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Letzte Woche berichtete Ursula Baus über den Hype um die Elbphilharmonie und plädierte dafür, so manches, was in der Euphorie bejubelt wurde, etwas nüchterner zu betrachten. Unter Planern ist die Hafencity, deren Teil die Elbphilharmonie ist, ein gleichfalls mit Erwartungen und Hoffnungen aufgeladenes Projekt. Und auch hier lohnt es sich zu fragen, ob die Hafencity dem gerecht werden kann.
Über das Buch von Gert Kähler – „Geheimprojekt HafenCity“ – wird Olaf Bartels in der kommenden Woche informieren.

Die Eröffnung der Elbphilharmonie war auch der Zugpostille db mobil einen langen Bericht wert. Thomas Hengelbrock, Dirigent des Eröffnungskonzerts und des Orchesters, das sich inzwischen NDR Elbphilharmonie Orchester nennt, wird darin mit einem Satz zitiert, der streng genommen ziemlich gemein ist: „Das Haus gibt der Hafencity, was ihr bisher fehlte: Herz und Seele.“ Mit anderen Worten: Die Hafencity war bislang herz- und seelenlos. Ein vernichtendes Urteil über einen Stadtteil, an dem mit hohem Aufwand und großer Sorgfalt seit vielen Jahren gearbeitet wird. Aber selbst wenn man Hengelbrock die Worte nicht genüsslich im Munde herumdrehen mag, ist diese Äußerung nicht so harmlos, wie sie vermutlich gemeint war – und ist gerade deswegen recht aufschlussreich. Die Elbphilharmonie ist, wenn man sie im Sinne der Metapher Hengelbrocks als integralen und grundlegend funktionalen Bestandteil der Hafencity ansieht, das Gebäude, das zeigt, was man auch vom Stadtteil selbst erwartet: dass er höchsten Ansprüchen gerecht wird und darin nicht nur für die Stadt Hamburg, sondern weit über die nationalen Grenzen hinaus vorbildlich ist.
Ausführliche Information über die Hafencity >>>
Projektionsfläche für Hoffnungen und Erwartungen

Schaut man auf die Veröffentlichungen und Ausstellungen über neue Stadtteile in den letzten Jahren, dann ist dieser Anspruch eingelöst. Kaum eine Publikation wollte darauf verzichten, die Hafencity aufzunehmen. Ob als Beispiel für einen neuen Stadtteil am Wasser und auf einer Konversionsfläche realisiert, ob als Projekt für das wiederentdeckte Wohnen in der Innenstadt oder ob als gelungene Weiterentwicklung der europäischen Stadt im 21. Jahrhundert – die Hafencity eignete sich hervorragend als Projektionsfläche für die Erwartungen und Hoffnungen, die man in das planerische Tun setzte. Die Hafencity steht für die dichte, gemischte Stadt, für die Überzeugung, dass dies die für die Zukunft geeignete Form sei, die Differenzen vermitteln, Konflikte handhabbar machen könnte. Und dass diese Stadt planbar ist. Dass sie die geeignete Antwort auf die ökologischen Herausforderungen sein könnte, dass sie eine Form sein könnte, die der gemeinschaftlichen Orientierung an einem politischen Leitbild dienen könnte: dem Leitbild einer toleranten, den freiheitlichen Werten verpflichteten Stadtgesellschaft. Und sie steht – anders als das in den Nachkriegsjahren der Fall gewesen ist – für die Überzeugung, dass die Stadt und der Stadtteil die Ebenen sind, auf der sich diese politische Orientierung versinnbildlicht und ästhetisch konkretisiert. (1)





Die Hafencity ist insofern alles andere als ein normaler Stadtteil, sie ist auch kein Beispiel für planerisches Alltagshandeln, genauso wenig wie es die Elbphilharmonie für eine gewöhnliche Veranstaltungshalle in einer anderen Stadt ist. Wer durch die bereits fertiggestellten Teile der Hafencity läuft, ist entsprechend auf Schritt und Tritt mit dem Bemühen konfrontiert, dem hochgesteckten Anspruch gerecht zu werden. Man hat, so scheint es, alles richtig gemacht. Der Automobilverkehr ist in einem verträglichen Maß organisiert. Die Fußgängerverbindungen funktionieren gut. Die außergewöhnliche Gestaltung der Außenanlagen fällt auf, die Verzahnung der Häuser mit dem öffentlichen Raum, die Mischung der Nutzung ebenso. Die vielen Häuser hoher architektonischer Qualität sind gleichfalls augenscheinlich, auch wenn man dem ein oder anderen Haus vor allem ansieht, dass man wollte, dass es gut wird. Informationstafeln, zeigen, welche Läden, welche Dienstleistung, welches Restaurant, welche Galerie, welches Museum wo zu finden ist – man will sich nicht darauf verlassen, dass sich diese Vielfalt herumspricht, sich alleine trägt, sich ohne Hinweis mitteilt. Und so fühlt man sich vor einer solchen Tafel eher wie in einem Einkaufscenter ohne Dach als in einem Innenstadtquartier.

