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Es geht nicht nur darum, einfach viel zu bauen – um mit der aktuellen Wohnungsnot umzugehen, müssen bestehende Instrumente geschärft werden, muss die gesellschaftliche Realität berücksichtigt werden. Die gute Nachricht: an Analysen, guten Beispielen und Empfehlungen mangelt es nicht. Das zeigen unter anderem vier neue Publikationen der letzten Zeit.



Barbara Schönig, Justin Kadi, Sebastian Schipper (Hg.): Wohnraum für alle?! Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur. 358 Seiten, 29,99 Euro
Transcript Verlag, Bielefeld, 2017

Die Wohnungsfrage treibt die Politik um – in Berlin wurden zuletzt das Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand genutzt, um bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, in Hessen werden bis 2020 rekordverdächtige 1,6 Milliarden Euro im Rahmen eines „Masterplan Wohnen in Hessen“ für die Wohnraumförderung ausgegeben. Eine gründliche Analyse der Fehler und Versäumnisse, die auf dem Feld der Wohnbaupolitik gemacht wurden, ist nun im Transcript Verlag vorgelegt worden. Dabei nimmt einen Schwerpunkt die Gemeinnützigkeit der Wohnungsbauunternehmen ein, die 1990 abgeschafft wurde. Der Stadtsoziologe Andrej Holm macht sich dafür stark, dass sie wieder eingeführt wird, könnte sie doch mit den Prinzipien Kostendeckung  statt Gewinnorientierung und der Zweckbindung der Einnahmen eine Hilfe sein, bezahlbares Wohnen zu sichern. Bernd Hunger vom Bundesverband GdW setzt dem entgegen, dass ein „vom Markt abgekoppeltes nach außerökonomischen Prinzipien verwaltetes Segment staatlicher Daseinsfürsorge im Kontrast zu anderen Segmenten des Wohnungsmarkts (…) stehen würde.“ Es plädiert statt dessen dafür, bestehende Instrumente zu nutzen, deren Anwendung auszuweiten und sie zu verbessern.
Andere Beiträge befassen sich mit der Kapitalisierung des Wohnungsmarkts. Bereits in der Einleitung stellt Barbara Schönig fest, dass es eines grundlegend neuen Verständnisses von Wohnungspolitik bedarf, denn auch in der alten Bundesrepublik sei Wohnungsbau auf eine „soziale Zwischennutzung“ konzipiert gewesen und habe letztlich die Bildung privaten Kapitals gefördert. Weitere Kapitel wenden sich den sozialen Kämpfen und kommunalen Strategien zu, außerdem wird „Alternativen jenseits von Markt und Staat“ gefragt. Architektonische Strategien werden ebenfalls in zwei Beiträgen angesprochen, was allerdings so umfassend, wie das nötig wäre, nicht geleistet werden kann. Man hat sich exemplarisch darauf beschränkt, die Vorzüge der Vorfertigung zu beschreiben und den Beitrag des Bauhauses zur Frage bezahlbaren Wohnens kritisch zu würdigen.

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Wüstenrot Stiftung (Hg.), Susanne Dürr und Gerd Kuhn: Wohnvielfalt. Gemeinschaftlich wohnen – im Quartier vernetzt und sozial. 244 Seiten, kostenlos erhältlich
Wüstenrotstiftung, Ludwigsburg 2017

In einem von der Wüstenrot Stiftung herausgegebenen Band haben Susanne Dürr und Gerd Kuhn das gemeinschaftliche Wohnen in den Blick genommen. 12 Projektbeispiele werden ausführlich vorgestellt und analysiert, wobei die großstädtischen Fälle dominieren: Zürich, Wien, Berlin, München; daneben sind noch Beispiele aus Winterthur und Tübingen sowie aus den Kleinstädten Königsbrunn und Friesenberg (CH) vertreten. Die Aufarbeitung ist sehr gründlich und lässt kaum Wünsche offen – nur mehr Grundrisse hätten es sein dürfen, hier bleibt die Darstellung etwas zu mager. Der große Wert ist aber, dass die Beispiele auf ihre übertragbaren Qualitäten untersucht wurden, gerade wenn es um das Zusammenspiel mit Quartier und Stadt geht: wie Wege durch die Anlagen führen, wie Freiräume, Gewerbe und gemeinschaftliche Flächen angeordnet sind, wie sich die Projekte also sowohl über ihr Programm als auch über den Baukörper zum Quartier öffnen. Darüber hinaus werden grundsätzliche Fragen erörertert: Wie werden, wie könnten, wie sollten Gemeinschaftsprojekte gefördert werden, wie wird, wenn gefördert wird, der Wert für die Allgemeinheit gesichert? Schließlich ist nicht jedes Gemeinschaftswohnen eines, das Benachteiligten hilft. Dennoch liegen die Vorteile auf der Hand: gemeinschaftliche Wohnmodelle berücksichtigen den gesellschaftlichen und demographischen Wandel, sie aktivieren soziale Unterstützung, sie entwickeln eine Kultur des Teilens. Sie reduzieren den Wohnflächenverbrauch, etwa auch dadurch, dass ein Umzug in eine kleinere Einheit organisiert wird, wenn die Kinder ausgezogen sind. Einige der Hindernisse, die im Buch zuletzt aufgezählt werden, sind deswegen auch als Appell zu verstehen, sie abzubauen. Allem voran brauchen solche Initiativen flexible Fördermodelle und – wenig überraschend, aber nicht minder dringend – bezahlbare Grundstücke.

