„Urbane Gebiete“? Mit dieser neuen – von Lobbyisten der Bauwirtschaft mutmaßlich begrüßten – Gebietskategorie in der Baunutzungsverordnung glaubt die Bundesregierung der vermeintlichen Wohnungsnot entgegenwirken zu können. Sie fördert damit jedoch auch die „Aufrüstung“ der Architektur und ignoriert die Belastungsgrenzen für menschliches Wohlbefinden. Unbeachtet bleibt deswegen leider auch, warum Menschen in Städte und Häuser ziehen müssen, in die sie nicht wollen.
Nein, Deutschland hat keine Wohnungsnot. Wie sollte es, wenn doch die Bevölkerung schrumpft und schrumpft? Das oberflächliche Argument lautet, dass es regional eben Unterschiede zwischen – sagen wir: München und Posemuckel gebe. Warum gibt es sie? Es stimmt natürlich: München hat eine Wohnungsnot, Hamburg, Stuttgart und andere Städte kennen das Problem auch. Aber wer will oder muss oder soll in solche teuren Städte warum ziehen? Bemerkenswert ist ja, dass Menschen, kaum sind sie in der Stadt, Balkone und Dachterrassen mit allerlei Grünzeug umgeben und dass dieses urban gardening dann als Errungenschaft einer urbanen Avantgarde zur „Bewegung“ geadelt wird.
„Familienhaus Lebenstraum“ – Immobilienabieter breiten ein Panorama des Wohnens in Deutschland aus, das nicht nur die Preisentwicklung, sondern auch den Zustand der Bausubstanz spiegelt.
Zeitschriften, die so klangvolle Namen wie „Landlust“, „Landliebe“ oder „Landidyll“ tragen, erreichen doppelt- bis dreifache Auflagen wie das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL und werden in erster Linie von Städtern gelesen und geblättert, deren Sehnsuchtsorte offenbar nicht im hochverdichteten Wohnblock, nicht in „urban lebendiger Umgebung“ zu finden sind. Millionen Leser/innen möchten die Städte offenbar renaturieren, ohne sich allerdings über die Defizite des ländlichen Lebens und dessen fiktiven Charakter Gedanken zu machen. Aber sie lernen „Gärtner-Latein“. Abstrus ist auch, dass neue hochverdichtete städtische Wohnquartiere „Luisengärten“, „In den Winzergärten“, „Rodenstock-Garten“ und ähnlich heißen.
Keineswegs alle wollen in die Stadt
De facto ließe sich allüberall in unserer zum Glück föderalen Republik passabel leben, wenn nicht mehr und mehr Bahnlinien stillgelegt und Bahnhöfe aufgegeben worden wären. Wenn statt absurder Investitionen in Autobahnen rechtzeitig und flächendeckend Glasfaserkabel für hochleistungsfähige Datenübertragungsnetze gelegt worden wären, denn verflixt viel Arbeit der Dienstleistungsgesellschaft könnte ortsunabhängig geleistet werden. Würde die dezentrale Energiegewinnung kräftig gefördert, ließe sich ein weiterer Reiz für das Dasein außerhalb von teuren Ballungszentren und damit zur Entlastung derselben schaffen. 1)
1) ZumAnsatz der IBA Thüringen siehe Christian Holl > hier
Wie wenig in Deutschland insgesamt investiert wird, beklagen Wirtschaftsfachleute immer wieder. Öffentliche Investitionen machen dabei gerade mal rund 10 Prozent der Gesamtinvestitionen aus. Deswegen kommt es darauf an, Privatinvestionen politisch so zu steuern, dass Interessen der gesamten Gesellschaft berücksichtigt werden. In diesem Sinn steuert „der Markt“ – wir wissen es alle seit langem – gar nichts.
Urbanität?
Und damit zurück zum „urbanen Quartier“, mit dem wieder mal ein neues Baukonjunkturprogramm aufgelegt, aber zu keiner strukturellen Änderung beigetragen wird. Die Häuser aufstocken, die laut Gesetz zu ertragende Dezibelzahl erhöhen, Dreifach-Lärmschutzfenster einfordern: Darin leuchtet eine erhebliche, bauliche Aufrüstung auf, die Geld in die Kassen einschlägiger, von Lobbyisten glänzend vertretener Unternehmen spült, aber zum Beispiel nicht im Auge hat, dass Menschen nicht gezwungen sein wollen, in die Städte hinter Dreifachfenster zu ziehen.
Es spricht nichts dagegen, manche Verordnungen etwas zu lockern oder sogar aufzugeben, Mischnutzungen zuzulassen, hier und da nachzuverdichten. Aber im „urbanen Gebiet“ nach BauNVO geht es auch um höhere Belastungen für Menschen, die sich bessere Wohnlagen schlichtweg nicht erlauben können. Gerade Lärm ist allüberall eine Tortur für Menschen, und auch da sollen Grenzen fallen. Mit guten Gründen wird auch der § 13 b, der eine „Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren“ vorsieht, unter anderem von der BAK kritisiert. Gerade wegen seiner Befristung bis 2019 ist ein horrender Flächenverbrauch zu befürchten, der mühsam erkämpfte Erfolge im Schonen der Umwelt zunichte macht. Der Ansatz beim „urbanen Gebiet“ greift deswegen zu kurz – und Architekten hinterfragen ihn viel zu wenig. Weil sie bauen wollen? So geht es in der jüngsten Initiative des BMUB, unterstützt vom BDA, beispielsweise um „Neue Standards“, die in „Zehn Thesen zum Wohnen“ gefasst und sowohl in einer Publikation als auch in einer Ausstellung im DAZ erklärt sind.
Darin tönt der Ruf nach einer „Qualitätsoffensive“, allerdings dezidiert nur „im städtischen Kontext“. Innerhalb dieses Kontexts mögen manche der Thesen vernünftig zu diskutieren sein – und manche Thesen auch über den urbanen Kontext hinaus. Aber am Kern des Problems rütteln sie nicht.
Stadt und Land, Metabolismus
Den Wechselwirkungen von Stadt und Land widmete sich derweil die Bundesstiftung Baukultur in ihrem diesjährigen Bericht, aus dem die Grafik am Beginn dieses Beitrags stammt. Unter anderem fordert die Stiftung eine „aktive Bodenpolitik“– Flächen- und auch Leerstandsmanagement, natürlich Ortsbildpflege, Gestaltungsbeiräte und vieles mehr. Baukultur halt, für die es in ländlichen Regionen durchaus gute Beispiele gibt. Es geht gewiss nicht darum, vermeintliche Urbanität gegen vermeintliche Ländlichkeit auszuspielen, sondern in einem ganzheitlichen Ansatz – der seit einiger Zeit in dem noch weiter reichenden Begriff „urbaner Metabolismus“ aufgefangen wird – allüberall gute, zumindest passable Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Genau dafür zu sorgen, ist die Aufgabe der Politik, die Einhalt gebieten muss, wo private Investoren in eine erkennbar falsche, weil gesamtgesellschaftlich verantwortungslose Richtung rennen. Wärmedämmung, Dreifachverglasung und dergleichen werden wohlfeil im Sinne der Energieeinsparung und jetzt des „urbanen Quartiers“ propagiert. Offene Fenster zu jeder Jahreszeit? Schon ist man ein Klimaschädling! Rauslaufen und an die frische Luft gehen? Gut, aber frische Luft einzufordern ist in den Städten zynisch, genauso wie die erwähnte Lärmtoleranzerhöhung um 3 bis 5 Dezibel. Der Begriff „Stille“ taucht im Baukultur Bericht 2016/17, „Stadt und Land“, leider nicht auf.