Nun fielen die Entscheidungen zum aktuellen Bundeshaushalt. In diesen Entscheidungen zeichnet sich mit dem lautstarken Gerede um den „Bauturbo“ und den Beschlüssen zu Investitionen in Bahn und Autobahnen ab, dass weite Teile des 500-Milliarden-Euro-Sondervermögens rasant schnell und zweckentfremdet auf privaten Konten landen werden. Und in den Bereichen Verkehr und Bauen steht eine irrwitzige Rolle rückwärts ins fossile Zeitalter bevor.
Es geht um Politik. Um das, was sich nach etwas mehr als 100 Tagen mit der neuen schwarz-roten Bundesregierung abzeichnet. In bau- und stadtplanungsrelevanten Themen ist von „Bauturbo“ und schönen Wachstumsraten die Rede – also von Strategien, die von ökologischen Überlegungen unbelastet sind, als ob sie unverändert aus den 1960er Jahren stammten. Als ob Erkenntnisse zu Grenzen des Wachstums, ökologischen Katastrophen, Katastrophen in Atomkraftwerken, Fehlentwicklungen im Verkehr, im Bauen, in Bodenverteilungen und vielem mehr überhaupt keine Rolle mehr spielen könnten.
Klimawandel? Verschieben wir. Die Wirtschaftsministerin proklamiert vielmehr unwidersprochen, dass nur die Verfeuerung fossiler Brennstoffe – wie in Gaskraftwerken – Energie „bezahlbar“ mache. Basta. Dass sie durch den Kauf von Gas und Flüssiggas das Land in üble Abhängigkeiten treibt, ficht sie nicht an. Abhängigkeit von Diktatoren im näheren und ferneren Osten; und Abhängigkeit von einem Präsidenten im Westen, der gerade dabei ist, Justiz und Presse auf seine Linie zu bringen: Diese Abhängigkeiten werden in Kauf genommen. Statt vehement und mit einem Sondervermögen, das genau dafür genehmigt wurde, die „erneuerbare“ Energie voranzutreiben, vollzieht sie hier eine Rolle rückwärts ins fossile Zeitalter. Dabei sei erwähnt, dass die EU sich verpflichtet hat, in den USA für rund 750 Milliarden Euro Flüssiggas zu kaufen, damit dort die Zölle auf deutsche Autos halbiert – 15 statt 30 Prozent – bleiben. Da schließt sich ein Kreis, denn apropos Autos: Das EU-Aus für Verbrenner wird aller Wahrscheinlichkeit nach verschoben, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Doch nun im Einzelnen, was sich politisch gesteuert für das Arbeitsumfeld von Architekten und Planerinnen ändern wird.

Baustellen allerorten: Die systemische Vernachlässigung öffentlicher Infrastruktur ist unübersehbar. Seit Jahren. (Bild: Ursula Baus)
Verkehr: Wende am Ende
In Berlin gilt in Kürze wieder 50 statt 30 km/h auf „Hauptstraßen“. Die Entscheidung wird geradezu zynisch begründet, so vermeldete der Tagesspiegel: „Der Senat hat dies mit dem neuen Luftreinhalteplan beschlossen. Vor einigen Jahren war Tempo 30 auf 40 Abschnitten eingeführt worden, um die Luftqualität zu verbessern. Da die Grenzwerte nun vielerorts eingehalten werden, sieht Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) keinen Grund mehr für die Einschränkung. „1) Das heißt aber, dass jetzt wieder schneller gefahren werden kann, bis die Luftqualität wieder schlechter wird.
In Bayern beabsichtigt Markus Söder, einen Fonds, mit dem die Autoindustrie bei der Transformation zur Elektromobilität unterstützt wird, von derzeit 100 auf 200 Millionen Euro zu verdoppeln.2) Das ist eine unverschämte Subvention einer Industrie, die sich selbst ins Hintertreffen manövriert und die Transformation zur Elektromobilität schlichtweg verpennt hat. Es würde niemanden wundern, wenn als verkappte Subvention auch ein Teil vom Sondervermögen dafür beantragt und genutzt wird.
