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Die Militarisierung des öffentlichen Raums

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Stilkritik (51): Es ist ein Thema, das uns schon eine ganze Weile begleitet – siehe die Seitenspalte. Die Verschandelung des öffentlichen Raums durch raumgreifende Automobile, die furchterregende Gassen bilden, Lärm und Dreck produzieren, nimmt kein Ende. Prognosen zeigen vielmehr: Die Unvernunft vieler Autobesitzer und -fahrer kennt keine Grenzen. Aber eine Gegenbewegung manifestiert zum Beispiel mit „Parklets“, dass alles anders werden könnte.


Eine Stadt im Belagerungszustand: Idaroberstein: In den 1980er-Jahren wurde die Nahe unter die vierspurige Bundesstraße 41 verbannt. (Bild: Wilfried Dechau)

Eine Stadt im Belagerungszustand: Idaroberstein, die Stadt am Verkehrsfluss. In den 1980er-Jahren – 1973 hatte die Ölkrise autofreie Sonntage beschert – wurde die Nahe mehr als zwei Kilometer lang unter die vierspurige Bundesstraße 41 verbannt. (Bild: Wilfried Dechau)

Prognosen

Das Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisberg-Essen prognostiziert dieser Tage nichts Gutes – siehe > hier. Die Automobile werden immer stärker, im Schnitt sind derzeit 154 PS unter der Motorhaube, Tendenz steigend. Noch 2018 soll ein Audi-SUV mit 435 PS als Elektroversion auf den Markt kommen. Obwohl allüberall die Rufe nach neuen umweltschonenden, leisen, der Sharing-Kultur entsprechenden Mobilitätskonzepten erschallen, produziert die Autoindustrie Karrossen, die unverträglich für unsere Städte und weitgehend überflüssig in unseren zugeteerten Landschaften sind.
Dazu kommt, dass die Automenge pro Kopf steigt und steigt: „Am 1. Januar 2017 waren 45,8 Mio. Pkw angemeldet, pro 1000 Einwohner sind dies 554 Pkw, so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. “ (Quelle: Wirtschaftsdienst EU)

Tempo 30-Zone in einem Wohnquartier (Bild: Ursula Baus)

Tempo 30-Zone in einem Wohnquartier (Bild: Ursula Baus)

Autos und Autofahrer

Seit Jahrzehnten fordern Mobilitätsexperten eine Verkehrswende. Aber nun zeigen die Autoentwicklungen der letzten fünf bis zehn Jahre eines immer deutlicher: Das Problem sind nicht allein die Autos, sondern vor allem die Autokäufer und -fahrer. Analog zum Phänomen, dass nicht Donald Trump das Problem ist, sondern die Amerikaner. Die hochgerüsteten Pkws (SUVs allen voran, fast 25% aller Neuwagen sind mittlerweile SUVs. ) indizieren eine Militarisierung des öffentlichen Raums, den wir schon lang durch Überwachungskameras und neuerdings widerliche, voyeuristische Drohnenkamera-Attacken nicht mehr als Raum freien Bewegens, Schlenderns, Stromerns und als Entwicklungsraum für Kinder nutzen können.

Erobert: der Weg vom Bürgersteig zur Straße (Bild: Ursula Baus)

Besatzungszone: der Weg vom Bürgersteig zur Straße, als Parkplatz missbraucht. Wer fährt so ein Auto? (Bild: Ursula Baus)

Wegen wasserlöslicher Zettel, die an der Scheibe von Park-Sündern geklebt werden („Parke nicht auf unseren Wegen“) oder winziger Kratzer am Lack, die Kinder in ihrer Bewegungslust auf Gehwegen an ebenjenen Park-Sünder-Autos verursachen, werden Strafanzeigen gestellt, Anwälte bemüht, Richter ihrer Zeit beraubt. Die teils hysterischen Auto-Fetischisten schädigen dabei aber auch den Ruf derer, die das Auto als notwendiges Verkehrsmittel brauchen und es vernünftig und verantwortungsbewusst zu nutzen wissen. Hinzu kommt, dass Autokäufer immer älter werden: „So ist von 1995 bis 2017 das Durchschnittsalter der Neuwagenkäufer um 14,5% auf 52,8 Jahre gestiegen.“ (Quelle: Wirtschaftsdienst der EU) Und berücksichtigt man, dass fast ein Drittel aller Autobesitzer in Deutschland über 60 Jahre alt ist, ahnt man die Aufrüstungsstrategie der Autoindustrie.

Wie es mit der Mobilität in der Republik weitergehen könnte, lässt sich am kommenden Donnerstag (19. April 2018) „live“ hören, wenn zum Beispiel der Stuttgarter Gemeinderat ab 15 Uhr eine Generaldebatte zum Thema „Mobilität“ führt (online > hier)


Auf dem Schützenplatz in Stuttgart wird geparkt – und nun wird ein kleiner Teil davon als "Parlet" dafür genutzt, dass sich Aufenthaltsqualität entwicken kann. (Bild: Wilfried Dechau)

Auf dem Schützenplatz in Stuttgart wird geparkt – und nun wird ein kleiner Teil davon als „Parklet“ dafür genutzt, dass sich Aufenthaltsqualität entwickeln kann. (Bild: Wilfried Dechau)

Parklets – ein „Realexperiment“ als Anfang
Parkplatz-Revitaliserungen sind an derzeit 11 Orten in Stuttgart vorgesehen. (Bild: Parklets)

Parkplatz-Revitalisierungen sind an derzeit 11 Orten in Stuttgart vorgesehen. (Bild: Parklets)

Dass sich aber Teile der Stadtbevölkerung konstruktiv zu wehren wissen, zeigen unter anderem die ersten „Parklets“ in Stuttgart – das sind „Realexperimente“ von den Initiatoren Raphael Dietz, Kristin Lazarova, Basil S. Helfenstein. Interdisziplinär entwickelte und betriebene Eroberungen des öffentlichen Raums von Persönlichkeiten, die Stuttgart lieben, lassen erkennen: „Wie ein Mahnmal für einen längst erloschenen Fortschrittsglauben, basierend auf dem Auto, leuchtet der Mercedes-Stern hinunter auf den vom zähflüssigen Verkehr dominierten Bahnhofsplatz“. (Das Parklet-Dossier > hier)
Es gibt Vorläufer: 2005 in San Francisco ins Leben gerufen, mauserte sich der dritte Freitag aller September zu einem „Park(ling)Day“, an dem Parkplätze sich in Orte für Erholung, Toben, Diskutieren und vieles mehr verwandeln. Weil jeder Parkplatz 12 Quadratmeter beansprucht, kommt einiges zusammen, was sinnvoller Nutzung zugeführt werden kann. Es leuchtet die Neuerfindung der unterschiedlichen europäischen Stadtmodelle auf, die sich durch die Liebenswürdigkeit und funktionale Vielfalt des öffentlichen Raums auszeichnet. Derzeit ist eine Installtion am Stuttgarter Schützenplatz in Betrieb, wo sich besonders klar abzeichnet: Autofahrer beanspruchen absurd viel Platz für ihre Gefährte, die den längsten Teil des Tages ohne Sinn und Zweck öffentlichen Boden besetzen.

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Schützenplatz Stuttgart, 17. April 2018 (Bilder: Wilfried Dechau)

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