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Ein 22 Jahre alter Entwurf und ein Lehrstück dafür, wie er nicht realisiert werden sollte: Es spricht zwar alles dafür, dass der von gmp entworfene Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt am 31. Oktober in Betrieb geht – aber der Bauprozess bleibt ein Desaster. In erster Linie dürfte jetzt einem erfahrenen Fuchs im Polit- und Planungsgeschehen zu danken sein, dass der BER fertig geworden ist: Engelbert Lütke Daldrup, dem man neue Aufgaben wünscht.


Lageplan; zwischen Start- und Landebahn steht der Terminal, östlich davon entsteht die Aiport City. (© gmp architekten )

Lageplan; zwischen Start- und Landebahn steht das Terminal, östlich davon entsteht die Aiport City. (© gmp architekten )

Meinhard von Gerkans Skizze sieht bestechend einfach aus: Auf der einen Terminal-Seite kommt man an, gibt das Gepäck ab, geht durch Kontrollen – und steigt auf der anderen Seite ins Flugzeug. Dass es 22 Jahre, Amtszeiten von drei regierenden Bürgermeistern, drei Ministerpräsidenten und vier Flughafenchefs dauerte, bis der BER wurde, was er sollte, wirft keine Fragen üblicher Architekturkritik auf. Vielmehr offenbaren sich das Unberechenbare deutscher Entscheidungsstrukturen, Gesetzes- und Richtliniendschungel sowie die Verhaltensweisen einzelner Baudisziplinen und -Gewerke.

Flughafen Berlin Brandenburg, Willy Brandt (BER)

Flughafen Berlin Brandenburg, Willy Brandt (BER); im Bildhintergrund der Terminal, vorne die Zufahrten und das Terrain der künftigen Airport City (Bild: Marcus Bredt)

"Maßgebend für den gesamten Entwurf ist ein horizontales Grundraster von 6,25 Metern. Es ist aus der Größe eines Flugzeugs der Kategorie C, unter die eine Boeing 737 oder der Airbus A 320 fallen, und seinem mittleren Platzbedarf auf der Vorfeldposition abgeleitet. Multipliziert mit 7 ergibt sich ein Großmodul von 43,75 Metern. Neben 1,25 Meter als Grundeinheit lässt sich dieses Raster bis auf 31,25 Zentimeter herunterbrechen."

„Maßgebend für den gesamten Entwurf ist ein horizontales Grundraster von 6,25 Metern. Es ist aus der Größe eines Flugzeugs der Kategorie C, unter die eine Boeing 737 oder der Airbus A 320 fallen, und seinem mittleren Platzbedarf auf der Vorfeldposition abgeleitet. Multipliziert mit 7 ergibt sich ein Großmodul von 43,75 Metern. Neben 1,25 Meter als Grundeinheit lässt sich dieses Raster bis auf 31,25 Zentimeter herunterbrechen.“

gmp haben 1975 in Tegel mit dem Flughafenbau angefangen, inzwischen mit etwa fünf weiteren Flughäfen reichlich Erfahrung gesammelt – und diese mündete jetzt in Berlin Schönefeld in einem durch und durch ins Raster gedrängten Entwurf für den nach Willy Brandt benannten Flughafen. Das Quadrat dominiert vom Grundriss über das Tragwerk und die Fassaden und zurück zum Fußbodenbelag die gesamte Architektur. Falk Jaeger hatte gleich den Bogen zu Mies und Schinkel geschlagen 1) – doch waren Schinkel und Mies fasziniert von den industriellen Neuerungsintentionen beim wohlproportionierten Raster, die ihre Zeitgenossen nicht kannten. Im Flughafen Berlin Schönefeld bedrückt dagegen die gnadenlos durchgezogene Modularität, an der die Gegenwartsarchitektur sattsam krankt.

TWA-Terminal am New Yorker Flughafen JFK, 1962 von Eero Saarinen (Bild: free wiki, James Vaughan)

TWA-Terminal am New Yorker Flughafen JFK, 1962 von Eero Saarinen (Bild: free wiki, James Vaughan)

Sie verhindert alles, was man sich im Gedenken an Roland Barthes unbefangen als Poesie des Raumes und an konkreter Flughafen-Geschichte ins Gedächtnis rufen möchte: Etwa Eero Saarinens großartigen TWA-Terminal in New York oder Paul Andreus Flughafen Charles de Gaulle in Paris (1968-74), in dem Rollbahnen zur dreidimensionalen Bewegung durch den Raum animieren. 

