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Die Fotografin Lee Miller (1907-1977) begann als Modell und entwickelte sich zur Kriegsfotografin. In einem einzigartigen Zusammenwirken von Reportage und Inszenierung dokumentierte sie unter anderem die Invasion der Alliierten und die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau. Eine Ausstellung in Hamburg führt vor Augen, was den professionellen Blick von der Flut des digitalen Bildermachens unterscheidet.

Lee Miller, Remington Silent, London, 1940
(© Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk)

Die Fotografie ist zu einer Ikone geworden: Die Fotografin Lee Miller sitzt nackt in der Badewanne von Adolf Hitler am Prinzregentenplatz. Links am Rand der Wanne ein Foto des „Führers“, der die Arme in die Seiten gestützt hat. Unscharf nur ist er zu sehen, ganz so, als schaue er aus dem Totenreich zu ihr herüber. Miller würdigt ihn keines Blickes. Ihre schmutzigen Stiefel stehen auf dem verdreckten Badeteppich. Daneben liegt ihre Kleidung auf einem Hocker, bekrönt von der Armbanduhr. Memento mori. Miller selbst ist in der Mitte des Bildes zu sehen, doch ihr Blick ist schräg in den Raum gerichtet, der nackte Oberkörper bildet eine Dreieckskomposition. Die rechte Hand liegt mit einem Waschlappen auf der linken Schulter. Das Grauen und das Profane, das Pathos und die verstrichene Zeit begegnen sich in einer Szene von vermeintlicher Alltäglichkeit, die jedoch genau das Gegenteil alles Alltäglichen darstellt. Ließe sich die Komposition aus dem geschwungenen Brauseschlauch und Millers Körper nicht gar als eine Stundenuhr lesen? Dort wo der Sand der Zukunft in die Vergangenheit rieselt, befinden sich die Augen der Fotografin. Es ist der besondere Blick von Lee Miller, der die Qualität ihrer fotografischen Arbeiten bestimmt. Er ist angesiedelt zwischen präziser Dokumentation des Vorgefundenen als Fotoreportage und einer künstlerischen Transformation und Inszenierung.

Lee Miller: Fire masks, London, 1941( © Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk)

Lee Miller: Fire masks, London, 1941 (© Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk)

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Lee Miller (1907-1977, Bild: Wiki free, © U.S. Army Center of Military History)

In einer (einmal mehr) exzellent kuratierten Ausstellung zeigt das Bucerius Kunstforum in Hamburg eine markante Auswahl von Millers Arbeiten. Ihre Laufbahn führte sie vom Modell über die Modefotografie bis zum Surrealismus und zur Fotoreportage. Zentral für ihre künstlerische Entwicklung war die Begegnung mit Man Ray in Paris. Wunderbar ist ihr Porträt von Charlie Chaplin, dem 1932 in St. Moritz eine Lampe aus dem Kopf zu wachsen scheint. Großartig ist das mit der Technik der Solarisation geschaffene Frauenporträt aus demselben Jahr, das wohl Meret Oppenheim zeigt. Doch surrealer als die Wirklichkeit des Krieges konnte kein Bildthema sein. Ihre Fotografie einer zerschmetterten Schreibmaschine, „Remington Silent“ (1940, siehe oben), zeigt mehr als lediglich ein zerstörtes technisches Gerät. Das Bild ist konkret und abstrakt zugleich, Abbild und Subtext in einem. Millers Fotografien öffnen den Raum für Interpretation. Vielleicht sind jene ihre stärksten Bilder, die sie als akkreditierte Kriegsreporterin bei der US-Army schuf. Wenn etwa aus dem Portal eines zerstörten Hauses die Ziegelsteine hervorquellen. Real und surreal zugleich. Die Ebenen verschwimmen. Deutlich wird das in der Ausstellung an einem besonderen Bildpaar vorgeführt, das 1945 entstand: Das eine zeigt eine von Telefondrähten umschlungene Kreuzigung unter dem Titel „Hotline to God“. Daneben hängt Millers Blick in den beschädigten Kölner Dom.

Blick in die Ausstellung (Foto: Ulrich Perrey)

Blick in die Ausstellung
(Foto: Ulrich Perrey)

In einem gesonderten Ausstellungskompartiment sind Lee Millers Bilder aus dem befreiten Konzentrationslager Buchenwald von 1945 zu sehen. Es sind Fotografien, die nicht auszuhalten sind, nie auszuhalten sein werden, die den Horror dokumentieren, die Grausamkeit des mörderischen NS-Regimes, seine Unmenschlichkeit.
Doch nicht nur die Opfer, auch die Täter fotografierte Miller, einen KZ-Wächter mit zerschmettertem Gesicht, einen toten Wachmann, der in einem Kanal in Dachau treibt. Das Erlebte, Gesehene, Fotografierte hinterließ Spuren. Nach dem Krieg kehrte Lee Miller mit ihrem Lebensgefährten Roland Penrose nach England zurück. Wie ein milder Nachklapp wirken die Bilder, die in jenen Jahren entstanden, Fotografien vom Landleben und von Besuchen ihrer Künstlerfreunde, darunter neben Man Ray und Picasso auch Max Ernst und Jean Dubuffet. Sie beschließen ein großes Kapitel der Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Krieg und Glamour.


Lee Miller 1942 in kriegstauglicher "Kleidung" (Foto: David E. Sherman, Bucerius Preesbild)

Lee Miller 1942 in kriegstauglicher „Kleidung“ (Foto: David E. Sherman, © Lee Miller Archives, East Sussex, England. www.leemiller.co.uk)

Ausstellung bis 24. Spetmber 2023 im Bucerius Kunst Forum, Hamburg
https://www.buceriuskunstforum.de/ausstellungen/lee-miller-fotografin-zwischen-krieg-und-glamour