Ressourcen sind ein zentraler Begriff in der Diskussion über die Zukunft, nicht nur des Bauens. Wir gehen nicht gerade pfleglich mit ihnen um, weder mit den materiellen noch mit den immateriellen. Das sollte sich schleunigst ändern. Dafür kann es hilfreich sein, Ressource umfassend zu verstehen. Es kann sogar sinnvoll sein, etwas als Ressource zu begreifen, das sich erst rückblickend als solche erweist.
Auf die Frage, wie Deutschland dastehe, antwortete 2020 angesichts der gerade frisch ausgebrochenen Pandemie der Kultur- und Medienwissenschafter Joseph Vogl: „Als Glücksfall einer reichen Volkswirtschaft, die auf sozialstaatliche Restposten, auf hohe Kreditwürdigkeit sowie auf Routinen in parteiübergreifender Kompromissbildung zurückgreifen kann. Nicht der schlechteste Standort für einen Krankheitsfall im Augenblick.“ (1) Diese Äußerung des einer beschönigenden Sichtweise unverdächtigen Joseph Vogl ist keine, die lediglich auf die Sonderumstände der Pandemie passt. Sie ist auch aufschlussreich für andere Krisenlagen. Inzwischen ist es ja schon fast naiv, nur von einer Krise zu sprechen – die Lage ist mit multipler Krise wohl treffender beschrieben. Und die Frage, wie wir dastehen, stellt sich damit noch dringender als 2020: Worauf können wir bauen, um mit den Krisen umzugehen? Oder auch: Welche Ressourcen haben wir eigentlich?
Endlich, erneuerbar, natürlich …
Wenn von Ressourcen die Rede ist, wird oft und reflexartig der Komplex von Energie und Klima unterstellt. Und nicht erst in den letzten Jahren. 2008 erschien der zweite Band zur IBA Hamburg unter dem Schwerpunkt „Ressourcen“. Im Klappentext heißt es, der Band „widmet sich der Stadt im Klimawandel“. Das Vorwort des damaligen IBA-Geschäftsführers Uli Hellweg verwendet das Wort Ressource ganze zwei Mal, „Klima“ als eigenes Wort oder Wortbestandteil hingegen über 20 Mal. (2) Das ist in gewisser Weise naheliegend, denn der Verbrauch von Ressourcen, vor allem der von fossilen Energieträgern, hat dazu geführt, dass sich die Aussichten für ein Leben auf diesem Planeten seit langem eintrüben und zunehmend verdüstern.
Aber darin erschöpft sich das Thema der Ressourcen nicht. Eine Ressource ist erst einmal „Mittel, Gegebenheit wie auch Merkmal bzw. Eigenschaft, um Ziele zu verfolgen, Anforderungen zu bewältigen, spezifische Handlungen zu tätigen oder einen Vorgang zielgerecht ablaufen zu lassen“, wie uns Wikipedia wissen lässt. (3) Es gibt ein betriebs- und volkswirtschaftliches Verständnis von Ressource, ein psychologisches, soziologisches, psychosoziales. Ressourcen können natürlich, erneuerbar oder erschöpflich sein. Im Wirtschaftslexion werden sie als „Bezeichnung für Produktionsfaktoren“ oder „Mittel, die in die Produktion von Gütern und Dienstleistungen eingehen“ definiert. (4) Das Umweltbundesamt spricht von Rohstoffen als Ressourcen. (5) Der Landeskongress der Architektenkammer Baden-Württemberg steht 2025 unter dem Titel „Ressourcenwende“. In der Ankündigung heißt es: „Die Fakten sind hinlänglich bekannt: Natürliche Ressourcen sind endlich – und werden bereits heute enorm übernutzt. Die damit verbundenen Folgen wie Klimawandel, Bodendegradierung oder Biodiversitätsverlust sind gravierend. Es gilt, zu handeln! Ein intelligenter und maßvoller Umgang mit natürlichen Ressourcen ist eine zentrale Herausforderung unserer Gesellschaft und somit auch für den Bausektor.“
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Aber gerade wenn es um Architektur geht, ist es naheliegend, auf einen erweiterten Ressourcenbegriff zurückzugreifen. Auch die Arbeit, die Architekt:innen erbringen, ließe sich als Ressource verstehen. Und dann ist da ja noch der Sinologe François Jullien, der dazu rät, Kultur als Ressource zu verstehen, da Kultur sich dadurch auszeichne, „dass sie mutiert, dass sie sich permanent verändert.“ (6) Ressource, so könnte man es an dieser Stelle zusammenfassen, ist ein Begriff, der die Mittel zur Lösung eines Problems oder zur Bearbeiten einer Aufgabe so beschreibt, dass er auf die Aufgabe angewendet werden kann. Es ist also wie bei den „bösartigen Problemen“ von Horst Rittel: Die Art, wie ich eine Aufgabe verstehe, gibt den Rahmen für die Lösung vor. (7) Je nach dem, wie wir – um auf den Einstieg zurückzukommen – eine Krise beschreiben und verstehen, werden wir als Ressource das erkennen, was wir brauchen, um die Krise zu bewältigen und einen Umgang mit ihr zu finden.
