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Eine ungewöhnliche Berufsvielfalt: Eigentlich beschäftigt sich Michael Batz mit einer orchestrierten Beleuchtung Hamburgs. Er hat schon mehrfach dafür gesorgt, dass Kirchtürme, Häuser, Kräne, Schiffe, Boote und anderes in ungewohnt blauem oder orangefarbenen Licht erschienen. Viele Hamburgerinnen und Hamburger konnte er so davon überzeugen, das Antlitz der Stadt gemeinschaftlich wie magisch zu verändern. Seit ein paar Jahren hat er sich der oder den Hausgeschichten zugewandt und schreibt über Gebäude und Menschen, die in ihnen wohnen oder arbeiten.

Michael Batz: Das Haus

Michael Batz: Das Haus des Paul Levy. Rothenbaumchaussee No 26, Dölling und Galitz Verlag Hamburg 2021, (4. Auflage 2023), 624 Seiten, 240 Farbabbildungen, ISBN 978-3-86218-146-9, 32 Euro

Das Haus des Paul Levy

Michael Batz ist studierter Germanist. 2021 ist sein Buch „Das Haus des Paul Levy. Rothenbaumchaussee No 26“ zum ersten Mal erschienen, mittlerweile ist es zum vierten Mal aufgelegt worden. Das Buch berichtet in einer kategorischen Chronologie über das Werden und das Bewohnen eines markanten Backsteinhauses in der Hamburger Rothenbaumchaussee sowie über die Schicksale seiner vorwiegend jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner. Gebaut haben das Haus die Brüder Hans und Oskar Gerson, deren Büro mit einer moderat modernen Architektur das Bild Hamburgs im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat. Oskar und ein weiterer Bruder Erich, der ebenfalls als Architekt in Hamburg arbeitete, mussten aufgrund ihrer jüdischen Abstammung das Land aber unter der nationalsozialsozialistischen Regierung verlassen. Hans war schon 1931 gestorben. Ihre Geschichte ist Teil einen ganzen Netzwerkes, das Batz um das Haus aufgespannt hat. Die Architektur hat darin keine herausragende, aber auch keine beiläufige Rolle. Sie ist Teil des Lebens im Haus.


Michael Batz: Chilehaus Story.

Michael Batz: Chilehaus Story. 100 Jahre einer Hamburger Legende, Dölling und Galitz Verlag Hamburg 2024, 296 Seiten, 350 Farbabbildungen, ISBN 978-3-96060-702-1, 34 Euro

Chilehaus Story

Auch das zweite Buch, das Micheal Batz mit dem Chilehaus jetzt einer wahren Ikone der Hamburger Architekturgeschichte gewidmet hat, knüpft ein ähnlich weites inhaltliches Geschichtennetz, das sich um die Entstehung und den Betrieb des Hauses ranken.

Er beginnt mit dem Quartier am Meßberg, das am Ende des 19. Jahrhundert nach einer verheerenden Cholera-Epidemie per Kahlschlag saniert und neu bebaut werden sollte. Die noch sehr mittelalterliche geprägte Altstadt war aber auch ohnedies einem erheblichen Wandlungsdruck unterlegen. Nach der Reichsgründung musste Hamburg sich mit einer Zollfreiheit im Hafen begnügen, die sonst für die ganzen Stadt gegolten hatte. Waren, die bis dahin in den Speichern der Kaufmannshäuser gelagert hatten, mussten nun im Hafen bleiben. Dafür war die Speicherstadt gebaut und dem Freihafen eingegliedert worden. Zwei ganze Stadtteile wurden dafür geopfert. Kontore, die die Häuser der Kaufleute ebenfalls beherbergten, fanden sich zunehmend in den neuen seit den 1860er Jahren verstärkt gebauten Kontorhäusern, und die Wohlhabenden verlegten ihr Domizil vor allem nach dem Großen Brand von 1842 an die Ufer Alster. Die alten Quartiere verfielen. Die Stadt sortierte sich nach ihren Funktionen und begann sich zu einer modernen Geschäftsstadt zu wandeln.

Haus und Quartier

Noch vor dem Ersten Weltkrieg waren in der Neustadt um den heutigen Großneumarkt und die Kolonaden weitgreifenden Sanierungen und Umstrukturierungen im Gange. Um die Wende zum 20. Jahrhundert betraf sie auch die östlichen Stadtbereiche, in denen heute das Kontorhausviertel und das Geschäftsviertel um die Mönckebergstraße liegen. Michael Batz schildert den Niedergang dieses Quartiers der kleinen Leute mit anschaulichen Geschichten über Spelunken, Marktplätze und patrouillierende Schutzmänner und über Schietgängs, die sich um menschliche Hinterlassenschaften aller Art kümmerten. Noch vor dem Ersten Weltkrieg war das ganze Gebiet um den Meßberg (mittelniederdeutsch für „Mistberg“) neu vermessen und mit großzügigen Blockstrukturen mit Kleinwohnungen beplant.

