Stilkritk (38): Personalwechsel beim Ludwigsburger Architekturquartett: Amber Sayah samt ihrem Backstage-Team übergibt die Stafette nach zwei Jahrzehnten an eine neue Mannschaft. Das 40. Quartett fand Ende Oktober in der Musikhalle statt.
Als nicht ganz Unbeteiligter bei der Etablierung der Architekturquartette bin ich Partei und gebe es unumwunden zu: Dieses Format als öffentliche und publikumsträchtige Auseinandersetzung mit Architektur ist unerreicht gut. Eine kurze, sachliche Darstellung mit Fotos und Zeichnungen informiert das Publikum, worüber sich die vier Figuren auf dem Podium anschließend auseinandersetzen. Als klassische Spieleraufstellung taugt neben dem Moderator ein Architekt von außerhalb, ein Theoretiker (Autor, Journalist) und ein Laie, dem – wenn er zum beliebten darstellerischen TV-Personal zählt – die Sympathien des Publikums gehören. (Natürlich darf man jeweils die weibliche Form lesen.)
Die Echokammer
In Ludwigsburg, wo Amber Sayah von der Stuttgarter Zeitung zwanzig Jahre lang und Ende Oktober zum letzten Mal das Quartett moderierte, besetzte man die Laienrolle meist weniger quotenträchtig mit Personen des öffentlichen Lebens. Aber das tat dem Diskurs keinen Abbruch, man hat auch schon Schauspieler und Kabarettisten erlebt, die unerwartet blass geblieben sind. Das Spannende aus Zuschauerperspektive ist, dass sich bei diesem Format unterhaltsame Podiumsdiskussion und (in diesem Fall eine öffentliche) Fachjurysitzung vermischen. Während man also zunächst den Darstellungen folgt und seine eigene noch vage Deutung überprüfen kann, wird man durch die (im Glücksfall) kontroversen Redebeiträge abwechselnd in die eine oder andere Richtung gelenkt. Mal ist die Rhetorik überzeugend, mal die Aussage, man kann sich bestätigt fühlen oder den Eindruck gewinnen, die Debatte schürft im Untiefen. Und ehe man sich versieht – das muss keine journalistische Berufskrankheit sein –, spricht man in Gedanken, findet sein eigenes Urteil, nimmt es mit zum obligaten Bier danach bei den Kollegen. Und deshalb soll auch diese letzte Veranstaltung, bei der Christian Holl, Daniele Marques und Ursula Keck (Oberbürgermeisterin von Kornwestheim) das Publikum an ihren Gedanken teilhaben ließen, nicht mit deren Worten referiert werden, sondern mit dem, was in der eigenen Echokammer angekommen ist.
Die letzten Drei
Beim ersten Gebäude ging es um die unter Erdniveau gebaute Erweiterung des 1959-61 von den Architekten Viertel, Linde und Heinle gebauten Stuttgarter Landtags. Henning Larsen Architects hielten sich an die Ausschreibung für das neue Bürger- und Medienzentrum und gruben es ein. Natürlich kann man diese Vorgabe in Frage stellen, aber damit wäre die Auseinandersetzung schon am Ende. Also sehen wir auf das neben der lauten Konrad-Adenauer-Straße befremdlich in den Rasen gezirkelte Amphitheater, das die Besucher verschluckt, bis sie sich für einen der vielen gläsernen Eingänge entschieden haben. Was sich dann als Souterrain unter das quadratische Gebäude schiebt, respektiert weder dessen strenge Räson, noch umspielt es das Bauwerk unabhängig mit einer freien Form. Der Landtag scheint zu schweben – die Demokratie wird unterhöhlt. Das Quartett war mehrheitlich unzufrieden.
Kontrovers fiel die Zustimmung zum nächsten Beitrag aus, ein Laborgebäude der Hochschule in Esslingen von Knoche Architekten. Vor einigen Jahrzehnten hätte man sich nicht gewundert, wenn man den technischen Inhalt des Hauses als Thema genommen und wie beim Aachner Klinikum als Installations-Gedärm gezeigt hätte. Stattdessen steht nun ein mit einem Blechplissee verschlanktes und Parzellen simulierendes Gehäuse zwischen den vorhandenen biederen Stadthäusern und deutet mit seinen Fenstern sogar Zimmer an. Vermutlich werden Passanten sagen, dass sie da nicht wohnen möchten. Hier hätte man sich ein solides Gebäude gewünscht, aus Ziegeln gemauert oder aus Tunnelbeton mit Streckmetallschlitzen und großen Öffnungen dort, wo sie innen gebraucht werden und von außen einen interessanten Einblick bieten.
Beim letzten Gebäude, dem Dorotheen-Quartier in Stuttgart von Behnisch Architekten, spürte man die Beißhemmung des Quartetts. Zu gut ist das Büro, als dass man seine ganze Häme über das verkorkste Baugemenge ausgießen mochte. Die unproportionierte Kubatur und die Fassadeneinfälle (besser: -einfalten) lassen jeden Journalisten tief in seinen Metaphernvorrat greifen. Nur so viel: Dass man die schiere Baumasse mit Blechknicken und abgefasten Steinlaibungen als Waldorfschule tarnen wollte, ist Oberflächenkosmetik. Das hilft nicht, wenn das gesamte Gehäuse unter Haltungsschäden leidet. Diese Häuser stehen nicht, sie schwimmen auf den Gehwegplatten und narren die Tektonik. In Stuttgart sollte man sich mit anthroposophischen Motiven besser auskennen.
Weiter geht’s …
Und so verließen wir völlig aufgewühlt die Ludwigsburger Musikhalle. Es gab noch Blumensträuße für alle, die hier 40 Architekturquartette geschafft haben, das künftige Team wurde vorgestellt, und man wünscht ihm allen Erfolg. Auf dass seine Arbeit möglichst oft an vielen Orten kopiert werde!