Der Hammer, der Nagel und die Kreativität
Und da beginnt es spannend zu werden. Wird ein Problem als eines beschrieben, das sich technisch lösen lässt, brauchen wir als Ressourcen das entsprechende Wissen, Technologie, Maschinen, Energie, technische Infrastruktur. Wenn wir das Problem darin sehen, dass der Zugang zu Bildung zu sehr von der Herkunft abhängt, brauchen wir ein anderes Wissen, dann verstehen wir politische Strukturen, verstehen wir Bildung überhaupt als eine Ressource, die zu Gerechtigkeit führen kann. Wenn wir das Problem darin sehen, dass zuviel Energie für den Bau von Gebäuden aufgewendet wird, dann ist der Gebäudebestand eine Ressource, weil die Energie, die für deren Bau aufgewendet werden kann, nicht nochmal investiert werden muss, wenn Bestehendes weiter genutzt wird. Und nun wird es noch einmal interessanter. Denn spätestens hier beginnen Mittel und Zweck sich in einander zu verzahnen.
- Alle Bilder: Christian Holl
Bekanntlich ist für den, der einen Hammer besitzt, jedes Problem ein Nagel. Man kann darin einen Mangel sehen. Wer sogar als Politiker meint, dass sich etwa Probleme der zukünftigen Mobilität mit Technik lösen lassen müssten, der nimmt genau das aus dem Spiel, was das Politische in dieser Frage ist: die Verhandlung über Zugänge zu Mobilität, die der Steuerung, der ein politischer Wille zugrunde liegen sollte, die Entscheidung, die weiter reicht als kurzfristige wirtschaftliche Interessen. Man kann die Geschichte mit Hammer und Nagel aber auch konstruktiv wenden: Wenn wir bestimmte Dinge dezidiert als Ressourcen verstehen, gewinnen wir einen Zugang dazu, wie wir sie nutzen können. Etwas als Ressource zu begreifen, könnte man also auch als Kreativität sehen: Was den einen unbedeutend scheint, können andere verwerten. Abfall, Haare, Pflanzenfasern, Daten. Zu Ressourcen werden sie erst dadurch, dass und wie ich sie verwende. Sie sind es nicht von vornherein. Man kann den Boden als eine Ressource verstehen, um Lebensmittel zu produzieren oder um darauf Gebäude zu errichten. Wenn wir nun aber den Boden als Hammer so verstehen, dass er uns zwingt, auch in anderen Problemen einen Nagel zu sehen, dann heißt das, dass wir im Umgang mit dem Boden eine wesentliche Ursache für die Ungerechtigkeiten erkennen können, die wir nur unzulänglich bearbeiten, solange wir den Boden eben auch in Fragen bezahlbaren Wohnraums etwa nicht als Ressource verstehen.
Zur Ressource werden
Das ist der Zugang von Jullien: Indem er Kultur als Ressource beschreibt, erklärt er nicht nur deren Entwicklung und Wirkung, sondern öffnet sie für einen Umgang mit ihr, der anders ist, als wenn sie als Element der Identität begriffen wird. Das hat zum einen die Konsequenz, dass Kultur nur dann zu einer Ressource wird, wenn sie genutzt wird. Musik ist erst Ressource, wenn sie gespielt und gehört wird. Und sie wird erst dadurch wertvoll, dass ich sie teile. Aber nicht nur das – und das ist der eigentliche Kniff von Jullien: Ressource ist dann nicht mehr Mittel für einen bereits bekannten Zweck, sondern Voraussetzung dafür, dass aus ihre etwas Unbekanntes, Unvorhergesehenes entstehen kann. Ressourcen verlangten „seitens der Empfänger oder Erben nicht nur eine Entgegennahme (Aneignung und Bewahrung), sie rufen denjenigen, der sich für sie interessiert, vielmehr dazu auf, sie zu reinvestieren, sie dadurch fruchtbar zu machen und ihnen eine neue Zukunft zu eröffnen –eine Zukunft, die es erst noch zu entdecken gilt.“ (8) Dann sind auch Experimentierfreude, das Spiel, Forschung jenseits des Verwertungsdrucks Ressourcen, wenn wir den Mut haben, sie dazu werden lassen: das heißt, wenn wir den Mut haben, aus ihnen Schlüsse zu ziehen und es gestatten, dass sich die Ergebnisse verstetigen. Etwa beim Bauen.
Hier sind wir weit weg von den materiellen Ressourcen, die wir als Mittel zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen verwenden. Aber erst so bekommen Ideen, sozialer Zusammenhalt, politische Kultur, Alltag, Diskurs eine besondere Qualität. Sie sind Ressourcen, die wir pflegen müssen, um auf sie zugreifen zu können, und die wir pflegen indem wir sie nutzen oder anwenden. Das gilt für die Häuser genauso wie für die Prozesse, die das Miteinander fördern. Ressourcen helfen uns, unser Zusammenleben zu gestalten. Für diese Ressourcen gilt das Gleiche wie für die materiellen Ressourcen: Sie machen resilient, vor allem dann, wenn es eine Auswahl an Ressourcen gibt, auf die zurückgegriffen werden kann. Die Pandemie hatte – siehe Vogl – gezeigt, dass etwa Routinen politischer Kompromissfindung im Falle einer unerwartet aufgetretenen Krise eine Ressource sind. Bedauerlicherweise sind wir gerade dabei, auch hier fahrlässig Ressourcen zu verschwenden. Und zwar nicht, in dem wir sie zu viel nutzen, sondern weil wir viel zu wenig Gebrauch von ihnen machen, weil wir noch nicht verstanden oder schon wieder vergessen haben, dass sie wertvolle Ressourcen sind.