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Fotografie als Dokumentation historischer Ereignisse und Zusammenhänge hat keine Halbwertzeit und ist keine Wegwerfware. Dass Museen und andere Institutionen Fotos mit Zustimmung von FotografInnen ins Nichts befördern, ist ein wissenschaftlicher Skandal.


Es flatterte das Schreiben einer Firma in unser Büro. Sie biete »UrheberInnen bzw. RechteinhaberInnen die Überprüfung von Urheberrechtsverletzungen an«, vermute eine Bildurheberrechtsverletzung und so weiter, eine entsprechende Schadensersatzforderung gleich inklusive. Dergleichen kennt man inzwischen, fragwürdige bis kriminelle »Anwälte« sind allzuoft wie Wegelagerer im Internet unterwegs und möchten kassieren. Seriöse Absender gibt es selbstverständlich auch, die berechtigte Interessen vertreten. Das muss thematisiert werden, denn überraschende Honorarforderungen treffen Marlowes beziehungsweise frei04 publizistik als Herausgeber – und viele andere – durchaus heftig, so dass wir in einem konkreten Fall in mehreren Runden den Verfahren nachgegangen sind. Gegenstand des Streits war ein Foto einer Ausstellung, das die Pinakothek der Moderne 2017 als Pressefoto zur Verfügung gestellt hatte. Unser Bildnachweis mit Benennung der Urheber war zwar korrekt, aber: Anders als wir es seit Jahrzehnten kennen, galt die Pressefotonutzung nicht für immer, sondern nur für einen begrenzten Zeitraum: „3 Monate vor Ausstellungsbeginn und … über die Ausstellungslaufzeit hinaus 6 Wochen nach Ende der Ausstellung„.1)
Eine solche Befristung war uns neu, und sie bleibt uns bis heute völlig unverständlich.

Leerstellen im Netz: Datenverlust und fragwürdige Algorithmen der Suchmaschinen gefährden Wissensquellen.

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Zeit im Bild

Denn man fragt sich, wie es zum Beispiel bei gedruckten Zeitschriften sein soll. Müssen diese 6 Wochen nach Ausstellungsende in den Reißwolf?2) Das kann gar nicht sein, denn Fachzeitschriften sind auch in Bibliotheken zu finden und werden dort wissenschaftlich archiviert. Zum Nutzen und Frommen der Wissenschaft und der Nachwelt.
Es stellen sich grundsätzliche Fragen: Wie ließe sich Architekturgeschichte schreiben, wenn alle Bild- und Textwiedergaben mit einer bestimmten Halbwertzeit belastet wären und danach im Nichts landeten?3) Die Fotografie hat unstrittig eine eminente Bedeutung für die Dokumentation aller Geschichtsschreibung. Das gilt für Berichte originärer Art als auch für Rezensionen, die auf das Bild als Illustration einer Aussage angewiesen sind. Zudem: Was jeder Einzelne mit den von ihm gekauften Printprodukten – Zeitungen, Büchern – macht, ist einzig und allein seine Sache.

Die Pressestelle der Pinakothek ließ uns nun wissen: »Für den Fall, dass Sie die Abbildungen weiter verwenden möchten, kann eine Genehmigung daher nicht durch uns erteilt werden, sondern wäre bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen. Wir bedauern, dass wir Ihnen diesbezüglich daher leider nicht weiterhelfen können und möchten Sie daher bitten, sich für eine weitere Nutzungsgenehmigung bei Bedarf an die Rechteinhaber zu wenden, um dort eine Genehmigung für eine weitere Nutzung zu erhalten.«. Schönen Dank auch. Marlowes müsste nun alle Ausstellungs- und Buchrezensionen durchforsten, um zu prüfen, ob das Bildmaterial befristet ist oder nicht. In der publizistischen Praxis ist das absurd. Grotesk ist, dass die betreffende Ausstellung den Titel ”Does permanence matter?“ trug.
Museen und Galerien tun sich – und anderen erst recht ­– keinen Gefallen, an diesem Ende zu sparen. Konkret die werbeträchtige Ankündigungszeit doppelt so lang anzusetzen wie die Rezensionsgültigkeit, wirft ein bemerkenswertes Licht auf die Veranstalter. Inwieweit es die Fotografen sind, die sich hier mit zeitlich gestaffelten Honoraren präsentieren, sei dahin gestellt. Wenn es so ist – keiner der Fotografinnen, die ich gefragt habe, verfährt so –, schaffen sie, die Fotografen, sich selbst ab. Fragen lassen müssen sich – wie im konkreten Fall – auch Agenturen, ob sie sich mit den Befristungen ihrer dokumentarischen Verantwortung bewusst sind.

