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(Foto: Maximilian Kürten / Die Betonisten)
Die 2017 als „Freunde des Mainzer Rathauses“ ins Leben gerufene Initiative firmiert seit 2019 als „Die Betonisten“. Die zehn Mitglieder  kümmern sich darum, „Mainzerinnen und Mainzern ihre Denkmale und denkmalwürdigen Bauwerke näher zu bringen sowie Verständnis und Wertschätzung für die Architektur der Nachkriegszeit zu gewinnen“, wie sie es selbst formulieren. Vor kurzem erschien das erste von ihnen selbst herausgegebene Buch, es behandelt die Architektur von Mainz aus der Zeit von 1970 bis 2000. Wir veröffentlichen hier das Vorwort in abgeänderter und erweiterter Form.

Mainz: Wohnanlage auf dem Kästrich; Foto: Rainer Metzendorf Veröffentlichung honorarfrei gestattet im Rahmen einer Buchbesprechung des Buches: Die Betonisten (Hg.) MAINZ 1970 – 2000 Das neue Selbstverständnis in der Architektur morisel Verlag, ISBN: 978-3-943915-69-3

Postmoderne in Mainz: Die neue Wohnanlage auf dem Kästrich aus den 1980er/1990er Jahren. (Foto: Rainer Metzendorf)

Nachdem es beim Wiederaufbau in der unmittelbaren Nachkriegszeit primär um das Schaffen von Wohnraum vor allem in den Mainzer Randgebieten ging, wurde ab dem Ende der 1960er-Jahre der Fokus darauf gelegt, die Attraktivität der Stadt für überregionale Unternehmen und deren Niederlassungen in Mainz zu steigern. Mainz sollte als Landeshaupt-, Universitäts- und Medienstadt weit über die Rhein-Main-Region hinaus anziehend sein.

Gewerbe und Wohnen in den Vororten

Mit den Eingemeindungen von Drais, Ebersheim, Finthen, Hechtsheim, Laubenheim und Marienborn 1969 wuchs das Stadtgebiet und somit auch die bauliche Aktivität. Vor allem in den 1970er-Jahren entstanden viele Neubausiedlungen wie die Hochhäuser in der Elsa-Brändström-Straße in Gonsenheim, das Wohngebiet am Südring in Bretzenheim und die Siedlung Römerquelle in Finthen. Auch in der Innenstadt reagierte man mit Wohnanlagen in der Münsterstraße, am Holzhof und auf dem Kästrich in zeittypischer Architektursprache auf den Bevölkerungszuwachs.
Die rechtsrheinischen Gebiete Amöneburg, Kastel und Kostheim wurden endgültig aufgegeben. Man hatte sie nach dem Zweiten Weltkrieg an das unter amerikanischer Besatzung stehende Wiesbaden abgebgeben. Um den Verlust dieser Gewerbe- und Industriestandorte zu kompensieren, wurde ein Ausbau der Gewerbegebiete in den westlichen und südlichen Vororten forciert. Insbesondere Hechtsheim muss hier erwähnt werden wo in den 1960er Jahren mit der Anbindung an die Autobahn A60 die infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen wurden, damit innerhalb weniger Jahre eine ganze Gewerbestadt aus dem Boden schießen konnte, die bald flächenmäßig mit dem Wohngebiet des Stadtteils konkurrieren sollte.


Das Eingangstor zur Stadt


Mainz: Bonifazius-Türme Foto: Leonie Matt / Die Betonisten Veröffentlichung honorarfrei gestattet im Rahmen einer Buchbesprechung des Buches: Die Betonisten (Hg.) MAINZ 1970 – 2000 Das neue Selbstverständnis in der Architektur morisel Verlag, ISBN: 978-3-943915-69-3

Bonifazius-Türme am Mainzer Bahnhof, 1976/77. (Foto: Leonie Matt / Die Betonisten)


Mainz: Agentur für Arbeit Foto: Rainer Metzendorf Veröffentlichung honorarfrei gestattet im Rahmen einer Buchbesprechung des Buches: Die Betonisten (Hg.) MAINZ 1970 – 2000 Das neue Selbstverständnis in der Architektur morisel Verlag, ISBN: 978-3-943915-69-3

