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Love forever

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Jürgen Tietz (Hrsg.): TXL. Berlin Tegel Airport. Zum Abschied vom Flughafen Tegel TXL: Die definitive Baumonografie der Berliner Architekturikone. 248 Seiten, 112 farbige und 120 schwarzweiße Abbildungen, 23.5 x 31.5 cm, ISBN 978-3-03860-202-6

Jürgen Tietz (Hrsg.): TXL. Berlin Tegel Airport. Zum Abschied vom Flughafen Tegel TXL: Die definitive Baumonografie der Berliner Architekturikone.
248 Seiten, 112 farbige und 120 schwarzweiße Abbildungen, 23,5 x 31,5 cm, Park Books, Zürich, 2020, 38 Euro. ISBN 978-3-03860-202-6

TXL: Die Tage des Flughafens in Berlin-Tegel sind gezählt. 47 Jahre nach der Eröffnung 1974 markiert der Flughafen Anfang und Ende einer Epoche, die politisch, ökonomisch und mobilitätshistorisch einzigartig ist. Nun vergegenwärtigt ein wunderbares Buch dieses Bauwerk, das von heiterer, der Welt zugewandten Aufbruchstimmung zeugte.


Damals, 1965, als der Wettbewerb für den Bau des TXL ausgelobt worden ist, kannte man für den Flugverkehr keine Wachstumsgrenzen. Vielmehr stand die Welt offen, jedermann sollte reisen und fliegen können, wie er/ sie’s wollte. Die jährliche Abfertigungszahl stieg folgerichtig von damals 2,5 auf nunmehr 20 Millionen – was der TXL verkraftete. Jürgen Tietz offenbart mit einem bestechend klaren Buchkonzept, was die damalige Sensation kennzeichnet. Ausschließlich mit Fotografien aus der Anfangszeit bestückt und in einleitender Bildstrecke inszeniert, springt ins Auge, wie es seinerzeit zuging: heiter, nicht knall-, sondern poppig bunt, unkonventionell, unbeschwert. Dass des Guten (am Fliegen) zu viel werden könnte, hatte kaum jemand im Sinn, obwohl 1973 – ein Jahr vor der Eröffnungs des TXL – die Grenzen des Wachstums vom Club of Rome epochal thematisiert waren. Aber heute? Eben mal für ein paar Euro von da nach dort jetten: Das lässt Flugverkehr mit Lärm und Dreck auch zu einer immensen Umweltbelastung wachsen.

Wie alle Abbildungen im Buch stammen auch die Pläne aus der Entstehungszeit des Flughafens.

Wie alle Abbildungen im Buch stammen auch die Pläne aus der Entstehungszeit des Flughafens.

Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan in ihrem Büro 1978

Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan in ihrem Büro 1978

Dem Autor gelingt ein fantastischer Zeitsprung zurück in die 1970er Jahre. Die Faszination des Flughafens Tegel beginnt schon auf dem Titel, auf dem mit den gleichschenkligen Dreiecken und den modularen Sechsecken der planerische Coup der Geometrie zugeordnet wird. Kurze Wege, variantenreiche Um- und Ausbaumöglichkeiten sind dieser geometrischen Grundfigur zu danken, daneben wirkt der rechte Winkel in seiner heutigen Dominanz geradezu ärmlich. Unfassbar ist heute, dass nur neun Jahre nach dem Wettbewerb, den die damals völlig unerfahrenen Architekten Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan gewonnen hatten, der Flughafen eingeweiht werden konnte. Meinhard von Gerkan hatte, woran der Autor in seiner sourverän und kenntnisreich geschriebenen Erläuterung erinnert, bei Friedrich Wilhelm Kraemer bereits eine Diplomarbeit zum Thema Flughafen mit ebenjener Entwurfsgeometrie absolviert: für Hannover-Langenhagen. Den Wettbewerb, zu dem 68 Arbeiten eingingen, gewannen von Gerkan und Marg mit Klaus Nickels, bereits 1969 folgte die Grundsteinlegung.

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Tegel inside (Bild aus dem besprochenen Band)

Jürgen Tietz bettet den TXL in die internationale Flughafen-, die Berliner Bau- und die nationale Architekturgeschichte ein. Er würdigt die Konsequenz, mit der das Dreieck zum Sechseck im Grundriss, zum Modul im Ausbau von den Fliesen bis zum Mobiliar oder Wegeleitsystem genutzt wird – und Tegel rückblickend wie ein Gesamtkunstwerk wirken lässt. Gewiss: München trumpfte 1972 mit den schwungsvollen Olympiazelten und einem weniger poppigen als vielmehr sehr eleganten Piktogrammsystem von Otl Aicher auf. Doch bleibt festzuhalten, dass die Architektur dieser Jahre sehr individuelle Ausdrucks- und Ortsbezogenheit prägten. Marc Augés These, die Orte des Reisens seien „Archetypen der Nichte-Orte einer Hypermoderne“ treffe für Orte wie Tegel oder Saarinens TWA-Terminal in New York nicht zu (Seite 77).

Den zweiten Teil des Buchs füllt ein ausgiebiges Protokoll des Gesprächs, das der Autor mit Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg geführt hat. Außerdem dokumentieren Baustellenfotos und Werkpläne die Genese des Bauwerks, das inzwischen leider seiner Funktion entledigt ist. Im Vergleich mit dem TXL wirk der BER, den gmp entworfen haben, ungeachtet seiner politbürokratisch desaströsen Entstehungsgeschichte, tatsächlich gediegen bis biedermeierlich. Um so wichtiger ist dieses Buch: Wer den Flughafen in Tegel liebte, wer ihn als Ort seines Berufs- und Privatreiselebens kannte, wird es wie einen Schatz hüten.