Geld, wem Geld gebührt

Denn ein Nebeneffekt der oben beschriebenen Usancen ist, dass publizierende Personen, Unternehmen und Institutionen mehr und mehr mit eigenen Fotografien arbeiten. Es gibt allerdings relevante Bildmotive, die von Rezensenten überhaupt nicht aufgenommen werden können, weil sie beispielsweise nicht mehr existieren oder unzugänglich sind. Zudem sind die Urheber- und Persönlichkeitsrechte beim Fotografieren auch schon kompliziert genug. In Innenräumen geht nichts ohne Genehmigungen, und Personen dürfen auch nicht ohne deren explizite Zustimmung abgebildet werden. Die VG Bild-Kunst (Verwertungsgemeinschaft) kümmert sich darüberhinaus mit guten Gründen und durchaus effizient um urheberrechtlich vertretbare Vergütungsansprüche von Bildkünstlern (nicht nur Fotografen, sondern auch Malerinnen, Zeichner und andere), deren Werke abgebildet sind.4) Wenn beispielsweise ein Raum mit einem Bild fotografiert wird, ist zu klären, ob Vergütungsansprüche für das abgebildete Bild anfallen. All das ist kompliziert, aber gewissermaßen nachvollziehbar.

Fehlmeldungen aller Art rufen in Erinnerung, wie fragil die digitale Informationswelt im Grundsatz ist.

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Bildwissenschaften

Doch im beschriebenen Fall der zeitlich befristeten Pressefotos liegen die Dinge anders. Es ließe sich von einer Vorab-Zensur reden, wobei durchaus Verständnis für die wirtschaftlichen Interessen von Fotografen aufzubringen ist.5) Aber die Befristung impliziert entweder, dass die Rezensionsargumente der Bildaussagen beraubt werden. Oder dass die Honorarverhandlungen zur Pressefoto-Nutzung auf den Rezensenten abgewälzt werden. Beides kann weder im Interesse der Museen und Ausstellungsmacher, noch der Fotografen beziehungsweise Bildproduzentinnen sein – im Interesse der Sache schon gar nicht. Negiert wird die Bedeutung des Iconic Turn mit wichtigen Forschungszweigen, die Bildinterpretationen in Kunst und Wissenschaft untersuchen.6) Es geht in der Nutzung speziell des Fotos nicht allein um »Illustrationen«, sondern um eigenständige Bildaussagen und das Bild allgemein als »historische Kraft«, wie Horst Bredekamp es im Kontext der Geschichtswissenschaft begreift.7)

Auf das Architekturbild – Plan, Zeichnung, Fotografie – sind die Architekturvermittlung und jegliche Kommunikation zur Architektur (Architekturkritik, Architekturgeschichte…) angewiesen. Öffentliche Einrichtungen, die sich mit Architekturthemen befassen, werden mit einer Befristung von Presseabbildungen ihrem Auftrag nicht gerecht.


1) Auskunft der Pressestelle der Pinakothek der Moderne nach unserer Anfrage. Die entsprechenden Hinweise im Downloadbereich hatten wir offenbar tatsächlich übersehen.

2) Eine Unterscheidung zwischen Print und online wird auch in den derzeitgen Formulierungen auf der Internetseite des Museums nicht gemacht. Inzwischen endet das Nutzungsrecht schon vier Wochen nach Ausstellungsende.

3) Die Rolle der Architekturfotografie ist in vielen wissenschaftlichen Arbeiten aufgearbeitet, empfehlenswert: Rolf Sachsse: Photographie als Medium der Architekturinterpretation, Studien zur deutschen Architekturphotographie im 20. Jahrhundert, (Phil.Diss. Bonn 1983), München New York London Paris 1984; ders.: Die Erziehung zum Wegsehen. Photographie im NS-Staat. 2003; ders.: Fotografie: vom technischen Bildmittel zur Krise der Repräsentation. Köln 2003.
Wolfgang Kemp: Geschichte der Fotografie. Von Daguerre bis Gursky. 3.2019

5) Nebenbei: Mit den Anfragen, Fotos von mir verwenden zu dürfen, habe ich in den letzten zwei Jahren mehr Geld verdient als mit Auftragstexten, die – anders als Fotografien – faktisch kaum wiederverwertet werden können.

6)Zum Beispiel das Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes in Basel (https://eikones.philhist.unibas.ch/de/) oder das Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin (IKB, https://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/institut/)

7) Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno Vorlesungen 2007; Philipp Molderings: Geschichtswissenschaft und das Bild als historische Kraft. Ein Interview mit dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp (https://zeitgeschichte-digital.de/doks/frontdoor/deliver/index/docId/1216/file/visual_history_molderings_interview_bredekamp_v1_de_2016.pdf)