Stadtentwicklung westlich der Bahntrasse: Agentur für Arbeit. (Foto: Rainer Metzendorf)

In der Stadtentwicklung nahm der Hauptbahnhof samt Umfeld eine zentrale Rolle ein. In der Mitte des Vorplatzes, in der zunächst noch ein Rondell angelegt war, entstanden Anfang der 1960er Jahre Parkplatzflächen für den Individualverkehr. Fast vierzig Jahre lang prägten sie einen der wichtigsten Zugänge zur Stadt, bis der Bahnhofsplatz 2000 mit einem weitläufigen Vorplatz und verglasten Unterständen an den Bus- und Straßenbahnhaltestellen neugestaltet wurde (INFRA Architekten). Mit der 2003 fertiggestellten Ladenpassage über die Gleise des Hauptbahnhofs (von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg) sollte neben der Verbindung vom Bahnhofsplatz zur Wallstraße auch eine Einkaufsmöglichkeit nicht nur für Reisende geschaffen werden.

Diese direkte Fußgängerverbindung ist neben der Alicenbrücke zudem ein wichtiger Baustein für die Stadtentwicklung jenseits der Bahntrasse. In den kommenden Jahrzehnten entstanden hier zwei Hotels, Wohnungen und ein großes Geschäftshaus mit Ärztezentrum. Hierzu gehört auch das 1989–92 errichtete Parkhaus City Port mit direktem Anschluss an die querende Hochstraße. Diese wurde zwar erst wegen Geldmangels, dann aufgrund einer veränderten Verkehrsplanung nicht mehr weitergeführt. Dennoch entstanden die vorgesehenen Hochpunkte an diesem Verkehrsknotenpunkt, die seit 1978 in Form der beiden Bonifazius-Türme den Hauptbahnhof in der Stadtsilhouette markieren.


Altstadt im neuen Gewand


Als in den frühen Nachkriegsjahren einige Eigentümer historisch bedeutsame Bauwerke in der Altstadt wiederaufbauten, blieben sie aus politischem Unvermögen und mangelnden Finanzmitteln weitestgehend sich selbst überlassen. Dabei konnten die Zerstörungen des Krieges nicht über den desolaten Vorkriegszustand hinwegtäuschen. Der Zustand der Altstadt bot einer Flächensanierung, wie sie in der Frankfurter Altstadt umgesetzt wurde, beste Argumente. Doch wandte sich die Stadt glücklicherweise erst in den 1970er Jahren ihrer Altstadt zu. Mittlerweile hatte sich ein Umdenken im Umgang mit historischer Bausubstanz vollzogen, das sich im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 und im rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetz von 1978 niederschlug. Seitdem wurde mit einem über Jahrzehnte andauernden Förderprogramm die Altstadt Stück und Stück über Einzelsanierungen modernisiert. Symbolisch für den gesellschaftlichen Willen, die Altstadt zu erhalten, steht der Frankfurter Hof, der als bedeutender Veranstaltungsort der Stadtgeschichte zunehmend verfallen und dem Abriss geweiht war. Erst die Bemühungen einer Bürgerinitiative führten zur Sanierung des neobarocken Vorderhauses (1895) und Neugestaltung des mittlerweile einsturzgefährdeten Saalbaus (1841) durch das Büro Funk und Schröder, Darmstadt. Seit 1991 findet hier wieder ein umfangreiches Kulturprogramm statt.

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Saniert, umgebaut und erweitert: Die Lampenfabrik, Severain Architekten. (Foto: Barbara Pfeifer / Die Betonisten)

Während die nördliche Altstadt primär als Einkaufs- und Geschäftszentrum entwickelt wurde, stellt sich das Stadtgebiet jenseits des Doms heute als fortgeschriebene Altstadt dar. Sanierte und teils rekonstruierte historische Bauwerke wurden durch eine sensible Moderne ergänzt, wie es exemplarisch in der Heringsbrunnengasse zu sehen ist. Die Planungen der autogerechten Stadt, die in Mainz mit der Altstadttangente einen erheblichen Verlust an intakter Bausubstanz zur Folge hatten, wurden allerdings nicht mehr infrage gestellt. Vielmehr entstand entlang der Altstadttangente Architektur in einem großstädtischen Maßstab.

