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Haarsträubend


Stilkritik (45) | Friseure finden für ihre Salons abenteuerliche Namen. Seit einiger Zeit ziehen die Architekten nach, Dreibuchstaben-Büros sind längst verpönt. Eine semantische Annäherung.


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Schaufenster in Mannheim (Bild: Wolfgang Bachmann)

Als Hans-Dietrich Genscher noch durch die Welt tourte, hatten sich die Journalisten darauf verständigt, er sei der „Architekt der Außenpolitik“. Und Helmut Kohl gilt huldigenden Federn als „Architekt der Einheit“. So hat man sich mit dem Begriff angefreundet, er passt für vieles, das mit Planung, Ordnung, Struktur und einleuchtender Form zu tun hat.

1808_KS_HairbergeEinen terminologischen Neuzugang gibt es jetzt in Mannheim zu entdecken. Dort firmiert ein Friseur, dessen Zunft seit einigen Jahren mit einfallsreichen Namensschöpfungen brilliert, mit seinem Salon als „die haar architekten“. Das gibt uns zu denken, wenn eine Berufsgruppe für ihre Leistungen sich die Bezeichnung bei einer anderen borgt. Es muss mit den unentbehrlichen Talenten, Werkzeugen und Handlungen zu tun haben, die diese fremde Disziplin auszeichnet, sie muss gesellschaftlich angesehen sein und höher bewertet als das eigene Gewerbe. Zum Beispiel wäre es kein Aufstieg, mit seinem Haarschneideunternehmen als Frisurenmetzger oder Haarzimmerer anzutreten. Architekt dagegen – das hat was.

1808_KS_Haar_3Vielleicht war ja dem Inhaber nach den Abitur durch den Numerus Clausus der Start einer akademischen Karriere im Bauwesen verwehrt, drum holt er sich eben jetzt auf Umwegen einen höheren Dienstgrad. Auch nicht auszuschließen, dass ihn die Wohn- und Einrichtungszeitschriften in seinem Ladenlokal dazu angeregt haben, sich mit der Arbeitsweise der Architekten auseinanderzusetzen. So eine HOAI mit ihren aufgeschlüsselten Leistungsphasen, das kann einen Friseur schon inspirieren. Von der Grundlagenermittlung über den Entwurf zu Ausführung und Dokumentation, so geht er doch auch vor. Selbst Wettbewerbe und Auszeichnungen gehören zu seiner Praxis. Je länger wir darüber nachdenken, um so mehr leuchtet uns die Seelenverwandtschaft ein. Gab es nicht vor einigen Jahren in Berlin einen Architektursalon Elvira, mit dem Peter Stürzebecher kooperierte? Eben.

Projekt Lilienstraße in Hamburg (Bild:

Projekt Lilienstraße in Hamburg (Bild: www.kollhoff.de)

Architekturfrisöre

Architekten sollten sich der Kontaktsuche der Coiffeure nicht verschließen. Da liegt kreatives Potenzial brach. Inhaltlich lässt sich eine Annäherung schon erkennen. Beispielsweise könnten sich Kollhoff / Timmermann wegen ihres 2005 mit einer Backsteinfassade ondulierten Büro- und Geschäftshauses in der Hamburger Lilienstraße Architekturfrisöre nennen. Warum denn nicht? Die Kammer ist da einfach zu unbeweglich.