Hamburgs Citybildung

Die alten Bauten waren abgerissen worden. Der Krieg und vor allem die nachfolgende Inflation ließen den Stadtumbau aber stocken. Kaufleute wie Henry Barens Sloman, die im weltweiten Handel, in seinem Fall mit Salpeter, viel und vor allem inflationsresistentes Geld verdient hatten, waren dem Hamburger Senat hoch willkommene Investoren, die die neuen Grundstücke nun in ganz anderen Dimensionen bebauen sollten als dies zuvor je vorstellbar gewesen war. Nur die vom Senat geforderten Kleinwohnungen wollten sie nicht liefern. Stattdessen setzten sie auf die Verwertung ihrer Investitionen durch Büros. Diese nutzte Sloman zwar zum großen Teil auch selbst, legte damit aber auch den Grundstein für das heutige Kontorhausquartier, das heute zum Welterbe zählt. Damit trug er maßgeblich zum Wandel Hamburgs in eine moderne Büro- und Geschäftsstadt bei.

Bei seiner akribischen Recherchen um das Chilehaus ist Michael Batz nicht nur Menschen begegnet, die ihm viele Geschichten über das Entstehen des Hauses, den Weg seines Bauherrn um die Welt zum wirtschaftlichen Erfolg in Südamerika, die Umstände der Salpetergewinnung, dessen Transport nach Hamburg, die Planung und den Bau des Kontorhauses erzählten. Er hatte auch großes Finderglück. Mit dem umtriebigen Hausmeister des Chilehauses, Werner Rose, fand er lange unbeachtete Pläne, Zeichnungen und Unterlagen von Fritz Höger und ehemaligen Mitbewerbern um den Bau des Hauses. Die Familie Sloman hat ihm zudem ihre Fotoalben und Archive geöffnet. So kann das Buch mit vielen noch unbekannten Fotos des Hauses, insbesondere aus dessen Bauphase aufwarten, die tiefgehenden Aufschluss über Konstruktion und Baudetails geben. Die Pläne zeigen Varianten der Planung von Fritz Höger und Alternativen seiner Kollegen Puls und Richter, die die Planung des Baus auch gerne übernommen hätten. Außerdem hatten sich die Architekturbüros Lundt und Kallmorgen, sowie die Gebrüder Gerson um den Entwurf beworben. Diesem Thema hat sich der Architekturjournalist Gert Kähler im Buch angenommen, der sich schon in seiner Dissertation mit dem Dampfermotiv in der Architektur auseinandergesetzt hat.

Die neu entdeckten Unterlagen bestätigen, dass sich Architekt und Bauherr durchaus mit Wohnungsbau im Chilehaus beschäftigt haben. Die Überbauung von gleich zwei Straßenblöcken und der dazwischen gelegenen Fischertwiete mit einem Großbau war da nur folgerichtig. Gert Kähler schildert die Verhandlungen zwischen Baudirektor Fritz Schumacher und der Stadtverwaltung auf der einen und Bauherr sowie Architekt Fritz Höger auf der anderen Seite anschaulich und spannend. Fast beiläufig erscheint dabei die Entscheidung, das im Osten im spitzen Winkel zulaufende Grundstück auch mit einer dramatisch zugespitzten Hausecke zu bebauen, die das neu entdeckte Material gut erklären kann. Für den Grundrisse und Nutzung des Hauses brachte dies eigentlich keinen großen Gewinn. Erst das von den Architekturfotografen Gebrüder Dransfeld aufgenommen ikonische Foto dieser Ecke machte das Haus weltberühmt. Erweckte es doch den Eindruck als handele es sich hier um einen Schiffsbug, das zudem noch ein großer Vogel zierte – zwar kein Adler, wie an vielen Seeschiffen damals üblich, dafür aber der Andenkondor, den der Bildhauers Richard Kuöhl in Szene gesetzt hatte.

Auch Gert Kähler weiß Kurioses über das Chilehaus zu berichten. So waren sich die Gebrüder Gerson, die später mit Fritz Höger den benachbarten Sprinkenhof und auf dem südlichen Nachbargrundstück das Ballinhaus entwarfen, wohl so sicher, dass sie den Auftrag für das Chilehaus übernehmen könnten, dass sie bereits die dafür zu verwendenden Backsteine kauften. Angesichts der galoppierenden Inflation in dieser Zeit war dies sicher eine gute Geldanlage. Fritz Höger war über diese Festlegung aber wohl nicht sehr glücklich und beschwerte sich über die mindere Qualität der Steine. Sie waren teilweise stark verbrannt und eigentlich nur dritte Wahl. Schließlich wusste er das Material aber doch sehr effektiv einzusetzen. Die Fehlstellen machen heute den besonderen Reiz der Fassade aus.

Geschichten bilden Legenden

Aber die Geschichten um das Chilehaus enden selbstverständlich nicht mit seiner Fertigstellung. Es blieb auch während der Zeit des Nationalsozialismus und der direkten Nachkriegszeit nicht nur das markanteste Gebäude der Stadt, sondern wurde auch zu einem vielfältigen Werbeträger. Seine moderne und flexible Bauweise macht es bis heute unter gewandelten Anforderungen zu einer noch immer einträglichen Immobilie. Es war Standort legendärer Gastronomie und ist Gründungsort einer in Hamburg noch immer weit verbreiteten Drogeriemarktkette. Das Chilehaus ist in Hamburg mittlerweile selbst ein Legende.


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