Repräsentanz für den Anspruch an die ganze Stadt

Denn die Hafencity ist nicht nur eine Stadterweiterung, ein Konversionsgebiet wie viele andere auch, sie ist eine demonstratives Statement für das, was Stadt sein soll und wofür Stadt stehen soll. Sie ist normativ. Sie soll gleichzeitig normale Stadt sein und für die Stadt repräsentativ sein – sie muss gleichzeitig ein Bild und das, was dieses Bild abbildet, sein. Weil sie unbedingt sein soll wie richtige Stadt, ist sie nur fast richtig Stadt: Die Hafencity ist nicht einfach eine Erweiterung der Innenstadt, der man die Zeit gibt, sich in einigen Jahrzehnten als deren selbstverständlicher Teil zu geben – sie muss es von Anfang an sein. Damit konterkariert die Hafencity als Ort des Lebens, des Wohnens und Arbeitens, in gewisser Weise das, wofür sie stehen soll. Man sehnt sich beim Gang durch diesen Stadtteil nach ubiquitärer Gewöhnlichkeit und einer pragmatischen Nutzung, die nicht im Plan vorgedacht wurde. Die Sinnhaftigkeit, ein hochwassergefährdetes Gebiet durch enormen technischen Aufwand für einen Stadtteil zu ertüchtigen, kann man aus ökologischer Sicht bezweifeln. Der enorme regulative Aufwand für Vertragswerke, Flächennutzungen, Gestaltung und Verfahren, der getrieben werden muss, um das zu erreichen, was man erreicht hat, steht in einem merkwürdigen Missverhältnis zu dem Wunsch, die Begegnung mit dem Fremden, den Überschuss an Komplexität und die Moderation von Differenz als Urbanität konstituierende Qualität zu generieren. (2) Die Emanzipationsgeschichte, die man in der europäische Stadtgeschichte verwirklicht sieht (3), lässt sich aber nicht in einem Stadtteil von 155 Hektar Größe, für den man eine Gesamtbauzeit von noch nicht einmal dreißig Jahren ansetzt, reproduzieren.

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Alle Bilder: Christian Holl

Das wäre wie verordnete Spontaneität, und tatsächlich verströmt die Hafencity diese befohlene Urbanität noch zu deutlich, als dass man es ignorieren könnte. Insofern hat Hengelbrock recht  – nur gerade nicht darin, dass dieses Defizit durch die Elbphilharmonie behoben wird.
Der entscheidende Punkt ist dann aber – wenn die Hafencity für das steht, was die Stadt leisten und bieten soll –, dass die Hafencity als gebautes Statement für die Ansprüche steht, die man in anderen Stadtteilen einlösen will und womit die Hafencity im Konkreten überfordert sein muss. Dann ist die Hafencity in erster Linie eine hohe stadtpolitische Verpflichtung – an die Freiheit, die differierende Lebensstile toleriert, an die Toleranz gegenüber dem Fremden, an die Emanzipation von politischer Bevormundung und an die Chancen, die die Stadt den Menschen unabhängig von Herkunft, Rasse, Geschlecht bietet. An einen Umgang mit Stadt, der sorgsam mit dem öffentlichen Raum umgeht. Die nicht zu unterschätzende Transferleistung bestünde dann darin, dass man in anderen Stadtteilen, wenn man dem Anspruch, den die Hafencity formuliert, gerecht werden will, für die konkrete Umsetzung die Hafencity gerade nicht zum Vorbild nehmen dürfte – sondern beispielsweise Freiräume bieten müsste, in denen geschieht, was nicht geplant werden kann.
Wenn dies gelingt, dann wird vielleicht auch in einigen Jahrzehnten das eintreten, was der Hafencity zu wünschen ist: Das sie sich vom in sie gesteckten Anspruch emanzipiert und als Stadtteil ein charakteristisches Eigenleben bekommt, von dem man heute noch nicht wissen kann, wodurch es gekennzeichnet sein wird. Man muss ihr fairerweise diese Zeit geben. Denn nur dann kann sie tatsächlich ein Stadtteil mit Herz und Seele werden.


(1) Siehe hierzu Michael Müller: Drei Stadtmodelle. In: ders.: Kultur der Stadt. Essays für eine Politik der Architektur. Bielefeld 2010.
(2)  Jürgen Bruns-Berentelg, Angelus Eisinger, Martin kohler, Marcus Menzl (Hg.): HafenCity Hamburg. Neue urbane Begegnungsorte zwischen Metropole und Nachbarschaft. Wien 2010
Vor allem Marcus Wenzel bemüht sich in seinem Beitrag sehr darum, mit diesem Missverhältnis umzugehen, macht es dabei aber erst recht sichtbar. Dort heißt es beispielsweise: „Das Ringen um normative Ordnungen hat immer viele Facetten, es geht (…) stets auch um Fragen von Macht und um Raumprofite, weshalb an dieser Stelle die vergleichsweise stark regulierende Rolle der HafenCity GmbH noch einmal explizit betont sei. (…) Bei aller Bedeutung für die urbanen Begegnungen, der Konfrontation mit dem Fremden und der Herstellung von Öffentlichkeit für die Entstehung von Großstadt darf daher nicht vergessen werden, dass aus der Begegnungsmöglichkeit kein Begegnungszwang im Sinne einer Unterminierung des Privaten erwachsen darf – das wäre nämlich nicht typisch für die Großstadt, sondern für das das traditionelle Dorf.
(3) siehe: Walter Siebel (Hg.): Die europäische Stadt, Frankfurt am Main 2004. Auf dem Rückumschlag heißt es programmatisch: „Die europäische Stadt ist der Ort, an dem die bürgerliche Gesellschaft entstanden ist. Europäische Stadtgeschichte ist Emanziaptionsgeschichte.