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d22: Institut für kreative Nachhaltigkeit, Michael LaFond / Larisa Tsvetkova (Hg.): CoHousing Inclusive. Selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen für alle. 240 Seiten, deutsch/englisch, 29,80 Euro
Jovis Verlag, Berlin, 2017

Cohousing könnte man durchaus zunächst als Synonym für das gemeinschaftliche Wohnen verstehen, doch in diesem Band steht solches Wohnen außerdem unter dem Aspekt der Inklusion im Mittelpunkt. Ob Geflüchtete, Obdachlose, einkommensschwache Haushalte, Menschen mit Behinderungen oder solche, die aufgrund ihrer sexuellen Neigung benachteiligt werden – für alle stellt sich die Frage danach, welche Chancen sie auf dem Wohnungsmarkt haben und wie Wohnprojekte ihren Bedürfnissen gerecht werden können. Darauf lässt sich nicht einfach antworten. Direkt in der Einleitung wird klargestellt, dass es nicht zielführend ist, „Problemlagen auf die Zivilgesellschaft oder einzelne Personen zu verlagern oder Landesgesetze und Verordnungen zügig um eine „Inklusionsperspektive“ zu erweitern.“ Zehn realisierte Modelle werden vorgestellt, vier noch nicht realisierte Projekte zeigen, wie Ideen des inklusiven Wohnens weiterentwickelt werden könnten, außerdem werden Strategien vorgestellt, wie einzelne Projekte unterstützt werden könnten und wie zivilgesellschaftliche Akteure eigebunden werden können. Communitiy Land Trusts sichern einkommensschwachen Haushalten den Marktzugang und sichern sich Anteile an Wertsteigerungen, um zukünftig für bezahlbares Wohnen sorgen zu können, auch das Mietshäuser Syndikat wird vorgestellt. Einzelne Beiträge öffnen den Blick auf allgemeine Themen – Erbaurecht, kommunale Strategien, Förderinstrumente. Hier ist viel zu tun, um neben dem standardisierten Massenangeboten bedarfsgerechte Formen breitere Möglichkeiten zu öffnen.

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Walter Nägeli, Niloufar Kirn Tajeri (Hg.): Kleine Eingriffe. Neues Wohnen im Bestand der Nachkriegsmoderne. 144 Seiten, 49,95 Euro <br/> Birkhäuser Verlag, Basel, 2016

Damit, wie in Wohnungsbauten der Nachkriegsmoderne mit wenigen – kleinen – Eingriffen ein den heutigen Ansprüchen angemessene Wohnungen geschaffen werden können, befasste sich ein Team in Karlsruhe. Sie führen dafür fünf Beispiele aus fünf europäischen Ländern an. Mit einem genauen Blick für die Substanz ebenso wie für die Bedürfnisse der Bewohner haben die Architekten jeweils agiert, nicht mit einem vorgefassten Ideal, nicht mit einer standardisierten Routine. Die Ergebnisse überzeugen durch eine Selbstverständlichkeit, die es nahelegt, den schlechten Ruf, den diese Gebäude vielmals hatten oder immer noch haben, auf den falschen Umgang mit ihnen zurückzuführen. Die Herausgeber legen Wert darauf, dass es in der Diskussion nicht um ein Aufwerten gehen darf, das diese Häuser für eine zahlungskräftigerer Klientel attraktiv macht, sondern darum, dass die Bewohner nicht vertrieben werden. Fotos der möblierten und genutzten Wohnungen unterstreichen, wie wichtig das Verständnis für die Bewohner erachtet wird. Eingerahmt werden die Fallstudien von sieben Essays, die diesen Anspruch aus verschiedenen Perspektiven als einen legitimen und belegen. Tom Avermaete verweist auf den engen Bezug zwischen sozialer Idee und formalen Lösungen, die die CIAM-Diskussionen und die des Team Ten, prägten wenn auch in unterschiedlicher Weise. Maren Harnack zeigt, dass ein wenig Geduld mit dem Bestand sinnvoll sein kann, damit sie sich bewähren können, und Erik Stenberg macht den Grad an Standardisierung und Vorfertigung als eine Qualität aus, deretwegen gerade diese Architektur gut an heutige Erwartungen anpassen lässt. Wenn man denn will. Auch in diesem – übrigens schön gemachten Buch – wird darauf verwiesen, dass die adäquate Nutzung des Bestands nicht gelingen kann, wenn sie keine langfristige politische Unterstützung erfährt.

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