In der F.A.S. vom 21.9.25 wurde der neue Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU – ihm sei gute Besserung nach einer Kreislaufschwäche gewünscht) zur Verkehrspolitik befragt, der schon gleich dem Finanzminister Klingbeil (SPD) in die Parade fuhr.3) Mehr Güter, mehr Verkehr, mehr Straßen: Mit diesen Rezepten rechtfertigte der Minister den Neubau von Autobahnen und Verkehrsumgehungen und verlangte wie alle: mehr Geld im Einzelhaushalt, in dem Lars Klingbeil 11 Mrd gekürzt hat. Minister Schnieder ficht nicht an, was Verkehrsexperten zu bedenken geben und uns das 20. Jahrhundert gelehrt hat: dass Wirtschaftswachstum – ungesteuert – zulasten ökologischer, existenzieller Ressourcenschonung geht; dass noch mehr Verkehr mit immer größeren Autos das Land und die Lebensqualität in Städten, Dörfern und Regionen zerstört.
Gefragt nach einer Pkw-Maut, sagt der Minister: „Wir planen nicht, darüber nachzudenken“.
Gefragt nach einer Strategie, wie der Verkehrsanstieg gebremst werden könne, antwortet er: „Wollen Sie etwa den Güterverkehr verbieten? Wenn die Wirtschaft wächst, dann wächst auch der Verkehr, auf der Schiene, aber eben auch auf der Straße. Wenn Sie das nicht wollen, dann müssen Sie die Wirtschaft runterfahren.“
Mit Verlaub: Eine dermaßen dümmliche, die Frage nicht begreifende, geschweige seriös beantwortende Aussage ist einfach nur peinlich. Hier werden falsche Gegensätze argumentativ missbraucht, denn niemand, der Verkehr steuern möchte, „verbietet den Güterverkehr“. So ist zu erwarten, dass die normalen Aufgaben des Schnieder-Ministeriums aus dem Sondervermögen bezahlt werden und die „gekürzten“ 11 Mrd von Lars Klingbeil wer-weiß-wohin verschoben werden.
Im Verkehrsbereich werden zudem die europäisch vorgegebenen Klimaziele nicht erreicht werden. Nun zeichnet sich ab, dass deswegen Emissionszertifikate gekauft werden sollen – ausgerechnet aus dem Klima- und Transformationsfonds.

Nicht nur zur Ferienzeit: Rappelvolle Bahnsteige, unpünktliche Züge, ein marodes Szenario. (Bild: Ursula Baus)
Die Verteuerung des Deutschlandtickets ist beschlossene Sache, wobei eine Verteuerungsrate seit Einführung im Mai 2023 (49 Euro) bis Januar 2026 (63 Euro) von über 28 Prozent auf reine Willkür zurückzuführen ist. Ab 2027 soll der Preis anhand eines „transparenten Index“ festgelegt werden, der sich an der Inflation „orientiere“. Verlässlich klingt das ganz und gar nicht. Ende Oktober wollen Bund und Länder diesen „Index“ beschließen.
Nun ist beim Thema Bahn eine weitere Katze aus dem Sack: Die Südtirolerin Evelyn Palla wird Richard Lutz folgen und punktet mit Erfahrungen bei den ÖBB, Sanierungserfolgen bei DB Regio und „Empathie“. Ein Strategiewechsel bei der Bahn ist erstmal nicht zu erwarten, so sehr man sich über saubere Bahnhöfe und hilfsbereites Personal freuen möchte, was der Minister ein „verbessertes Fahrerlebnis“ nennt.4) Im Gespräch mit der ZEIT stellt Schnieder jedoch eines klar: Die Bahn soll – so das Ziel – auf keinen Fall Verluste machen. Nun muss man wissen, dass in Ländern mit funktionierendem, pünktlichem und gepflegtem Bahnbetrieb – etwa in Österreich oder in der Schweiz – genau das nicht eingefordert wird, weil die Bahnmobilität als gemeinnützig anerkannt, Mobilität als Teil einer Grundversorgung begriffen ist.
Die politische Ansage in Deutschland ist also weiter die klare Priorisierung des Autos vor der Bahn. Bevor nicht Kanzler Merz deutlich sagt, dass die Sanierung und Ertüchtigung der völlig maroden Bahn in den nächsten Jahren Vorrang vor neuen Autobahnen hat, dass Subventionen der Automobilindustrie ersatzlos gestrichen werden, wird sich beim Verfall der Deutschen Bahn nichts ändern.

