Luftraum des Kolumbariums
Rechts: Ansicht am Abend (Alle Bilder: © Jörg Schwarze)


„Lebenszeichen“ zwischen Kunst und Geschichte

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Urnenwand im Kolumbarium „Die Eiche“. (Bild: © Jörg Schwarze)

Beeindruckend ist vor allem der hohe gestalterische Anspruch; um ihn einzulösen, haben sich die Macher:innen an das Team von Atelier 522 gewendet. Nicole Gerland, Innenarchitektin bei Atelier 522: „Wir wollten weg von der traditionellen Trauerkultur, einen Ort der Ewigkeit und der Sinne kreieren.“ Auf zwei Ebenen, auf insgesamt 1400 Quadratmetern, finden 3.400 Urnen Platz in dem siebenstöckigen Haus, das durch eine massive Eichenkonstruktion geprägt ist. Die Decken wurden teilweise durchbrochen, sodass ein fast schon sakraler offener Luftraum mit Galerien über drei Geschosse entstand. „Die Eiche“ ist ein Ort, an dem man sich gerne aufhält. Die Schwere des Themas wird durch Elemente aus dem Leben aufgebrochen, was eine versöhnliche Atmosphäre schafft. Klassische und religiöse Elementen sucht man hier vergeblich, hingegen gibt es Sofas und Sitzgelegenheiten sowie Bücherecken und ein Kabinett zum Verweilen und Nachdenken. Immer wieder begegnet man Kunstwerken, die Morenz und Anger zu dem Thema sammeln – etwa ein Bild von Herman de Fries, der sich in seiner Kunst mit der Natur und dem Werden und Vergehen beschäftigt. Im Erdgeschoss befindet sich die Aussegnungshalle, während die zweite und dritte Ebenen den Urnen vorbehalten sind. Jedes kleinste Detail wurde in enger Zusammenarbeit mit den Macher*innen sorgsam gestaltet. So bedecken Mooreiche, Rosenholz oder Spiegel die Urnen-Möbel. In speziellen Fächern und Vitrinen lassen sich kleine individuelle Orte kreieren, so genannte „Lebenszeichen“, die zum Beispiel Erinnerungen an den Verstorbenen beinhalten können. „Die Eiche“ kann von jedem besucht werden, es gibt sogar Veranstaltungen wie Konzerte und Lesungen, getragen wird die Einrichtung von der Heilsarmee – ein konfessioneller Träger war obligatorisch. Und hier kann jede Person bestattet werden, egal welcher Religion sie angehörte, egal ob sie gläubig war oder nicht. Der Tod, die Trauer wird hier in eine sinnästhetische Erfahrung eingebettet.

„Die Gesamtkomposition aus Kunst und Geschichte schafft ein stilles und unaufdringliches Ambiente, das trösten und zugleich inspirieren und Kraft spende sollen.“
Peggy Morenz, „Die Eiche“ in Lübeck

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Der muslimische Glaube kennt keinen ausgeprägten Totenkult, die Gräber sind schlicht, passen sich aber immer mehr der hiesigen Kultur an. (Bild © Markus Dorfmüller)

Muslimisches Wasch- und Gebetshaus in Hamburg

Während der christliche Glaube und damit auch die christliche Bestattung mit all ihren Ritualen hierzulande zunehmend an Bedeutung verliert, nimmt die Zahl an Beerdigungen von Menschen anderer Religionen stetig zu. Vor allem gibt es immer mehr muslimische Gräber. Meist sind sie in eigenen Grabfeldern auf den großen kommunalen Friedhöfen untergebracht. Die muslimische Bestattungskultur unterscheidet sich grundlegend von der christlich-abendländischen. Dies lässt sich auf dem Hamburger Friedhof Finkenriek im Stadtteil Wilhelmsburg gut nachvollziehen. Dort steht seit 2020 im muslimischen Bereich ein neu gebautes Wasch- und Gebetshaus. Das Ergebnis einer Wiedergutmachung an die dortige muslimische Gemeinde, denn sie muss ihre Gräber umbetten, da unter dem bisherigen Ort nun der neue Autobahntunnel der A26 verlaufen soll.

