Stilkritik (50): Sind Hausfarben Privatsache? Sie gehören auf jeden Fall zur Architektur. Und sollen, wie jene, sich angemessen zur Umgebung verhalten.
Von Arno Lederer ist der Satz überliefert: Die Wand wollte gelb sein. Das liest sich, als gäbe es eine anthroposophische Weltgewissheit, mit der sich ein alle Dinge durchwesender Seelenäther bestimmen lasse. Andererseits beschreibt die Formulierung sehr schön, dass der Architekt, nachdem er einen Baukörper gestaltet hat, erkennen muss, was seine Oberfläche verlangt. Gelbe Farbe zum Beispiel.
Material und Farbe
Farben spielten schon immer eine bedeutende Rolle beim Bauen. Manchmal waren sie der Ersatz für solide Architektur, im Idealfall ihre Vollendung, nicht selten ihr Untergang. So wie sich Laien und Architekten über die Qualität eines Gebäudes uneins sein können, so drastisch gehen auch die Meinungen über seine farbliche Behandlung auseinander. Während beim Hausbau für den Baubeflissenen Weiß eine maßgebende Entscheidung ist, um das „korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper“ zu erleben, gilt es bei Auftraggebern meistens als ungemütlich und empfindlich. Man bittet den Maler deshalb um Abtönfarben aus der Beige-Palette oder freundliche Pastelltöne. Dennoch ändern sich auch bei der allem Modischen fern stehenden Architekten die Überzeugungen. Nach juvenilen Ausflügen in die grelle Popart Ende der 1960er-Jahre und bonbonbuntem Memphis priesen die Baukünstler das reinigende Purgatorium des Verzichts. Nun galten Materialfarben als nachhaltiger Ausweis der reinen Denkungsart: Sichtbeton, unbehandeltes Holz, Cortenstahl und Glas. Doch auch das konnte die Häuslebauer nicht auf breiter Linie überzeugen. Sie entscheiden ohnehin gerne ohne Architekt, fragen den Malerbetrieb oder pinseln gleich selbst die Wände an.

Von Friedrich Wilhelm Krämer (1907-1990, Professor für Gebäudelehre und Entwerfen an der TH Braunschweig, mit Walter Henn und Dieter Oesterlen Begründer der „Braunschweiger Schule“) ist der Lehrsatz überliefert: „Mir ist jede Farbe recht, Hauptsache es ist Grau.“
Der Geschmack des Laien
Hier lässt sich im Augenblick landesweit eine neue Kapriole beobachten. Plötzlich gibt es wieder Schockfarben, giftiger denn je. Eiskaltes Lilablau, Mennige-Orange, Phosphor-Gelb und schwefelsaures Grün. Üble Farben, die optisch stinken, die man sich nirgends wünscht, schon gar nicht vollflächig über Fassaden gewalzt. Auffallend ist, es handelt sich bei den Objekten immer um krude Häuser, die schon zuvor mit PVC-Fenstern, grauen Rollläden und Alu-Türen aus dem Baumarkt misshandelt worden sind. Der schlechte Geschmack hat nur zu einer auffallenderen Form gefunden. Aber wie kommen die Besitzer auf die Idee, sich mit ihrem harmlosen Häuschen derart mitten in einem gewachsenen Dorf zu kaprizieren?

Sichtbeton, Kalksandstein: Mancher wird beim Blick auf das rechte Haus fragen: „Und wann verputzt ihr?“
Zeigt es einen Generationswechsel an (wieder unser Thema „Elternhaus“)? Wollen die Bewohner sich vom deprimierenden Lehmgrau der Nachbarschaft abheben? Gilt das als modern? Also sind sogar die Architekten daran mit schuld, weil sie dem Ort an anderer Stelle missverständlich ein neues Gebäude implantiert haben?
Wir wüssten es zu gerne. Trauen uns aber nicht zu läuten und zu fragen, ob die Wände diese Farbe haben wollten.