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Lichtspiele

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Marktgeschrei (29) | Überleben der Innenstädte? Was bewirken die Corona-Regeln, die Menschen einander in direkter Begegnung entfremden? Und gehören die Kinos noch zu den Begegnungsräumen? Als Illusionsmaschine zwischen Fuzzy und Multiplex hat uns das Kino all die Jahre verlässlich begleitet. Seine Architektur wandelte sich äußerlich vom innerstädtischen Theater zum Bunker am Stadtrand, drinnen bietet es Wellness für Auge und Ohr mit Popcorn-Futter.

oben: Ein Kinogebäude alten Typs. Es war als ein Stück Stadt geplant und den Konturen des öffentlichen Raums angepasst. (Bild: Ursula Baus)

Kinosaal in Aue, 1955 (Bild: Wikimedia free)

Kinosaal in Aue, 1955 (Bild: Wikimedia free)

Kino? Der Besuch von Lichtspielen hatte hier und da keinen guten Ruf. Dort lungerten Halbstarke mit Mopeds herum und schnippten ihre Kippen auf die Straße. Auch die Filme blieben ihnen fremd: Hollywood-Schauspieler, alle mehrfach geschieden, die Frauen brachten sich irgendwann um, und die Männer stürzten mit dem Flugzeug ab. Bergmans „Schweigen“ hatte niemand gesehen, aber jeder wusste, das war Schweinkram. Da hielt man sich besser fern.
Dabei gab es in unserer Kleinstadt sogar zwei Kinos. Meine Schulfreunde kannten sie bestens, sie bekamen sonntags ein paar Groschen und durften sich Fuzzy-Filme ansehen. Ich musste in der Zeit mit meinen Eltern spazieren gehen. Kino kannte ich nur durch unseren Kaplan, er zeigte im Jugendraum Missions-Filme aus Afrika. Sie waren in Schwarz-Weiß gedreht. Erst mit dem Schatz im Silbersee durfte ich in ein richtiges Kino.

Hannover

Die „Hochhaus-Lichtspiele“ befinden sich im 10. Stock unter der Kuppel des Anzeiger-Hochhauses in Hannover (Bild: Wikimedia common free, 2009)

Lichter der Großstadt

Damals florierten die Lichtspielhäuser, allein ihre frivole Namen, die in leuchtenden Neon-Schlieren ein großstädtisches Versprechen auf die Fassaden malten: Scala, Gloria, Capitol, Odeon, Colosseum, Roxy, Tivoli… Für Architekten gab es Gelegenheit, das zeitgenössische Nierentischrepertoire auszukosten, was ein Glück, wenn sich mit Treppen, Balkonen und Galerien auch für die Zuschauer eine schwingende Kulisse bauen ließ. Unerreicht blieben dennoch die Ende der 20er Jahre entstandenen großen Architekturen, das Universum von Erich Mendelsohn in Berlin, der Titania-Palast von Schöffler, Schlönbach & Jacobi oder das Babylon von Hans Poelzig.

Kino, Autos, Autokinos

Dass es mit den Kinos bergab ging, daran war größtenteils die Entwicklung des Fernsehens schuld. Die Häuser, die schließen mussten, wurden zu Discotheken oder Einkaufsmärkten umgebaut. Man kann sie noch an den behelfsmäßig zugemauerten Fluchttüren erkennen. Die Theater, die weiter existierten, wurden in mehrere kleine Säle zerlegt. Oder als Kinos für Erwachsenenfilme weitergeführt. Dort kaufte man für acht Mark eine Cola und ein Paket Tempos, dazu für zwei Mark als Zugabe eine Eintrittskarte.

Innenstadt-tauglich sind die Riesenkinos kaum. (Bild: Ursula Baus)

Innenstadt-tauglich sind die Riesenkinos kaum. (Bild: Ursula Baus)

Ähnlich wie der Einzelhandel werden die kleinen Kinos seit Jahren und immer mehr von den Grossisten am Stadtrand bedroht. Dort entstehen Kinocenter als anspruchslose Bunkerbauten. Sie heißen irgendwas mit Multiplex, das klingt wie eine hartnäckige Erkältung. Drinnen fläzt man sich auf eine breite Massageliege, Bild, Ton und Licht umspülen einen, Getränke und Knabberzeug stecken in Reichweite, mehr Wellness geht nicht. In den Filmen ist dank Computeranimation alles möglich. Sie bemühen sich nicht mehr, die Übel der Welt mit einfachen Mitteln nachzubilden, sondern denkbare Katastrophen realistisch vorwegzunehmen.

Und jüngst haben – auch das sei Corona geklagt – die Autokinos Konjunktur. Man sitzt in keimfreien Autokapseln, wird nicht angehustet, bleibt für sich. Wenn man sowieso nichts von seinen Flimfreunden mitbekommt, kann man gleich zuhause bleiben und wer weiß welche Streamings gucken.