Stilkritik (118) | Turit Fröbe verunglimpft Aufmerksamkeit heischend mit schlechten Bildern Architektur, die ihr nicht gefällt. So einfach ist eine bildmäßig konzipierte Kritik am Bestand nicht zu machen, um glaubwürdig zu sein. Eine Replik mit Rückblick auf fast ein halbes Jahrhundert Alltagskritik.
In der Fotozeitschrift > Photonews 10/22 (Bild oben) wurde ein Interview veröffentlicht, das der Herausgeber Denis Brudna mit der »ausgewiesenen Bausünden-Hasserin« Turit Fröbe geführt hat.
Man fragt sich, was Denis Brudna daran gereizt haben mag, sich mit ihrer Sammlung »skurriler Geschmacksverirrungen« zu befassen. Sicherlich nicht die Qualität der Fotos – die wurden ganz bewusst laienhaft aufgenommen, denn »übergestaltete Bilder machen« ihrer Überzeugung nach »die gezeigte Architektur unnahbar«.
Über diese etwas krude Auffassung von Architekturfotografie hätte Denis Brudna mit Turit Fröbe debattieren sollen. Hat er nicht. Dieses Architekturfotografie-Verständnis möchte ich allerdings nicht unwidersprochen stehen lassen.
Der Ton macht die Musik
Liebe Turit Fröbe, wenn Sie möchten, dass »die Menschen über Baukultur nachdenken«, sollten Sie Ihre fotografische Herangehensweise überdenken. Mag sein, dass Ihnen »die übliche Architekturfotografie in den Hochglanzzeitschriften« nicht gefällt, aber Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie glauben, man müsse nur auf alle Konventionen und Regeln der Architekturfotografie pfeifen, um damit näher an das Sujet heranführen zu können. Es ist ein riesiger Unterschied, ob »Menschen auf der Straße« ihre gebaute Umwelt »im Regen, im Nebel, im Gegenlicht« sehen oder ob sie die »im Regen, im Nebel, im Gegenlicht« geknipsten Bilder in einem Buch oder einer Zeitschrift betrachten.
Wenn man sich ernsthaft mit dem Thema Bausünden befassen will, so haben die Objekte bei der Aufnahme die gleiche Professionalität, den gleichen Ernst verdient wie edle Architektur-Ikonen. Sonst wäre von vornherein jeder nüchtern sachliche Vergleich ausgeschlossen. Selbst Mies van der Rohes Haus Tugendhat ließe sich »im Regen, im Nebel, im Gegenlicht« durch Fotografie niedermachen.
Mit Benedikt Erenz hatte ich einmal einen erbitterten (aber fruchtlosen) E-Mail-Austausch über einen »Sofort abreißen!« übertitelten Artikel in der »Zeit« (Nr. 9, 23. Februar 2006), in dem er zum Beispiel (über ein Bauwerk von Gottfried Böhm) schrieb: »Wer einmal vor der Blechbüchse des Paderborner Diözesanmuseums, gleich neben dem mächtigen Dom, gestanden hat, fragt sich, welche Sünden die keuschen Paderborner wohl begangen haben, dass Gott sie so strafte.« Benedikt Erenz‘ Rundum-Tiraden gegen die Nachkriegsmoderne – vom Unilever-Hochhaus in Hamburg bis zum Gasteig in München – war begleitet von blassfarbig, verregneten November-Blues-Fotos. Das ist das Niveau, auf das man sich mit achtlos geknipsten Bildern selbst von Kieselgärten und monströsen Betonzäunen nicht begeben sollte.
Realitäten?
Übrigens ist auch die Erkenntnis, dass die Bilder-Welt in den Architekturzeitschriften nicht der Realität in den Siedlungen entspricht, keineswegs neu. Das Niveau der Fotozeitschriften entspricht ja – von Ihren Fotos mal abgesehen – auch nicht dem, was sich Tante Erna ins Fotoalbum klebt. Das gleiche gilt für Modezeitschriften. Städtische Einkaufsmeilen und Fußgängerzonen werden eher vom Schlamper-Look als von Haute Couture geprägt. Zeitschriften zeigen nun mal das Beispielhafte, das Wünschenswerte, das Erstrebenswerte und nicht das, was man ohnehin ständig vor Augen hat.
Ja, Sie haben Recht: »Die Bilder solcher Architektur, die dann in den Hochglanz-Architekturmagazinen abgebildet werden, spiegeln nicht die Realität unserer gegenwärtigen Baukultur wider.« Das habe ich in meiner langjährigen Arbeit als (Chef-)Redakteur einer Architekturzeitschrift auch immer wieder als Dilemma empfunden. Häufig bin ich über Land gefahren, um Bauten im Original anzuschauen, die mir aufgrund der von Architekten zugeschickten Fotos bemerkenswert schienen. Aber bevor ich mein Reiseziel erreichte, musste ich – am Wegesrand – so einiges mit ansehen, was ich mir lieber erspart hätte. Egal, ob ich durch Bayern, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern oder sonst wo gefahren bin.
Irgendwann begann ich, den ganz normalen Wahnsinn auf die Platte zu bannen. Und dort nicht etwa zu verbannen, sondern in die Öffentlichkeit zu tragen – wenigstens in die Fachöffentlichkeit. Denn »Wer das Schlimme einer Sache nicht anzugreifen sich getraut, verteidigt das Gut nur halb…«. Robert Schumann, 1834.
