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Bild: Christian Holl

Das Klagen über die Normen- und Vorschriftenflut ist nicht unbegründet: Das Bauen wird in den letzten Jahren von stetig steigenden Anforderungen in allen Bereichen des Bauwesens geprägt. Ob Städtebau oder Architektur, die Anforderungen an Nachweise und die Komplexität im Entwurfs- und Planungsprozess haben sich enorm erhöht. Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sind in dieser Diskussion neben dem Brandschutz entscheidende Protagonisten. Heiligt der Zweck die Mittel? Zweifel sind angebracht.

 

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Es geht auch Low Tech. Umnutzung eines landwirtschaftlichenBetriebsgebäudes – Ingenieurbüro Hausladen, Kirchheim bei München. Bild: Florian Hausladen, IB Hausladen Bild: Florian Hausladen, IB Hausladen

Der technischen Machbarkeit sind keine Grenzen gesetzt. Effiziente Materialien und Baustoffe auf einem hohen Entwicklungsstand stehen in schon unübersichtlichem Maß zur Verfügung. Solar optimierte Stadtstrukturen zur Maximierung der passiven und aktiven Solareinträge, Doppelfassaden mit Pufferwirkung, maximal kompakte Baukörper und „High-Tech Lösungen“ mit einem hohen Anteil aktiver Komponenten im Gebäude zur Maximierung von Lüftungsstrategien und Nachtspülung – all diese Regeln galten lange Zeit als Antwort auf die Fragestellung an die Effizienz und Nachhaltigkeit im Bauwesen. Inzwischen werden sie durch Entwicklungen auf dem Baustoffmarkt, bei effizientem Einsatz technischer Systeme und der Einbindung regenerativer Energien in Frage gestellt – es geht auch ohne sie. Auffallend ist dabei jedoch, dass mit gesetzlich steigenden Anforderungen an die Gebäudehüllen und einem damit optimierten passiven Gebäudeverhalten der Einsatz aktiver Haustechnik dennoch zunimmt – Haustechnik, welche ursprünglich dafür gedacht war, Fassadendefizite auszugleichen und Komfort herzustellen. Scheinbar ungeachtet finden die etablierten Strategien weiterhin Eingang in Fachdiskussionen im Sinne des Anfangs der 2000er-Jahre geformten Begriffes „Form follows Energy“.

Entsprechende Anforderungen finden sich immer wieder in Wettbewerbsauslobungen und Baustandards unterschiedlichster Institutionen. Ergänzend gewinnen Gebäudeautomation und Steuerungssysteme zur Optimierung passiver wie aktiver Komponenten über die Maße an Bedeutung. Das damit verbundene „intelligente Haus“ suggeriert flexible und frei nutzbare Gebäude bei energieeffizientem Betrieb. Eine Illusion: Aktuelle Auswertungen von Monitoring-Ergebnissen oder Nutzerbefragungen zeigen, dass der erhoffte Nutzen ausbleibt. Fragen wie: „Sind unsere Gebäude noch beherrschbar?“ und „Wie viel Technik vertragen Häuser (noch)?“ stehen unbeantwortet im Raum.

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Gebaute Realität: das „Innenleben“ einer abgehängter Decke in einem Bürogebäude. Bild: Elisabeth Endres, IB Hausladen

Hinzu kommt, dass der Flächenverbrauch pro Kopf steigt, dass graue Energien für aufwändige Konstruktionen benötigt werden. Und so sind die Ergebnisse der Gesamtbilanz in absoluten Zahlen ernüchternd: Ein maßgeblicher Rückgang des absoluten Energieverbrauchs vor allem in der Wohnungswirtschaft lässt sich weder im Bauen noch im Gebäudebestand ausmachen. Stattdessen werden Gebäude abgerissen, weil sie nach Ablauf der Lebenszyklen ihrer hochtechnisierten Systeme nicht wirtschaftlich zu sanieren sind oder der Flächendruck in Ballungsgebieten dem Erhalt von Bausubstanz widerspricht.


Themen der Nachhaltigkeit in Planung und Architektur werden auf dem Landeskongress Archikon2018 am 1. März 2018 behandelt.
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Lücken und Widersprüche

Und weiterhin bleiben Lücken, die zu schließen nicht gelingen will. Stromüberschüsse durch ertragsoptimierte Solarpaneele zur Mittagszeit stehen einem hohen Energiebedarf in den Morgen- und Abendstunden gegenüber. In der Mittagszeit werden die Anlagen abgeschaltet, während in Spitzenlastzeiten zu wenig Beiträge aus regenerativen Energiequellen abgerufen werden können. Unter ganzheitlichen Betrachtungsszenarien optimierter Hüllkonstruktionen, technischer Systeme und Energieerzeugungstechniken stellen sich dringend die Fragen: Welche Relevanz hat dann noch die Struktur von Städten, die Gestalt von Gebäuden und die Implementierung von Technik im Zuge der hochentwickelten Materialien der Hüllflächen für die Effizienz? Wie treten wir diesen Einzelstrategien, die nicht zueinander finden wollen, entgegen?

Der in diesem Zusammenhang weitläufig verwendete Begriff „LowTech“ steht im Fokus der aktuellen Diskussion und stellt das Handeln der letzten Jahre immer häufiger in Frage. Erste Prototypen, die nahezu komplett auf technische Systeme zum Heizen, Kühlen und Lüften verzichten, wurden in der jüngsten Vergangenheit fertiggestellt. Mit diesen provokanten Statements wurde die Fachwelt zum Nachdenken anregt.