Bauen, Bauen, Bauen: Die Bauwirtschaft muss als altes Zugpferd für Wachstum herhalten. (Bild: Ursula Baus)
Bauen: um jeden Preis
Das Hauen und Stechen ums Geld hat schnell begonnen, jeder möchte etwas vom 500 Milliarden-Sondervermögen abhaben. Kurios beispielsweise: Hamburgs Kultursenator Brosda vermeldete am 2.9.25 in einer Pressekonferenz zum Neubau einer Oper in Hamburg: 40 Millionen aus dem Sondervermögen „Klimaschutz und Infrastruktur“ wolle man für die Sanierung des alten Hamburger Opernhauses haben.5) Wenn jede herkömmliche Sanierung – wie diese – aus dem Sondervermögen mitfinanziert wird, ist das Geld im Nullkommanichts: weg, ohne dass dem Klimaschutz und der Infrastruktur nennenswert geholfen wäre. Die Bundesregierung definiert: „Das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität ermöglicht Rekordinvestitionen von Bund, Ländern und Kommunen – für Schulen und Kitas, Bahnstrecken und Straßen, Forschung und Digitalisierung.“6) Ein Opernhaus passt nicht dazu.
Bauen, Bauen, Bauen: In allen Unternehmen, die immobilienwirtschaftlich unterwegs sind, arbeiten: Architekten und Architektinnen. Bau- und Immobilienwirtschaft dringen, getreu der tumben Idee, dass die Bagger rollen müssen, auf Neubau, Ausweisung neuer Baugebiete, Vereinfachungen im Abriss und so weiter.
Die hier arbeitenden ArchitektInnen agieren anders als ihre Verbände. Denn Kammern, BDA und viele andere plädieren deutlich dafür, Umbau und Sanierung zu priorisieren. Bislang zeichnet sich nicht ab, dass die Ministerin dem folgen könne oder möchte. Allerdings überzeugt – rein kommunikationstechnisch – der Ruf der Architektenschaft – „Sanierungssprint“ – marketingmäßig oder BILD-zeitungstauglich kaum. Denn „Bauturbo“ bringt das Bauen als Versprechen mit dem manneslieben „Turbo“ in des Deutschen liebstem Kind, dem Auto, zusammen und kann auf Zustimmung zählen. „Sanierungssprint“ kann indes mit Assoziationen zu hilfsbereiter Sanitätskraft und dem sportlichen Sprinten nichts Adäquates versprechen.
Ministerin Hubertz zeigte sich zuletzt in ihrem Linkedin-Account erfreut darüber, dass sie in der ZEIT porträtiert worden sei. Dort ist nun nicht etwa zitierbarer O-Ton zu lesen, sondern eine Art Gesprächs-Porträt-Niederschrift.7) Im Beitrag geht es leider nicht zur Sache „Bauen“, sondern um die Befindlichkeit der Ministerin, sie erscheine „entschlossen, erst mal alles ermutigend zu finden. Beim Bauen, beim Bauch, generell.“ Tempo statt Ziele, runter mit den Baukosten, „Schnickschnack und überflüssige Normen weglassen“. Das Heizungsgesetz sei „im Kern nicht verkehrt“, aber sei zu kompliziert, mit Sätzen, „die man nicht versteht“. Weniger Bauen komme für sie, Verena Hubertz, nicht infrage. „Stattdessen müsse man versuchen, anders zu bauen, höher statt breiter, mit anderen Materialien, wie Holz.“ Da gebe es „so viele tolle Materialien und nachwachsende Rohstoffe, ich bin da auch aus meiner Gründerperspektive total gespannt, was sich durchsetzt“. Na denn, die Ministerin erwartet Nachwuchs, und so müssen ihre Staatssekretäre ran. Olaf Joachim (Biologe), Sabine Poschmann (Betriebswirtin), Sören Bartol (Politikwissenschaftler, mit deutlicher Erfahrung in den Verkehrs- und Baubereichen).