Erst am Ende des Jahrtausends fand die Altstadtsanierung jenseits der Dagobertstraße ihren Abschluss. Hier ist der Umbau der ehemaligen Lampenfabrik (2001) hervorzuheben, die das Büro Severain Architekten durch einen glasüberdachten Innenhof mit dem Neubau entlang der Holzhofstraße verbindet. Die gegenüberliegende Blockrandbebauung des Multiplexkino CineStar (Heinz Laubach, 1998–1999) und des neuen Gebäudekomplexes am Südbahnhof (Severain Architekten, 2006–2009; seitdem „Bahnhof Römisches Theater“) entstanden mit ihrer Material- und Formenvielfalt im typischen Zeitgeist der späten Postmoderne.


Neue Repräsentanz am Rhein


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Neue und kräftige Akzente wurden in den 1990ern zwischen dem Bahnhof Römisches Theater und dem Rhein mit dem Fort Malakoff Park und der Hauptverwaltung der DBCargo (im Bild) gesetzt. (Foto: Barbara Pfeifer / Die Betonisten)

Angrenzend an die Altstadt und das Lauterenviertel liegt mit dem Winterhafen ein Viertel, das sich bis in die 1990er Jahre in einem Dornröschenschlaf zu befinden schien. Erst  nachdem die  Bereitschaftspolizei von ihrem innerstädtischen Areal in die Peripherie im Hechtsheimer Gewerbegebiet gezogen war, konnte sich die Stadt bis zur Bahntrasse entwickeln. An dieser Stelle entstand mit dem Fort Malakoff Park seit 1995 ein Geschäftszentrum samt 5-Sterne-Hotel zum Rhein, das als größtes Bauprojekt in Rheinland-Pfalz galt. Die imposante Einkaufspassage verbindet seitdem die Altstadt mit dem Rheinufer und fungierte als städtebaulicher Katalysator für die weitere Entwicklung des Winterhafens. Die großformatigen Kubaturen des Fort Malakoff Parks und der gegenüberliegenden DB Cargo Hauptverwaltung (INFRA Architekten und RKW Rhode, Kellermann, Wawrowsky, 1998) präsentieren sich formenvielfältig, beinahe avantgardistisch im Stadtraum. Bemerkenswert ist, dass sowohl das Hyatt Regency Hotel mit dem Fort Malakoff (1873) als auch der DB Cargo Verwaltungsbau mit der Kasematte Bastion Franziskus (um 1850) zwei historische Gemäuer in ihre Gebäude integrieren. Es dauerte dann noch ganze zehn weitere Jahre, ehe die vorgesehene Wohnbebauung hinter dem Areal der ehemaligen Garnisonswäscherei (1888), in dem sich seit 1981 das Kulturzentrum (KUZ) befindet, umgesetzt wurde.

Der Fort Malakoff Park mit Hyatt Regency Hotel am Winterhafen stellt den südlichen Abschluss der innerstädtischen Rheinsilhouette dar. Er bildet somit als ein weithin sichtbarer Ausdruck der Mainzer Architekturmoderne des späten 20. Jahrhunderts ein architektonisches Gegengewicht zum Rathaus samt Rheingoldhalle mit Hilton-Hotel und zu den weiter flussabwärts befindlichen Repräsentationsbauten aus kurfürstlichen Zeiten.



2405_AT_Mainz1970-2000Das Buch „Mainz 1970–2000. Das neue Selbstverständnis in der Architektur“ ist die Nachfolgepublikation zu „Mainz 1945–1970. Die verkannte Epoche des Wiederaufbaus“ (hg. von Rainer Metzendorf, 2021).  Die Sammlung verschiedenster Projekte dokumentiert die architektonische Entwicklung der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt.
Die Betonisten (Hg.): Mainz 1970–2000. Das neue Selbstverständnis in der Architektur
24 cm x 29 cm, 112 Seiten mit etwa 150 Abbildungen
ISBN: 978-3-943915-69-3, 26,00 Euro
Morisel Verlag Asbach