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Radikale Umestzung alter Bautradition: 2226 von be architekten in Lustenau. Die Außenwandddicke beträg 80 Zentimeter. Bild: Claudia Siegele

Der Schlüssel hinter diesen Gebäuden ist kein neues Material oder eine neue Technologie –  die Konzepte basieren vielmehr darauf, dass auf alte Bautradition zurückgegriffen wurde, welche die klimatischen Bedingungen berücksichtigt, angemessene Anforderungen an ein Gebäude und Nutzer stellt und bei Bedarf an die Nutzung regenerativer Energiequellen angepasst wurde. So ist das Beispiel „2226“ in Lustenau von „be architects“ seit seiner Inbetriebnahme viel diskutiert worden. Im gesamten Gebäude mit Büronutzung sind weder wassergeführte Heiz- noch Kühlsysteme eingebaut. Massive Fassaden dienen maßgeblich der Regulierung des Innenklimas in den Sommer- und Wintermonaten, Öffnungsklappen steuern die natürliche Be- und Entlüftung des Gebäudes.

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Bild: Elisabeth Endres

Sinkt die Innenraumtemperatur, dient die Beleuchtung zum Ausgleich der geringen und kurzzeitig auftretenden Heizlasten. Dieses so radikale wie einfache Umsetzen Jahrhunderte alter Bautradition, gekoppelt mit einem Minimum an Elektrotechnik, wird als Pilotprojekt diskutiert. Und tatsächlich hat es bei verschiedenen Beteiligten des Planungs- und Bauprozesses zum Innehalten geführt.

Das umgesetzte Gebäudekonzept ist sicher eine radikale Reaktion auf die aktuell geltenden Standards. Aber haben nicht in der Geschichte der Architektur solche bedingungslosen Antworten auf bauzeitliche Fragestellungen immer wieder dazu geführt, eingeschlagene Wege zu überdenken? Norbert Huse schreibt über die Architektur des 20. Jahrhunderts: „Eines der Problemfelder, die die Architektur auch weit in das 21. Jahrhundert hinein in Atem halten werden, ist das Verhältnis zur Technik“. (*) Genau dieses Verhältnis steht in der aktuellen Diskussion im Vordergrund. Ein radikales Umdenken scheint dringend notwendig.

Über den Gebäuderand hinaus


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Abriss ist oft eher Ausdruck von Hilflosigkeit und Folge kurzfristiger Perspektive beim Bauen als eine echte Lösung. Es ist der Alltag. (Bild: Elisabeth Endres, IB Hausladen)

Die Vielfalt an möglichen Konstruktionen und technischen Systemen ist immens. Diese Vielfalt ist nicht nur Errungenschaft und Fortschritt, sondern auch Herausforderung. In der Baugeschichte sind die den Standort eingrenzenden Aspekte wie Material und klimatische Bedingungen stets gestaltprägend gewesen. Aus der Begrenzung entstanden Strukturen, die heute noch von Bestand sind. Diese Robustheit und Flexibilität durch veränderbare Baukonstruktionen, die sich auf Bedürfnisse in der Gesellschaft anpassen lassen und Identität stiften, strahlen bis heute eine große Faszination aus und sind ohne Absichtserklärung in der bauzeitlichen Planung nachhaltiger als mancher Neubau, der dieses Ziel verfolgt. Wir sollten nicht die Entwicklungen der Geschichte ignorieren – wir können und müssen nicht wie früher bauen und leben. Jedoch ist die Besinnung auf eine vom Ort ausgehende ganzheitliche Herangehensweise, die Konzentration auf die relevanten Aspekte gebauter Umwelt, die Frage bei Anforderungen nach der Notwendigkeit und der Einsatz von Materialen und Technik vor dem Hintergrund der Lebensdauer im Gesamtkontext entscheidend – dies wird zu oft außer Acht gelassen.

Die Entwicklung und Möglichkeiten in der Baukonstruktion, dauerhafte Gebäude mit einer hohen Lebensdauer zu konstruieren, sind verfügbar, Planungswerkzeuge zur Prognose und Abbildung klimatischer und energetischer Konsequenzen vorhanden und der umfassende Einsatz erneuerbarer Energien möglich. Haustechnische Systeme werden nicht mehr rein zum Ausgleich der verschwindenden Verluste, sondern verstärkt als Nahtstelle zwischen Gebäudelastgang und Energieinfrastruktur agieren müssen – auch dies ist bekannt. Alle diese Notwendigkeiten müssen in die Betrachtung und Konzeption einfließen und die gebaute Umwelt als Ganzes verstehen, um zukunftsfähige Strukturen schaffen zu können. Die Optimierung innerhalb der Systemgrenze „Gebäude“ ist weit über alle Maßen erfüllt bis hinein die kleinsten Stellschrauben – nun muss der nächste Schritt folgen: Durch Öffnung des Betrachtungsrahmens, ein Umdenken in die Gesellschaft hinein, die nicht mehr allein die Wohnfläche als Bezugsgröße für Effizienz heranzieht, sondern bereit ist, eingefahrene raumprägende Strukturen und Gewohnheiten zu ändern, wird es möglich sein, nachhaltige Strukturen im Sinne der Dauerhaftigkeit und damit der Baukultur zu schaffen.


(*) Geschichte der Architektur im 20. Jahrhundert, C.H.Beck, 2008