»À bicyclette« – es war eine Liebeserklärung, die Yves Montand 1968 vielleicht eher dem Fahrrad als der Chanson-Heldin Paulette präsentierte. Wenn dem Fahrrad als Vorgänger des Autos heute Aufmerksamkeit geschenkt wird, dann in großem Zusammenhang. Es symbolisiert nicht nur, aber vor allem die urbane Verkehrswende. Eine aktuelle Ausstellung zeigt das Fahrrad als Kult- und Designobjekt, das dem Auto den Rang abzulaufen scheint.
Die finale Bestätigung liefert die kürzlich eröffnete Ausstellung mit dem Titel „Kultobjekt Designobjekt Fahrrad“ in der Neuen Sammlung im Haus der Pinakothek der Moderne in München. An Hand von 70 sorgfältig ausgewählten Objekten wird dem interessierten Publikum die Entwicklungsgeschichte des Fahrrads eindrücklich vermittelt.
Drais oder Benz?
Ein halbes Jahrhundert verging von der Erfindung des Laufrades durch den Erfinder Karl Friedrich Drais im Jahre 1817 bis zur Entwicklung des kettengetriebenen Fahrrads 1868. Angelika Nollert, Leiterin der Neuen Sammlung, meint in ihrem Vorwort zum Katalog unter anderem das Fahrrad hätte sich zu einem hochpreisigen Statussymbol entwickelt und wäre zu einem Kultobjekt geworden. Da schleicht sich doch ein Widerspruch ein, wenn kurz darauf von „einem Symbol der Demokratisierung“ die Rede ist. Es ist schade, dass die Critical-Mass-Bewegung noch idealisierend hervorgehoben wird. Sie würde dazu anregen öffentliche und soziale Räume neu zu nutzen obwohl sie mit ihren kaum kontrollierten lauten nächtlichen Fahradflashmobs unter polizeilichem Schutz innerstädtische Wohngebiete durchstreifend der Idee dem Auto paroli zu bieten einen Bärendienst erweist und lediglich polarisiert. Autogerechte wie fahrradgerechte Stadt sind ungeeignete Begriffe. Fahrrad- und fußgängerfreundlich wäre da schon besser.
Der verantwortliche Kurator Josef Strasser hat mit seiner über weite Strecken chronologische Auswahl der Objekte eine stringente Aufklärungsarbeit geleistet indem er die Aspekte Konstruktion, Nutzung und Gestaltung immer gleichrangig im Auge behält. Zum Laufrad, Hochrad, Niederrad, Faltrad, Alltagsrad und Sportrad werden Erfinder, Designer und Hersteller benannt. Im hervorragend aufgemachten Katalog gibt es dazu wertvolle Anmerkungen und Aufnahmen der jeweils wichtigen technischen Details. Dabei wird die gesamte Materialpalette von Holz, Eisen, Stahl, Aluminium, Magnesium, Titan, Kunststoff und Karbon abgebildet. Der Trend zu immer leichteren Bauarten ist unübersehbar. Faltfunktion und Elektrobetrieb fordern das Design besonders heraus. Der Rahmen aus durchsichtigem recyceltem Polykarbonat in 3D-Drucktechnik erstellt fordert vor allem althergebrachte Sehgewohnheiten heraus.
Die Verankerung des Fahrrads im öffentlichen Bewusstsein wird immer wieder bekräftigt:
„Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden, wie beim Fahrrad.“ (Adam Opel)
„Wenn du niedergeschlagen bist, wenn dir die Tage immer dunkler vorkommen, wenn dir die Arbeit nur noch monoton erscheint, wenn es dir fast sinnlos erscheint, überhaupt noch zu hoffen, dann setz dich einfach aufs Fahrrad, um die Straße herunterzujagen, ohne Gedanken an irgendetwas außer deinem wilden Ritt.“ (Arthur Conan Doyle)
„Die Lebensqualität steigt, wo die Beine etwas mehr und die Ellenbogen etwas weniger gebraucht werden.“ (Erhard Eppler)
Katalog: Kultobjekt Designobjekt Fahrrad. Verlag der Buchhandlung Walter und Franz König. 351 Seiten, 34,90 €, erscheint Ende November 2022.