Haupthalle, Blickrichtung Seitenflügel (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Haupthalle, Blickrichtung Seitenflügel (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Schimmerlose Mitmischer

Kaum etwas davon in Berlin Schönefeld, und Meinhard von Gerkan, der den Rundgang begleitet, sagt dazu unmissverständlich, dass ein Flughafen heute primär ein robustes Funktionsgebäude sein sollte. Und er hat recht damit, denkt man an alles, was an baubürokratisch komplizierten, bautechnisch überkandidelten und sicherheitstechnisch nahezu absurden Voraussetzungen hierzulande erfüllt sein muss. Hinzu kommen planerisch relevante, aber kompetenzlos von wer-weiß-wem erhobene Ansprüche, die beim BER mit Änderungen während des Bauens verbunden gewesen sind. Unter anderem wird man deswegen die Rolle von Klaus Wowereit beleuchten müssen. Und auch die Rolle jener Gremien, die 2012 dafür sorgten, gmp aus der Planungsequipe rauszuwerfen. Wie schimmerlos muss man sein, um die Einzigen, die das Boot kennen, über Bord zu werfen?

 

Haupthalle mit Abfertigungsschaltern (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Haupthalle mit Abfertigungsschaltern (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Vor diesem Hintergrund kann man sich mit einer 1998 entworfenen, etwas bieder anmutenden Architektur zufrieden geben, die sich in rechteckigen Räumen, omnipräsenten Jurakalk-Böden und Flächen aus französischem Nussbaumfurnier erschöpft und in einem Gestaltungshandbuch festgeschrieben ist.

Aus der Totalität des rechten Winkels scheren lediglich die Pendelstützen aus, die das Hauptdach tragen und denen Schlaich Bergermann und Partner – langjährige Tragwerkspartner von gmp – als Hommage an den Kraftfluss eine leicht konvexe Kontur abgerungen haben.
Dem ganzheitlich unspektakulären, soliden und übersichtlichen Gefüge des BER sieht man im finalen Zustand zum Glück nicht an, welche Zerwürfnisse und Kalamitäten in ihrem Entstehungsprozess über Jahrzehnte zu verkraften waren – und mehr kann man unter solchen Umständen von Architektur kaum erwarten.

Schnitt in der Flughafenachse zwischen Landseite und Flugfeld ( gmp architekten)

Schnitt in der Flughafenachse zwischen Flugfeld und Landseite (© gmp architekten)

Funktionalismus pur

Die Deutsche Bahn fährt auf der untersten Ebene in den Tiefbahnhof hinein. Mit Rolltreppen und Aufzügen erreicht man vom Bahnsteig aus bequem und direkt die Verteilerebenen. Die erste davon, niedrig wie ein Sparkassenfoyer, befindet sich auf der Höhe der zukünftigen Airport City. Den Masterplan für dieses Baufeld wird Astoc planen.
Die Hauptebene mit rund 25 Meter Raumhöhe dient dem
Einchecken und der Gepäckabfertigung und bietet Raum für Einzelhandel und Gastronomie. Die Orientierung ist in dem relativ klein wirkenden Terminal gut, auch die im Grundraster angefügten Seitenflügel erschließen sich rasch.
Das Beschriftungssystem – recht kleine, weiße Schrift und Symbole auf burgunderrot-braunem Grund – passt zur gediegenen Architektur, die nur insofern enttäuscht, als dass sie vom Fliegen so wenig erzählt und auch eine Außenstelle des KaDeWe sein könnte. Allerdings bieten die vollverglasten Fassaden Ausblicke zur Verortung zwischen Start- und Landebahnen, die hoffentlich offen bleiben und nicht durch die andernorts obligatorischen Werbeorgien verstellt werden. Man erfährt, Mercedes habe alleiniges Werberecht im Hauptterminal – und damit seien andere zugunsten allgemeiner Übersichtlichkeit ausgeschlossen.

Eingangsebene der (künftigen) Aiport City (Bild: Ursula Baus)

Eingangsebene der (künftigen) Aiport City (Bild: Ursula Baus)

Sektorale Selbstoptimierung

Rund 17.500 technische Mängel waren bei einer niederschmetternden Bestandsaufnahme aufgelistet worden, Gerüchte um Abriss und Neubau des Flughafens machten die Runde, und die Vergleiche mit Stuttgart 21 rückten den BER in die Reihe missglückter Großprojekte, die den Steuerzahler Milliarde um Milliarde kosten und in ihrer infrastrukturellen Notwendigkeit keineswegs unumstritten sind. Meinhard von Gerkan hat die Misere früh analysiert. 2) Und Bernhard Matthies hat im Tagesspiegel eine amüsante Kolumne dazu verfasst. 3)