Hof und zentraler Innenraum des Wasch- und Gebetshauses (Bilder: Jens Franke)


Waschung durch Angehörige

Für die Architektin Medine Altiok war diese Aufgabe Neuland, für die sie viel recherchierte, etwa zur großen Moschee nach Cordoba/Spanien fuhr, sich mit Bestatter*innen für muslimische Beerdigungen auseinandersetzte. Grundsätzlich, so erklärt sie, sollte man wissen, dass Muslime innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden. Vor allem der Waschung durch Angehörige kommt eine besondere Bedeutung zu. Hierzulande gibt es sowohl dafür als auch für die Beerdigung nur wenige adäquate Räumlichkeiten, sodass die Zeremonien oft nur unter freiem Himmel stattfinden. Das Wasch- und Gebetshaus auf dem Friedhof Finkenriek trägt dieser Nachfrage Rechnung. Hier können Angehörige nach den streng-religiösen Regeln ihre Verstorbenen waschen und später beim Mittagsgebet im geschützten Rahmen gemeinsam betrauern. Der Leichnam wird anschließend nur in ein Tuch gehüllt und in das Grab gelegt, was mittlerweile in den meisten Bundesländen zugelassen ist. Das Gesicht ist dabei nach Mekka ausgerichtet, ebenso wie die gesamten Grabfelder.

Türen, Nischen, Fenster im muslimischen Wasch- und Gebetshaus Finkenriek, Hamburg. (Bilder: Jens Franke)


Verbindung der Kulturen

Wie in Moscheen wird auch hier auf die Trennung von Frauen und Männern geachtet: Der Gebetsraum kann bei Bedarf durch einen Vorhang geteilt werden, der Frauen und Männer voneinander trennt. Es gibt separate Zugänge für Männer und Frauen. „Die eine muslimische Bestattungskultur gibt es nicht“, erzählt Medine Altiok, die von Zürich aus arbeitet und einen türkischen Migrationshintergrund hat. Es sollte ein schlichtes Gebäude werden, erzählt Altiok. Die Planung und Umsetzung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit den Imamen und den Vertretern der lokalen muslimischen Gemeinden. Auch stilistisch spiegelt das Wasch- und Gebetshaus auf 200 Quadratmetern die Verbindung zwischen den Kulturen wider. Zur architektonischen Besonderheit gehört das weit auskragende, asymmetrische Zeltdach, das sich wie eine schützende Kappe über den eingeschossigen Bau zieht, sowie die im Mauerwerk eingelassenen ornamentalen Muster und Kuppeln im Inneren. Öffnungen im Stile der arabischen Maschrabiyya (Fenstergitter) im Blendmauerwerk brechen das Licht, so dass eine transzendentale Atmosphäre entsteht. Der muslimische Friedhof komme so gut an, dass man schnell das zweite Grabfeld eröffnen musste, so Altiok. Denn entgegen der hiesigen christlich geprägten Kultur sind im muslimischen Kontext keine Urnenbestattungen erlaubt.


Weitere Information:
Campus Vivorum >>>
Kolumbarium Die Eiche >>>
Wasch- und Gebetshaus >>>
Angern, Michael; Klie, Thomas (Hrsg.): Wunderkammern des Lebens. Das Kolumbarium Die Eiche wird zum Erinnerungsort für eine neue Abschiedskultur. Ein Symposiumbericht. Edition Die Eiche, Lübeck, 2020
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Friedhöfe in Deutschland: Studie zum Potenzial von Friedhofsflächen und zum Wandel des Friedhofswesens, seit 2023 >>>
Deutschlandradio: Der Kulturraum Friedhof in einer diversen Gesellschaft – ein kulturpolitisches Gespräch, 16.03.2025, Berlin >>>
Initiative Raum für Trauer: Der Friedhof als kommunales Erfolgsprojekt der Zukunft –
Theorie und Praxis für Entscheider, Eigenverlag, 2024
ZDF, Forum am Freitag: Ein Gebetshaus für Wilhelmsburg >>>