Von Fröbe nichts Neues
1994 bis 2004 wurde – stellvertretend für die große Masse nie publizierter Bauwerke – jeweils eines dieser Fotos in der db auf der letzten Seite abgedruckt. Immer professionell fotografiert, immer begleitet vom gleichen Text:
»Unsere Städte, Dörfer, Landschaften werden vor allem von jenen Bauten geprägt, die nicht in Architekturzeitschriften veröffentlicht werden. Gezeigt wird eher die Ausnahme denn die Regel, eher das Bonbon denn das Schwarzbrot. Dadurch entsteht auf dem Papier ein geschöntes Bild der Wirklichkeit. Um dieses Bild wieder etwas gerade zu rücken, zeigen wir (jeden Monat) auf dieser Seite, wie der Alltag wirklich aussieht.«
Um den Vorwurf zu entkräften, mit der monatlichen Beobachtung doch nur das Abscheulichste aus der ganzen Republik gesammelt und vorgeführt zu haben, konzentrierten wir uns mal auf einen Ort und widmeten dem ein ganzes Heft (db 8/95). Dass es ausgerechnet Schönaich wurde, ist nicht von Belang. Schönaich ist nicht mehr und nicht weniger aus dem Leim gegangen als andere Dörfer auch. Es ist weder schön noch besonders hässlich. Es steht pars pro toto für unendlich viele ausufernde Dörfer und zerfranste Stadtränder. Wir hätten uns genauso gut mit Fellbach, Bobenheim-Roxheim, Erbach im Odenwald oder Erbach im Saarland befassen können.
Für das Schönaich-Heft sind professionelle Architekturfotografen (Roland Halbe und Wolfram Janzer, Stuttgart) beauftragt worden, die von der Redaktion vorausgewählten Bauten sorgfältig und mit dem gleichen Ernst zu fotografieren, als ginge es um Frank Gehrys Museum in Bilbao.
Die Bauten, die im Schönaich-Heft oder in der monatlichen Rubrik »Alltag in …« gezeigt wurden, trugen nie einen Architektur-Urhebervermerk, denn es ging uns um das Phänomen selbst und nicht darum, in der Zeitschrift einen Pranger zu inszenieren.
Bild und Wort
Aber über eine Sache haben wir in der Redaktion immer wieder debattiert. Ob es nicht besser wäre, die in der Rubrik vorgestellten Bauten jeweils individuell zu kommentieren.
Wie das hätte aussehen können, hat uns dann Peter Davey 1999 in der Zeitschrift Architectural Review vorgemacht – mit einem Bild, das er in der db 8/98 gesehen hatte. In seiner Rubrik »Outrage« (Empörung) kommentierte er das Aalener Wohn- und Geschäftshaus:
»Empörung. Abwechslungsreich, gemischt genutzt, hat dieses Gebäude mitten im wohlhabenden Deutschland viel zu bieten – theoretisch. Aber es ist eine optische Katastrophe. Warum, und ist es ein Vorbote des zukünftigen Städtebaus? Dieses charmant-grausame Foto stammt von meinem Zeitgenossen Wilfried Dechau, dem Herausgeber der ausgezeichneten deutschen Zeitschrift db (Deutsche Bauzeitung). Es ist das erste einer Serie darüber, wie das architektonische Gefüge des deutschen Lebens wirklich aussieht – im Gegensatz zu dem, was wir in den Architekturzeitschriften zeigen. Es handelt sich um ein gemischt genutztes Gebäude in Aalen, einer kleinen Stadt im Osten von Stuttgart.
Dieses Gebäude ist an sich nicht wirklich skandalös – eher komisch-grotesk. Was mich sehr wütend macht, ist, dass es auf so brillante Weise das Versagen der Architekturtheorie zeigt – oder zumindest einiger der Theorien, die mich leiten. Hier ist ein Beispiel für die Art von Gebäuden, die wir alle in den Städten fördern wollen, eine Kombination aus Café, Büros und Wohnungen.
Hier ist das, was Ruskin ›Veränderlichkeit‹ nannte: Ein gutes Gebäude, so glaubte er, ›unterwirft sich immer dann, wenn es Gelegenheit zur Veränderung seiner Form oder seines Zwecks findet‹, ein Rezept für das Verhältnis von Form und Funktion, das viele der besten Werke der Architektur hervorgebracht hat, von den gotischen Kathedralen bis zu den Werken der Grazer Schule. Äh, hier nicht. Der erstaunlich kitschige Hundertwasser-Cocktail aus Heimatstil und Hightech, aus Kacheln und Blech und Holz und schrägem Glas, mag dem staunenden Betrachter etwas von der Natur dessen zeigen, was im Inneren des Gebäudes vor sich geht, aber gute Architektur ist das kaum. Vielleicht ist an dem ganzen Zeug über Anstand, Geschmack und Proportionen ja doch etwas dran. Peter Davey«
Abriss? Nein Danke!
Übrigens: Die AR-Rubrik »Outrage« gab es längst, als in der db die Rubrik »Alltag in …« begonnen wurde. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie für mich Ideengeber und Ansporn zugleich war. Das Buch zum Thema »Alltag in…« erschien ebenfalls 1999, also zwei Jahre bevor Turit Fröbe begann, »Bausünden« zu sammeln.
Auch die Überschrift »Abrisskalender« oder »Abreißkalender« gab es schon Jahrzehnte vor Turit Fröbes »365 Bausünden zum Abreißen«. Im Basler Abreißkalender 1981 wurden bereits abgebrochene oder vom Abriss bedrohte Gebäude gezeigt. Allerdings verstanden die Basler ihren Kalender nicht als Pranger oder als Aufforderung zum Abriss, ganz im Gegenteil.
Die Auseinandersetzung mit jeglichem Bestand ändert sich eingedenk ökologischer und architekturhistorischer Erkenntnisse zum Glück zugunsten des Bestands. Allen, die mit dem für abrissreif Gehaltenen Aufmerksamkeit wecken möchten, sei der neue Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur empfohlen. Er trägt den Titel »Umbaukultur« und steht als > Download zur Verfügung.