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Wie erfindet man einen neuen Stadtteil?

Gert Kähler (Autor) und Volkwin Marg (Hrsg.): Geheimprojekt HafenCity oder Wie erfindet man einen neuen Stadtteil? 280 Seiten, über 100 Abbildungen, gebunden. Dölling und Galitz Verlag, München / Hamburg 2016, ISBN 978-3-86218-092-9, 19,90 Euro

Geheimdiplomatie
Es war schon ein gelungener Coup, mit dem Henning Voscherau, der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, die HafenCity ins Leben gerufen hat. Bekanntlich schlagen in der Hafenstadt zwei Herzen: Der Hafen und die Stadt. Das eine wird von der Wirtschaftsbehörde gebraucht, und das andere bestimmt die Entwicklung der Stadt, die von der Behörde für Stadtentwicklung – früher der Baubehörde – so gut es geht gelenkt wird. Beide geben sich eigentlich nichts, und es verbindet sie eher so etwas wie eine Zweckehe oder eine Hassliebe. Dass es dem im vergangenen Jahr verstorbenen Henning Voscherau gelang, beide ein Stück gemeinsamen Weges gehen zu lassen und damit einen sozusagen historischen Brückenschlag zu erreichen, war nicht allein sein Verdienst, aber zu einem guten Stück seinen Kenntnissen der geheimen Diplomatie zu verdanken. Um es vorweg zu nehmen: Transparent war das Verfahren nicht. Demokratisch? Nun ja, formell schon, aber …

Stadtgeschichte, Handlungsbedarf
Es ist eine spannende Geschichte, die der Architekturhistoriker und Publizist Gert Kähler hier auf knapp 260 Druckseiten plus 20 Seiten Anhang ausbreitet. Das Buch liest sich so kurzweilig wie eine Episode aus „House of cards“ oder aus „Borgen“ anzusehen ist. Zu Beginn bekommen wir einen Vorgeschmack auf das eigentliche Geschehen, und dann breitet Kähler über fast 150 Seiten die Geschichte und die Stadtbaugeschichte Hamburgs aus – bis er dann am Ende des Buches zum eigentlichen Kern des geheimen Geschehens vordringt. Gemach, Gemach, langweilig ist das nicht, und man muss eben diese Details um das Wirken der Beteiligten kennen, um ihre Geheimniskrämerei zu verstehen.
Schließlich ist dies die Geschichte einer Stadt, die sich (wie so oft in ihrer Historie) auf sich selbst besinnt, um sich zu erneuern. Dabei sind bekannte Zwänge zu überwinden, voraussehbare Konflikte zu umgehen und vorhersehbares Störfeuer zu entschärfen. Eine grundlegende Erneuerung hatte die Hansestadt zu dieser Zeit dringend nötig. Eine „schlafende Schöne“ hat der Bundeskanzler Helmut Schmidt seine Heimatstadt einmal genannt und damit wohl das dämmernde Hamburg der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre gemeint. Denn in der Tat war dies eine Zeit der Umbrüche. Der großflächige Stadtabriss, das Wachstum nach Außen ins Grüne, die Dominanz der Verkehrsplanung, für die immer mehr Stadtfläche und Altbausubstanz geopfert wurden, fanden immer weniger Anklang und schürten zum Teil heftige Proteste in der Bevölkerung. Der Konflikt um die Häuser in der Hafenstraße war Ende der 1980er-Jahre auf seinem Höhepunkt. Der Containerverkehr hatte den Hamburger Hafen und nicht nur diesen revolutioniert und forderte massive Umstrukturierungen ein, denen das Fischerdorf Altenwerder geopfert werden sollte.
Die Stadt brauchte neue Ideen für ihre Entwicklung, die als Stadtstaat zwangsläufig eine Innenentwicklung sein musste und den Hafen sowie das Nordufer der Elbe betraf und damit auf Kollisionskurs mit den Verantwortlichen der Hafenentwicklung war.

Die Rollen von Volkwin Marg, Henning Voscherau und Egbert Kossak
An der neuen architektonischen und städtebaulichen Gestaltung war der Architekt Volkwin Marg nicht unbeteiligt – und dies ist wohl auch ein wichtiger Grund für ihn, dieses Buch herauszugeben. Er war bei weitem nicht der einzige Beteiligte, wie Gert Kähler ausführlich darlegt, aber Marg hat mit den Studien, Gutachten, Entwürfen und Bauten sehr dazu beigetragen, dass sich Hamburgs Gesicht an der Elbe verändert hat. Getragen wurde diese Entwicklung außerdem maßgeblich durch die Aktivitäten des damaligen Oberbaudirektors Egbert Kossak, der wie Voscherau im vergangenen Jahr starb. Mit der „Perlenkette“ am Nordufer der Elbe, aber vor allem mit den „Bauforen“, die er initiierte und die als große Ideenbasare immer wieder die Stadtentwicklungsdiskussion befeuerten, brachte Kossak die Hamburger Stadtentwicklung in kleineren und größeren Schritten an das Wasser, an das Elbufer zurück – über lange Zeit die Werkstatt und Schmuddelzone der Stadt. Dies tat er stets gegen den Widerstand der Hafenverwaltung, deren Personal und dessen Beweggründe Kähler ebenfalls ausführlich und spannend thematisiert. Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung dieses Buches war also gut gewählt, könnte man sagen, denn der Tod von zwei wichtigen Zeitzeugen, Henning Voscherau und Egbert Kossak, konnte ja nicht vorher gesehen werden. Die Interviews, die Gert Kähler mit ihnen geführt hat, sind eine wichtige Basis für dieses Buch.
Für das Gebiet südlich der Speicherstadt, der heutigen HafenCity, hatte Egbert Kossak bereits Ideen, aber in den Geheimplan war selbst er nicht eingeweiht worden. Warum? Das erfahren sie bei Kähler!