Eine besondere Lösung für die Passagierlenkung zur Trennung zwischen Ankunfts- und Abflugebenen des Terminals sowie zwischen Schengen- und Non-Schengen-Abfertigung: Diese erfolgt in den dreigeschossigen Brücken, die den Gates vorgeschaltet sind. (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Eine besondere Lösung für die Passagierlenkung zur Trennung zwischen Ankunfts- und Abflugebenen des Terminals sowie zwischen Schengen- und Non-Schengen-Abfertigung: Diese erfolgt in den dreigeschossigen Brücken, die den Gates vorgeschaltet sind. (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Piers an der Luftseite (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Piers an der Luftseite (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Im Frühjahr 2017 übernahm Engelbert Lütke Daldrup den Posten des Flughafenchefs, den ihm kaum jemand geneidet haben dürfte. Was hatte sich nicht alles geändert! Geplant für 18 Millionen Fluggäste, werden – wenn Corona Geschichte ist – 36 Millionen jährlich erwartet. Bereits im Herbst soll übrigens ein weiteres Terminal in simpler Industriearchitektur eröffnet werden. Handelsflächen wurden erweitert, Vorschriften verschärft, die Mängelliste im Blick auf Türen, Rauch und vielem mehr wuchs katastrophal. Mit solidem Fachstudium in Dortmund, Erfahrungen als Beigeordneter und Stadtbaurat in Leipzig, als Staatssekretär im Bundesbauministerium, dann als Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umwelt, später für Strategien und Flughafenpolitik – schließlich mit Ehrgeiz und Hartnäckigkeit: genug Rüstzeug, um dieses BER-Malheur zu einem passablen Ende zu führen…

Aufgang zur Hauptebene; an der Decke dominiert das Kunstwerk „The Magic Carpet“ der kalifornischen Künstlerin Pay White. (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Aufgang zur Hauptebene; an der Decke dominiert das Kunstwerk „The Magic Carpet“ der kalifornischen Künstlerin Pay White. (Bild: gmp/ Marcus Bredt)

Was Engelbert Lütke Daldrup inzwischen mit guten Gründen beklagt, ist die „sektorale Selbstoptimierung“ im Bauwesen, die sich in immer abstruseren Normierungen und Forderungen aus den Lobbykreisen der Bauindustrie und Fachingenieure manifestiert. Aber was kann man dagegen tun?
Im Kleinen: Verwaltungen sind kleingespart worden, sodass kaum mehr sorgfältige Bebauungspläne erarbeitet werden können und innerhalb des Wischiwaschi-Paragraphen 34 fast alles genehmigt werden muss. Bei Großprojekten offenbart sich zusätzlich: Alles und Jeder will sein Buisiness berücksichtigt wissen und sich zugleich absichern. Wenn der jetzt erleichterte, weil erfolgreiche Flughafenchef feststellt, dass es in Deutschland kaum mehr ein Ingenieurbüro gebe, das die Komplexität von Großprojekten etwa im Bereich der Infrastruktur beherrschen könne, ist die Lage ernst.

Ihrer annehmen müsste sich eine Art Task Force, die – unabhängig von den völlig verkrusteten, CSU- und Lobby-dominierten Strukturen im Bundesbauministerium – die Misere analysiert und verbindliche Änderungsvorschläge erarbeitet. Alle Verbände – wie Kammern, BDA, BDB – und Vertreter der Bauwirtschaft müssten außen vor bleiben. Wunschkandidat für die Einsatzgruppe könnte sein: Engelbert Lütke Daldrup.

Mit Zuversicht vor der BER-Eröffnung (von links): Hajo Paap (gmp), Engelbert Lütke Daldrup (CEO BER), Meinhard von Gerkan, Hubert Nienhoff (gmp) (Bild: Ursula Baus)

Mit Zuversicht vor der BER-Eröffnung (von links): Hajo Paap (gmp), Engelbert Lütke Daldrup (CEO BER), Meinhard von Gerkan, Hubert Nienhoff (gmp) vor dem Terminal des BER (Bild: Ursula Baus)


1)  Falk Jaeger: Im seriösen Maßanzug. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Juli 2020, Seite 13

2)  Meinhard von Gerkan: Black Box BER. Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut. Berlin 2013

3)  Bernd Matthies: Immerhin wartet Trost im Römerbrief. In: Tagesspiegel, 19.8.2020


Entwurf  |  Meinhard von Gerkan und Hubert Nienhoff mit Hans Joachim Paap
Wettbewerb, Entwurf  |  1998 (1. Platz),
2003: Aufhebung des Vergabeverfahrens, Neuauslobung als weltweit offenes Verhandlungsverfahren (VOF), 2005: Beauftragung
2012: Auflösung der Zusammenarbeit
Tragwerksplaner  |  Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart/ Berlin
Dimensionen
BGF Bahnhof  |  25.000 m²
BGF Terminal  |  326.000 m²
BGF Bahnhof  |  25.000 m²
BGF Betriebsspezische Gebäude  |  35.000 m²
BGF Terminalnahes Parkhaus / Mietwagencenter  |  130.000 m²
Bauzeit  |  2008-2020
Baukosten  |  5,9 Mrd. Euro