Energie: zurück ins fossile Zeitalter
Das Land unabhängig von den Saudis, den Russen und den USA zu machen, interessiert die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche nicht. Damit Zölle auf deutsche (Verbrenner-)Autos von 30% auf 15% sinken, hat sich – wie erwähnt – Europa von den USA zu horrenden Käufen von Flüssiggas nötigen lassen. Mit deutlicher Zusage der Bundesrepublik. Und zugleich verhindert eben die deutsche Wirtschaftsministerin einen weiteren Ausbau erneuerbarer Energie effizient, indem sie Fördermittel ersatzlos streicht. Das Statistische Bundesamt vermeldet am 8. September 2025: „Im 1. Halbjahr 2025 wurden in Deutschland 221 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt und in das Netz eingespeist. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach vorläufigen Ergebnissen mitteilt, waren das 0,3 % mehr als im 1. Halbjahr 2024. Die Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energiequellen sank dabei um 5,9 % auf 127,7 Milliarden Kilowattstunden. Damit stammten 57,8 % des inländisch produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen (1. Halbjahr 2024: 61,6 %). Demgegenüber stieg die Stromerzeugung aus konventionellen [Verharmlosung von „fossilen“, Anm. der Autorin] Energieträgern gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 10,1 % auf 93,2 Milliarden Kilowattstunden und einen Anteil von 42,2 % der inländischen Stromproduktion (1. Halbjahr 2024: 38,4 %).“8) Statt umwelt- und klimaschonende Energiegewinnung konsequent, dezentral und regionalen Verhältnissen anzupassen und mit unterschiedlichen politischen Möglichkeiten zu fördern, priorisiert die aus der Energiewirtschaft kommende Ministerin eine einzige, fossile Quelle. Dass günstigerer Strompreis nur für die Unternehmen, nicht aber die Haushalte beschlossen ist, passt in die Intentionen dieser Ministerin, die ihrer Argumentation äußerst fragwürdige Prognosen zum Strombedarf aus einem im Sommer erarbeiteten, inzwischen heftig kritisierten Bericht zugrundelegt.9)
Wenden

Aldous Huxley (Bild von John Collier (1850-1934). The Graphic (British newspaper). 7 May, 1927. p. 228. Wiki Gemeinfrei)
Davon, dass „Wenden“ zum sozioökologisch Besseren führen mögen, ist in politischen Kreisen kaum noch die Rede. Dabei ließe sich so vieles, was von der Ampel-Regierung holpernd auf den Weg gebracht worden ist, konsequent weiterführen. Die Süddeutsche Zeitung hat in ihrer Wochenendausgabe Persönlichkeiten gefragt, in welcher Welt wir in 20 Jahren leben könnten.10) Es ging um Gesellschaft, Krieg und Frieden, Umwelt und Klima, Alter und Pflege, Film und Medien und Ostdeutschland – aber auch um Städtebau (Lamia Messari-Becker), Wohnen (Wolf D. Prix) und die Zukunft (Frank Schätzing). Der Autor Frank Schätzing zitierte den britischen Schriftsteller Aldous Huxley (1894-1963):
„Die Menschen werden ihre Unterdrückung lieben und die Technologien verehren lernen, die ihre Denkfähigkeit vernichten“.
Ja, so wird es wohl sein, denn wir werden gerade Zeugen von diesem Prozess, den jeder Einzelne von uns korrigieren kann. Wenn er/ sie denn will.
Alle Links sind am Tag der Veröffentlichung aufgerufen worden.
1) Tagesspiegel online, 21.9.2025
2) Süddeutsche Zeitung, 24.9.2025
3) „Die bösen Überraschungen sollten 2032 vorbei sein“. Patrick Schnieder im Gespräch mit Dyrk Scherff und Corinna Budras. In: FAS, 21. September 2025 (für 3 Euro zu lesen: https://fazarchiv.faz.net/faz-portal/document?uid=FAS__SD12025092150103155572308)
4) Verkehrsminister Patrick Schnieder im Gespräch mit Max Hägler und Jonas Schulz Pals, in: DIE ZEIT, 25.9.25
7) Tina Hildebrandt:Ein Treffen mit Bundesbauministerin Verena Hubertz, in: DIE ZEIT, 25.9.2025
9) https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2025/09/20250915-monitoringbericht-zur-energiewende-vorgelegt-bundesministerin-katherina-reiche-schlaegt-zehn-schluesselmassnahmen-vor.html | dazu die Kritik im SPIEGEL: https://www.youtube.com/watch?v=E6gICQtRb4I
10) „Je weniger wir tun, desto eher bekommen wir, was wir fürchten“.